Luftfahrt:Die Kranken bei Tuifly sind bestimmt nicht krank

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Krankmachen aus Protest ist eine ebenso bekannte wie riskante Methode. Bei Tuifly ist sie verwerflich - und verständlich.

Kommentar von Detlef Esslinger

Kommt ein Pilot zum Arzt und sagt, ich fühl' mich heute nicht so gut - was antwortet der Arzt daraufhin? "Dies ist nun mein elfter oder zwölfter Fall eines Piloten mit Unwohlsein. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, und ich verweigere Ihnen das Attest."

Kein Arzt wird so etwas antworten; kein Arzt wird in seinem Sprechzimmer befinden, dass der Pilot vor ihm allenfalls an seinem Arbeitgeber leidet, aber nicht am Magen, und ihn zu seinen Passagieren schicken. Hausärzte als Komplizen bei einem Großbetrug der Piloten und Flugbegleiter von Tuifly? Diese Frage stellt sich wohl kaum, wenn man die Vorgänge bei der Firma beurteilen will.

Die Kranken bei Tuifly sind bestimmt nicht krank. Es hat in den vergangenen Tagen dort keine Feier gegeben, bei der alle vom selben Buffet gegessen und ausgerechnet die fliegenden Kollegen den verdorbenen Fisch erwischt hätten.

Sorge vor schlechteren Arbeitsbedingungen

Was es bei Tuifly gibt, ist die Sorge vor schlechteren Arbeitsbedingungen und Kündigungen, weil dem Unternehmen - einst unter anderem aus Hapag-Lloyd Flug hervorgegangen - schon wieder eine Umstrukturierung bevorsteht; diesmal eine Teilfusion mit Air Berlin.

Der Zusammenhang zwischen den Ängsten des Personals und den 108 ausgefallenen Flügen vom Freitag drängt sich auf - zumal es für diese Art des Protests einen englischen Ausdruck gibt, der auch im deutschen Arbeitsrecht seit Jahrzehnten geläufig ist: "Go sick" (Krankmachen).

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Es ist ein riskantes Vorgehen. Wer sich krankmeldet, dies aber nicht ist, riskiert in jeder Firma die fristlose Entlassung - das Risiko für das Tuifly-Personal wird nur dadurch reduziert, dass es dieser Arbeitgeber kaum verkraften würde, all die mutmaßlichen Simulanten zu feuern.

Es ist eine Form des Protests, die verwerflich, gefährlich und verständlich ist. Verwerflich ist sie, weil es sich hier um einen Streik handelt, der ausdrücklich nicht als Streik daherkommen soll. Streiken darf man nach deutschem Recht nur für Ziele, die mithilfe eines Tarifvertrags zu erreichen sind.

Doch ein Sozialtarifvertrag, der die Folgen einer Teilfusion mit Air Berlin für die Beschäftigten mildern könnte, stand bei Tuifly nicht zur Debatte. Zudem muss jeder, der streikt, dies auch so nennen.

Denn "es verstößt gegen das Prinzip der Waffengleichheit, statt klarer Fronten eine anonyme Mauer passiven Widerstands zu setzen" - so steht es in einem berühmten Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem er 1978 eine Go-sick-Aktion der Fluglotsen für sittenwidrig erklärte.

Gefährlich ist das Vorgehen des Tuifly-Personals, weil es im Erfolgsfall Nachahmer in anderen Branchen, in anderen Unternehmen finden könnte. Warum sollten Beschäftigte, die sich ungerecht behandelt fühlen, weiterhin Wert auf Regeln legen, falls sie hier beobachten können, dass der Regelbruch viel effektiver ist?

Niedersachsens Wirtschaftsminister kündigte am Freitagabend eine "Einigung" an. Diese käme dann sehr viel schneller als zum Beispiel im regulären Arbeitskampf der Lufthansa-Piloten.

Verständlich ist die Aktion, weil das Tuifly-Management seine Beschäftigten nie über seine Pläne mit Air Berlin informiert hatte. Nun sind Schock, Empörung und Stress groß. Wundern braucht sich niemand, dass so etwas den Menschen auf den Magen schlägt.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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