Lehren aus der Finanzkrise:Geister der Vergangenheit

Lesezeit: 5 min

Die Banken und die Europäische Zentralbank liegen in Frankfurt nah beieinander. Die Aufseher der EZB sollen die Konzerne kritisch prüfen, damit sich eine Finanzkrise nicht wiederholt. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die gemeinsame Bankenaufsicht sollte Europas Geldhäuser krisensicher machen. Nun zeigt sich: Das Personal für echte Kontrolle fehlt. Und die Regierungen haben doch noch mehr Einfluss als geplant.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra

Es war ein peinlicher Verdacht: Die Deutsche Bank sei beim diesjährigen Stresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) weniger streng rangenommen worden als die Konkurrenz. Eine Vorzugsbehandlung für das deutsche Geldhaus, und das auch noch mitten in der Sanierung? Die Chefin der EZB-Bankenaufsichtsbehörde, Danièle Nouy, widersprach: "Wir haben die bestehenden Regeln in vollem Umfang angewendet", sagte die Französin, die dann noch anmerkte: "Meine Leute sind paranoid, was Regeln betrifft, und auch ich bin dies. Man kann nur streng sein, wenn man fair ist."

Nouy gilt als unerbittlich gegenüber Banken. Regeln, so ihr Mantra, sind dazu da, um eingehalten zu werden. Ausnahmen? Gebe es nicht! Tatsächlich hat die EZB-Bankenaufsicht den Finanzsektor hart rangenommen. Doch jetzt - so ein Eindruck, der sich immer mehr verfestigt - kommt die Gegenreaktion. Nicht nur von der Bankenlobby, sondern auch von der Politik. "Die EU-Kommission und nationale Politiker bauen Druck auf. Wir sollen als Aufseher die Schrauben nicht mehr so fest drehen", sagt ein Mitglied aus dem obersten EZB-Bankenaufsichtsgremium der SZ. Die Banken, so das Argument der Politiker, bräuchten mehr Luft zur Kreditvergabe, das stütze die Wirtschaft.

Außerdem stellen sich Politiker inzwischen wieder ohne Scheu vor ihre Großbanken, um eine Pleite zu verhindern. Der Steuerzahler soll wieder ran. "Europas Bankenaufsicht ist sehr politisch geworden", sagt ein Insider. "Vor allem wenn das nationale Interesse berührt ist."

Die EZB merkt, dass finstere Geister der Vergangenheit zurückkommen.

"Es fehlt das klare politische Bekenntnis für uns."

In der Finanzkrise ab 2008 wurde eines mehr als deutlich: Dass nationale Bankenaufseher bei ihren heimischen Instituten häufig Risiken in den Bilanzen übersehen hatten. Daraufhin mussten mehrere marode Banken staatlich gestützt werden. Ihre Pleite hätte andernfalls das globale Finanzsystem gefährdet. In Deutschland betraf das nicht nur einige Landesbanken, sondern auch die Commerzbank, Hypo Real Estate oder die kleinere IKB aus Düsseldorf. Die Gründung der zentralen Europäischen Bankenaufsicht vor zwei Jahren sollte den Missstand endlich beenden.

"Durch die Europäische Bankenaufsicht ist die Kontrolle besser geworden, wir drücken bei den Banken dort, wo es weh tut, deshalb kommt jetzt auch der politische Widerstand", sagt ein EZB-Fachmann, der anonym bleiben möchte. "Doch es fehlt das klare politische Bekenntnis für uns. Wir brauchen viel mehr eigenes Personal, um bei den Banken vor Ort besser arbeiten zu können."

Die etwa 1000 Aufsichtsexperten der EZB müssen 129 Großbanken in Europa kontrollieren. Das reicht vom Personal bei weitem nicht aus. Die EZB mag für Europas Bankenaufsicht zuständig und verantwortlich sein - aber sie hat oft zu wenige eigene Leute, um sich durchzusetzen. Ein Beispiel sind die sogenannten Vor-Ort-Inspektionen bei Großbanken. Hier fallen eine Handvoll Kontrolleure über Wochen bei der betroffenen Bank ein, sichten Dokumente, führen harte Gespräche mit Bankmanagern und stellen hinterher fest, wo das jeweilige Haus noch Nachholbedarf hat. So geschehen in diesem Jahr beispielsweise bei der Bremer Landesbank, die auf Druck der EZB, aber zum Ärger der lokalen Politik etwa 700 Millionen Euro auf faule Schiffskredite abschreiben musste.

Doch gerade mal zehn Prozent dieser wichtigen Missionen werden tatsächlich von EZB-Leuten angeführt. Die Zentralbank ist bei ihrer Bankenkontrolle auf den Kooperationswillen der nationalen Aufsichtsbehörden angewiesen. Dazu muss man wissen: Die nationalen Bankenaufsichtsbehörden in den Euro-Staaten werden oft von den Finanzministerien kontrolliert. Auf diesem Wege kann die Politik Einfluss nehmen. Die Bankenaufsicht kann daher aufgeweicht werden, zumal es viel zu häufig am Willen zur Kooperation zu fehlen scheint. "Wir arbeiten vor Ort häufig mit denselben nationalen Aufsehern zusammen, die in der Finanzkrise die eigenen Banken geschützt haben und das nun auch weiterversuchen", sagt ein Insider. Manchmal schalteten die Behörden vor Ort auch komplett auf stur, "und stellen uns gar kein Personal zur Verfügung. Dann fehlen uns die Leute, um die Inspektion überhaupt durchzuführen", sagt der Insider.

