Kommentar:Mehr durch Mercosur

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Das Handelsabkommen zwischen der EU und Staaten aus Südamerika bringt große Chancen. Aber die Interessen der Verbraucher dürfen nicht außer Acht gelassen werden.

Von Alexander Hagelüken

Vor einem Jahr stand die EU kurz davor, sich vor der ganzen Welt lächerlich zu machen. Da hatte sie ein umfangreiches Handelsabkommen mit Kanada ausgehandelt und auf Wunsch einzelner Staaten mehrfach nachgebessert. Dann drohte das kleine Wallonien, Teil des ohnehin kleinen EU-Staates Belgien, den großen Ceta-Vertrag platzen zu lassen. Die Episode illustriert, wie radikal sich Handelspolitik in wenigen Jahren verändert hat. Europa schwankt heute zwischen mächtigen Plänen (Mehr Abkommen! Signal gegen Trump!) - und mächtigen Problemen, alle seine Mitglieder dafür zu gewinnen.

Die beste Antwort auf dieses Dilemma wäre nicht, die Pläne aufzugeben. Die Geschichte des Westens seit der industriellen Revolution vor 200 Jahren lehrt eindeutig: Exporterleichterungen schaffen im Regelfall Wachstum und Jobs, die nur in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft entstehen. Das muss allen gesagt werden, die Freihandel gern unter Generalverdacht stellen.

Die beste Antwort auf das Dilemma wäre aber auch nicht, die Problemmacher einfach zu ignorieren. Die Bürger verfolgen genauer als früher, ob sich Konzerne im globalen Kapitalismus die Filetstücke sichern und dabei Umwelt und Verbraucher schädigen. Wer wie Handelsbürokraten alter Schule geheime Deals in Hinterzimmern durchzieht, sät Widerstand, der die Deals am Ende kippt.

Wie geht es anders? Die aktuellen Enthüllungen über das Handelsabkommen Mercosur mit Südamerika zeigen ganz gut, wie Europa Chancen realisieren könnte, ohne die Gefahren zu ignorieren.

Die Chancen bei Mercosur liegen auf der Hand. Nach 20 Jahren zähen Ringens, unterbrochen von Pausen, ist ein Abschluss mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay erstmals greifbar. Dies würde einen Handelsraum mit 800 Millionen Einwohnern entstehen lassen, der ein Viertel der Weltwirtschaft umfasst. Der Moment ist günstig, weil die südamerikanischen Länder jedenfalls für den Augenblick ihre politischen Differenzen überwunden haben, die die Gespräche lange lähmten. Wenn sich Europa wirklich für Exporte dieser großen Agrarproduzenten öffnet, kann es mehr Autos, Maschinen und Chemie dahin verkaufen. Die deutsche Industrie rechnet vor, Europas Unternehmen könnten allein durch den Abbau von Zöllen jedes Jahr vier Milliarden Euro einsparen.

Dazu kommt die strategische Komponente. Wenn Europa das Geschäft nicht macht, machen es andere, zum Beispiel die Chinesen. Außerdem setzt ein Mercosur-Pakt ein Zeichen dagegen, dass der ganze Westen dem Protektionismus à la Donald Trump zuneigt. Das liefert eine wichtige Orientierung für Südamerika - und ebenso für Asien, das durch den amerikanischen Rückzug aus dem Pazifikabkommen TPP durcheinandergeschüttelt wird.

Bei all diesen Vorteilen darf die Brüsseler Kommission aber nicht die Gefahren für ihre Verbraucher vernachlässigen. Dieses Jahr erschütterte ein Gammelfleisch-Skandal Brasilien, das zu Großexporteuren auf dem Globus zählt. Wenn ein dominanter Konzern jahrelang 2000 Politiker und Gesundheitsinspekteure schmiert, darf sich Europa nicht wie geplant auf Garantien so eines Landes verlassen, seine Betriebe seien schon in Ordnung. Es muss im Zweifel selber prüfen, um seine Verbraucher zu schützen.

Das ist nicht mit moralischer Überlegenheit zu verwechseln. Deutsche Autokonzerne schoben US-Käufern auch manipulierte Diesel unter. Verbraucher sind überall gefährdet. Deshalb bedarf es harter Regeln - gegen Dieseldreck und Gammelrind. Statt auf Handelsbürokrat alter Schule zu machen, sollte die EU-Kommission Brasilien und die anderen zu überzeugen suchen, dass saubere Lebensmittel langfristig im Interesse von K unden und Konzernen sind. Der Handelsvertrag Mercosur würde dann Wirtschaft und Bürgern helfen - mehr durch Mercosur.

Die EU aber lässt die Dinge laufen. Statt ihr Vorsorgeprinzip im Vertrag zu verankern, riskiert sie, bei Streitfällen vor der Welthandelsorganisation verklagt zu werden. Dort hat sie wegen ihres Vorgehens gegen Gentechnik und Rindfleisch bereits zwei Mal verloren - Kläger waren auch Mercosur-Staaten.

Wegen dieser laxen EU-Haltung droht Gegenwind von kritischen Konsumenten. Nimmt man noch die Bauern hinzu, die in Frankreich, Polen und Österreich Regierungen gegen günstige Agrarimporte aus Südamerika in Stellung bringen, ist das ganz schön viel Widerstand. Der mächtige Plan für ein wegweisendes Mercosur-Abkommen könnte platzen. Und Brüssel wäre selbst schuld.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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