Kommentar:Höhere Steuern, bitte

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Die britischen Konservativen wollen nach einem Wahlsieg keine Schulden mehr machen, dafür aber Sozialleistungen kürzen. Das ist der falsche Weg.

Von Björn Finke

Am Wochenende mag die Geburt des Royal Babys die Nachrichten beherrscht haben - in den kommenden Tagen stehen im Vereinigten Königreich aber wieder die Politiker im Mittelpunkt. Am Donnerstag bestimmen die Untertanen Ihrer Majestät ein neues Parlament, der Endspurt des Wahlkampfs beginnt. Dafür hat sich der konservative Premier David Cameron ein ganz besonderes Wahlgeschenk ausgedacht. Er versprach nun, im Falle eines Sieges ein Gesetz zu verabschieden, das eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, Einkommensteuer oder der Sozialabgaben bis 2020 ausschließt.

Klingt sympathisch, ist aber gefährlicher Populismus. Großbritannien hat einige Probleme, doch zu hohe Steuern gehören mit Sicherheit nicht dazu. Umfragen sagen ein ganz enges Rennen voraus, es kann also gut sein, dass Cameron noch einmal Premier wird. Mit einem solchen Gesetz würde er dann seinen Handlungsspielraum empfindlich einschränken; er könnte im Zweifel nicht das nötige Geld auftreiben, um die tatsächlichen Herausforderungen wirksam anzugehen.

Auch die Opposition von der Labour-Partei verspricht, Sozialabgaben und Mehrwertsteuer nicht heraufzusetzen. Dabei gehört der Mehrwertsteuersatz von 20 Prozent zu den niedrigsten in Europa, es gäbe durchaus Luft nach oben. Immerhin trauen sich die Sozialdemokraten an die Einkommensteuer ran; sie möchten den Spitzensteuersatz erhöhen.

Im Prinzip ist es löblich, wenn Politiker den Bürgern ihr Geld lassen wollen. Wenn sie versuchen, mit den vorhandenen Einnahmen auszukommen, statt sich ständig neue Ausgabenprogramme auszudenken, für die am Ende die Untertanen mit höheren Steuern zahlen. Aber Großbritannien ist ein Land, in dem der Staatshaushalt nicht im Lot ist. Ein Land, in dem viele Bürger unter den Folgen harter Sparprogramme leiden, während zugleich die Steuern auf Unternehmensgewinne gekappt wurden. Ein Land, in dem die Regierung dringend mehr investieren muss.

Kurzum: Ein Land, in dem die Leistungsfähigen ruhig mehr Steuern berappen sollten.

Für das laufende Jahr erwartet die Regierung ein Haushaltsdefizit von vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Obwohl die Wirtschaft zuletzt so schnell wuchs wie in keinem anderen großen Industrieland, decken die Einnahmen nicht die Ausgaben. Wobei die Lücke von vier Prozent schon eine deutliche Verbesserung darstellt. Als die Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten vor fünf Jahren das Ruder übernahm, betrug das Minus fast zwölf Prozent - griechische Verhältnisse an der Themse. Die Finanzkrise hatte das Land mit seinen vielen Banken in eine Rezession gestürzt, mit schlimmen Folgen für den Staatshaushalt.

In dem reichen Land können sich viele Arme nicht mehr genug zu essen leisten

Die Regierung steuerte mit einem harten Sparprogramm gegen, kappte die Ausgaben für Soziales. Das schockierende Ergebnis: Heute können sich in Großbritannien, immer noch einem der reichsten Länder Europas, viele Arme nicht mehr genug zu essen leisten. Der Trussell Trust, der größte Betreiber von Lebensmittel-Tafeln, verteilte im vergangenen Jahr mehr als eine Million Essenspakete an Bedürftige - ein trauriger Rekord. Vor fünf Jahren waren es nur 41 000 gewesen.

Die Konservativen versprechen für den Fall eines Wahlsiegs, dass der Staatshaushalt 2018 ohne neue Schulden auskommen wird. Das ist sehr zu begrüßen. Weil aber die Steuern nicht steigen sollen, wollen die Konservativen die Sozialausgaben um weitere 17 Milliarden Euro kürzen. Wo genau, verraten die Tories nicht. Doch dürfte es dazu führen, dass sich noch mehr Briten Essenspakete abholen.

Maßvolle Steuererhöhungen erscheinen da als das kleinere Übel.

Außerdem muss die Regierung mehr investieren. In Schulen und Universitäten, in Schienen und Straßen. Auch solche Ausgaben für Infrastruktur fielen der - nötigen - Haushaltssanierung der vergangenen Jahre zum Opfer. Diese Diät zeigt allerdings unangenehme Nebenwirkungen. Die Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, und das Königreich hinkt anderen Industrieländern bei der Produktivität hinterher: Britische Arbeitnehmer schaffen also weniger als Beschäftigte auf der anderen Seite des Ärmelkanals.

Will die Regierung wichtige Investitionen nicht über Schulden finanzieren, muss sie über Steuererhöhungen nachdenken. Solche Erhöhungen von vorneherein auszuschließen, ist denkfaul. Und es schadet dem Land.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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