Kommentar:Renzi macht den Berlusconi

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Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi verspricht den Italienern massive Steuersenkungen - wie einst Silvio Berlusconi.

Von Thomas Fromm

Im deutsch-italienischen Verhältnis wäre einiges leichter, würden die Politiker verstehen, für welche Öffentlichkeiten die Kollegen in Rom und Berlin ihre Politik machen. Zum Beispiel Wolfgang Schäubles Dogma vom ausgeglichenen Haushalt: In Deutschland lässt sich so eine schwarze Null wunderbar verkaufen, nicht wenige Menschen finden es sogar beruhigend, wenn ihr Finanzminister spart und sagt, dass Deutschland gerade deshalb ein Land sei, auf das man sich verlassen könne.

In Italien würde man so etwas eher beunruhigend finden. Denn ob man sich auf ein Land verlassen kann oder nicht, kann nach dem Empfinden vieler Italiener nicht an einer schwarzen Null hängen. Da braucht es schon ein bisschen mehr - zum Beispiel Wachstum, und, warum nicht, auch etwas mehr an Lebensqualität. Wenn die schwarze Null dann mal rötlich wird, ist das auch kein Drama.

Wäre Schäuble römischer Finanzminister, hätte er also ein großes Problem.

Italienischen Politikern würde es in Deutschland nicht besser gehen. Als der große Mailänder Populist Silvio Berlusconi vor Jahren seinen Dauer-Werbespruch "Meno tasse per tutti" ("Weniger Steuern für alle") entwarf, wusste man eigentlich sofort, dass so etwas nicht geht. Und doch funktionierte der Wahlkampftrick, weil viele Italiener fanden, dass allein schon die Absicht, allen Menschen die Steuern zu kürzen, honoriert werden müsse.

Berlusconi kannte seine Italiener, deshalb schloss er einen Vertrag mit ihnen ab: Den "contratto con gli Italiani" unterzeichnete er im Mai 2001 vor laufenden Fernsehkameras (eine bizarre Vorstellung: Schäuble schließt bei Günther Jauch einen Schwarze-Null-Vertrag mit den Deutschen ab).

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi ist kein Schwarze-Null-Typ, und auch deshalb arbeitet der 40-Jährige lieber mit den Stilmitteln seines Vorgängers Berlusconi: Meno tasse, wie auch immer. In den nächsten Jahren will er Steuersenkungen von 40 Milliarden Euro durchpeitschen; entlastet werden sollen Unternehmer und Angestellte. Starten soll das fiskalpolitische Großprojekt im kommenden Jahr mit der Abschaffung der Immobiliensteuer auf Ersthäuser- und -wohnungen. In einem Land, in dem fast jeder eine Immobilie besitzt, ist dies ein sehr raffiniertes Angebot - so raffiniert, dass es vom Altmeister persönlich stammen könnte. Der Sozialdemokrat Renzi macht den Silvio, und zwar komplett: "Ich schlage den Italienern einen Pakt vor: Wenn wir Reformen voranbringen, können wir Steuern senken", so der Dauerreformer Renzi im italienischen Fernsehen. Wieder ein Pakt, wieder zur besten Sendezeit.

"Ich schenke euch etwas, wenn ihr mich in Ruhe machen lasst." Italien pragmatisch: Politische Kompromisse können so einfach sein. In der Theorie.

Zurzeit ist die Regierung in Rom damit beschäftigt, ein Haushaltsloch von 17 Milliarden Euro zu stopfen, eine ganze Reihe von Steuererleichterungen stehen auf der Kippe. Dazu kommt: Renzi hat Italien eine Reform nach der anderen verordnet, eine Arbeitsmarktreform, eine Schulreform, er hat Wahlrecht und Verwaltung verändert. Jetzt muss er den Italienern etwas liefern: Steuersenkungen.

Vieles spricht dafür, Italiens Familien und Unternehmen jetzt zu entlasten. Um den Binnenkonsum anzuschieben, den Mittelständlern Luft für Investitionen zu lassen, das schwache Wirtschaftswachstum nach vorne zu bringen. Allerdings weiß Renzi nur, was er liefern will. Woher er das Geld nehmen soll, weiß er nicht.

Er könnte nun versuchen, in Brüssel die strengen Defizit-Regeln etwas weicher zu klopfen. Gelingt das nicht, könnte Matteo wieder den Silvio machen. Und sagen: Meine lieben Italiener, ich hätte es ja gerne für euch getan. Aber sie lassen mich nicht arbeiten.

Am Ende geht es ohnehin nicht so sehr um die Frage, ob Renzi seine 40 Milliarden Euro durchkriegt oder nicht. Es geht vor allem darum, in den nächsten Jahren politisch zu überleben. Zu Hause in Italien werden ihm die Anti-Euro-Populisten von rechts und links, die Lega Nord und der Movimento 5 Stelle, immer gefährlicher. Draußen in Europa - zuletzt in den zermürbenden Griechenlandverhandlungen - muss Renzi mit für einen Sparkurs stehen, von dem er selbst nicht überzeugt ist und den viele Italiener inzwischen ablehnen. Renzi hat schon oft gesagt, was er von der Brüsseler Sparpolitik hält: nichts.

So steckt er gerade fest, irgendwo zwischen Innen- und Europapolitik, zwischen schwarzer Null und Steuererleichterungen. Den Berlusconi macht er nicht, weil er ein zweiter Berlusconi ist, wie ihm einige vorwerfen. Er macht es, um eine Rückkehr Berlusconis zu verhindern.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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