Krisengipfel in Brüssel:Europas Bonität steigt

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In der Finanzkrise findet die EU zu neuer Einigkeit - und besinnt sich auf eigene Werte.

Cerstin Gammelin

Vor zwanzig Jahren fiel die Berliner Mauer. Sie begrub unter ihren Trümmern auch die bis dahin gültige Marschrichtung für alle Osteuropäer: Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Mauerfalls wird nun auch die andere, alte Wahrheit von der Realität überholt - dass nämlich Amerika stets den Weg aus der Krise zeige. Lange Jahre haben die (West-)Europäer über den Atlantik geschaut und sich am amerikanischen Vorbild orientiert. Jetzt gibt es dieses Vorbild nicht mehr. Die neue US-Regierung agiert in der Krise so mutlos, dass sich die Europäer plötzlich gezwungen sehen, zu tun, was sie sich bislang nicht zugetraut haben: selbst voranzugehen.

Genau das haben die europäischen Regierungschefs auf ihrem Frühjahrsrat in Brüssel nun beschlossen. Plötzlich ist das EU-Europa vereint in seiner Krisen-Politik. Wenn sich die zwanzig mächtigsten Volkswirtschaften der Welt demnächst in London treffen, wird Europa einen Forderungskatalog auf den Tisch legen. Säuberlich aufgelistet finden sich darin viele Vorschläge, wie die Finanzkrise bewältigt und künftige Miseren vermieden werden können.

Ungewohnt selbstbewusst klingt der Ton aus Brüssel. Manchem Europäer dürfte er sogar zu selbstsicher sein. Schließlich verbinden viele Menschen mit der EU vor allem kleinlichen Streit über Glühbirnen, Schulobst oder Stromleitungen. Doch so einfach ist es eben nicht. Tatsächlich hat Europa allen Grund, stark und selbstbewusst aufzutreten. Die Stärke ist sogar noch gewachsen, weil es der EU nun gelungen ist, sich zusammenzuraufen.

Zunächst versuchten die vier größten Staaten, alleine die Krise zu meistern. Doch das Treffen von Deutschen, Briten, Franzosen und Italienern verstimmte alle anderen Regierungen. Dann kam der nächste Krach: Die Länder mit Euro-Währung tagten separat, und ein übereifriger französischer Präsident wollte eine europäische Wirtschaftsregierung gründen und selbst führen. Kaum war dieses Problem bereinigt, wollten einige Länder ihre Märkte abschotten. Am Ende trafen sich alle 27 Staaten, um ihre Krisenstrategien abzustimmen - und sie einigten sich. Am Ende war es doch erfolgreich, Schritt für Schritt voranzugehen und die Entscheidungen reifen zu lassen.

In diesem mühevollen Prozess mussten alle irgendwie zurückstecken. Nicolas Sarkozy verzichtete darauf, seine Dauerforderung nach mehr wirtschaftspolitischen Kompetenzen aufrechtzuerhalten. Kanzlerin Angela Merkel spendierte ein paar Millionen Euro für europäische Konjunkturprojekte. Der Brite Gordon Brown unterschrieb die Forderung, Finanzmärkte künftig strenger überwachen zu lassen - und kehrte Amerika erstmals den Rücken zu.

Aus den kleineren Staaten ertönte kein böses Wort. Die Osteuropäer fühlten sich in den großen Runden ausreichend informiert. Sie waren zufrieden mit dem Bekenntnis der Union, im Notfall solidarisch zu handeln. Auch die Österreicher freuten sich, dass Europa die Hilfsfonds auffüllen wird. Schließlich hängt das Wohlergehen des Alpenlandes gerade davon ab, ob die klammen Banken Osteuropas die Krise überstehen. Denn dort liegt das Geld der Österreicher. Zudem hat sich der Rat um Atmosphärisches gekümmert. Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker darf sicher sein, dass sein Land nicht auf der schwarzen Liste der Steueroasen stehen wird.

Die EU wird in der Krise führen können, weil sie eine wertvolle Erfahrung gemacht hat: Jede Nation musste erkennen, dass es allen zusammen nur gut gehen kann, wenn jeder Einzelne zu Zugeständnissen bereit ist. Nun gibt es keinen logischen Grund mehr, warum der größte Wirtschaftsraum der Welt nicht die Feder führen sollte, wenn die neuen Spielregeln für das globale Wirtschafts- und Finanzsystem geschrieben werden.

© SZ vom 21./22.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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