Eigentlich wollte die EZB bei der Bankenaufsicht viel mehr mit gemischten Teams arbeiten. So sollte die Unabhängigkeit gestärkt werden. Beispiel: Eine italienische Großbank würde dann von EZB-Fachleuten und Aufsichtspersonal von der französischen Notenbank kontrolliert. So könnte der Einfluss der nationalen Aufseher - in diesem exemplarischen Fall, der italienischen - gesenkt werden. Doch die EZB hat Probleme, gemischte Teams aufzubauen. Ein italienischer Aufseher ist genauso wenig motiviert, über Wochen eine Bank in Zypern zu prüfen, wie der Franzose bei einem Institut in Spanien. Der Grund ist simpel: Die Kontrolleure müssten viel reisen und bekämen dafür kein zusätzliches Geld. "Es stimmt, dass es unterschiedliche Gehaltsstrukturen gibt, und das lässt sich auch von Frankfurt aus nicht ändern", sagt Sabine Lautenschläger, Vize-Chefin der EZB-Bankenaufsicht, früher Bankenaufseherin bei der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Allerdings habe man in diesem Jahr bei knapp 40 Prozent aller Vor-Ort-Inspektionen gemischte Teams eingesetzt.

Doch das muss nicht viel heißen: Um als gemischtes Team zu gelten, reicht es, wenn ein Mitglied des Prüfungsteams der EZB oder einer anderen nationalen Aufsicht als der Heimataufsicht angehören. Das heißt: Nationale Kontrolleure haben immer noch die Oberhand. Die Gefahr, dass Banken vor allzu strengen Maßnahmen geschützt werden, ist real.

Die Zentralbank muss zwei Rollen einnehmen, die sich eigentlich widersprechen

"Um eine europäische Loyalität aufzubauen wäre es auf Dauer besser, wenn immer mehr Bankenaufseher Angestellte der EZB wären", sagt Jan Pieter Krahnen, Professor für Finanzwirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Dann würden alle zumindest gleich viel Geld verdienen. Doch so weit ist es noch lange nicht. "Für die Reisekosten haben wir eine Lösung gefunden, die es erlaubt, dass Kolleginnen und Kollegen zumindest auf Reisen gleiche Bedingungen vorfinden und die Möglichkeit haben, sich auch mal an der Bar bei einem Bier zu unterhalten", sagt Lautenschläger.

Ein weiteres großes Problem für eine effiziente Bankenaufsicht ist die Doppelrolle der EZB. Sie ist gleichermaßen für die Geldpolitik und die Bankenaufsicht verantwortlich. Es ist eine Notkonstruktion, die der Eile geschuldet war, als die Bankenunion geschaffen wurde. Der EZB-Rat muss alle Entscheidungen des Bankenaufsichtsgremiums billigen. Da droht dem einzelnen EZB-Ratsmitglied ein Zielkonflikt, wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann zuletzt deutlich gemacht hat. "Als Geldpolitiker tut er sich möglicherweise schwer, den Leitzins anzuheben, wenn ihm Probleme, die Banken mit dem Zinsanstieg haben können, als Aufseher auf die Füße fallen."

Auch den Banken bleiben die Spannungen nicht verborgen: In der EZB gebe es widerstreitende Interessen, sagte neulich Gunter Dunkel, Chef der Norddeutschen Landesbank. "Der eine Teil der EZB will, dass die Banken mehr Kredite vergeben, ihre Bilanzsummen also ausweiten, um das Wachstum in Europa anzukurbeln. Der andere Teil der EZB will kleinere Banken, weil sie für sicherer gehalten werden."

Eigentlich sah die Bankenunion vor, dass marode Banken abgewickelt werden können. Die zuständige Behörde in Brüssel ist seit Jahresbeginn am Start, angeführt von Ex-Bafin-Präsidentin Elke König. Doch kaum jemand glaubt mehr daran, dass eine große Bank in Europa wirklich vom Markt verschwindet - egal wie marode sie ist. Zumal die neuen Abwicklungsregeln vorsehen, dass die Gläubiger haften: Das können im Ernstfall auch Sparer sein, wie Fälle in Italien gezeigt haben. Die Zurückhaltung ist besonders ausgeprägt, wenn ein Geldhaus so groß und international vernetzt ist wie die Deutsche Bank.

Mit der angeblichen Sonderbehandlung der Deutschen Bank durch die EZB-Bankenaufsicht wird sich an diesem Mittwoch sogar das Europäische Parlament befassen. EZB-Bankenaufsichtschefin Nouy muss sich zumindest auf Fragen zu der Causa einrichten. Beim Stresstest in diesem Sommer hatte die Deutsche Bank beantragt, den Verkauf ihres Anteils an der chinesischen Bank Hua Xia berücksichtigen zu dürfen, obwohl der Verkauf zwar zum Jahresende 2015 verhandelt, aber erst in der vergangenen Woche abgeschlossen wurde. Dadurch hatte sie im Test etwas besser abgeschnitten.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: