Kommentar:Frust statt Lust

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Der Staat kassiert kräftig bei denen ab, die auf Reisen gehen. Dabei sollten eigentlich die zur Kasse gebeten werden, die es nicht tun. Denn Reisen erneuert nicht nur den Reisenden selbst, sondern auch den Teil der Welt, den er besucht.

Von Michael Kuntz

Die meisten Menschen verreisen gern, und das ist gut - für sie selbst und auch für die anderen. Denn je mehr sie sich aus ihrem Alltag entfernen, desto weniger halten sie ihn für den Mittelpunkt der Welt. Immerhin 1,3 Milliarden Menschen, also fast ein Fünftel der Weltbevölkerung, überschritten 2015 die Grenze ihres Landes als Touristen und schauten sich in der Fremde um.

Politiker müssten froh sein, dass dies so ist. Das sind sie aber nicht. Mit immer neuen Einfällen und restriktiven Regeln behindern sie Menschen, die sich und die Welt erneuern, weil sie eine Reise unternehmen. Eine kleine Reise ist genug, um uns und die Welt zu erneuern, so formulierte es der Schriftsteller Mark Twain schon vor mehr als hundert Jahren.

Gemeint mit dieser Art immer neuer Einfälle, die das Reisen erschweren, sind natürlich nicht Maßnahmen, um jene schrecklichen Ereignisse zu verhindern, die in jüngerer Zeit dazu geführt haben, dass viele derzeit nicht mehr so unbeschwert reisen wie früher. Gemeint sind politische Innovationen wie zum Beispiel die Luftverkehrabgabe, die angeblich im Morgengrauen nächtlicher Koalitionsverhandlungen in Berlin entstanden ist. Diese Passagiersteuer gibt es seit 2010, und sie war gedacht als Ausgleich für die vergünstigte Besteuerung von Treibstoff für Flugzeuge. Eine Milliarde Euro sollte in die Bundeskasse kommen, was mehr oder weniger funktionierte. Doch die Folge ist: In grenznahen Regionen Deutschlands wandern Passagiere ins benachbarte Ausland zu Flughäfen ab, die eine solche Abgabe nicht erheben müssen - in der Spitze macht sie fast 50 Euro aus.

Noch krasser ist ein Kollateralschaden ebenfalls im Steuerrecht, eine wohl unbedachte Folge der Reform von 2008, der die Finanzgerichte beschäftigt und je nach Ausgang den einen oder anderen Reiseveranstalter in die Pleite treiben könnte. Es drohen Nachzahlungen von Gewerbesteuer in Milliardenhöhe für weltweit gebuchte Hotelkontingente. Der Unterschied bei der Vermittlung von Unterkünften und etwa dem Anmieten einer Immobilie für einen Betrieb wurde seinerzeit übersehen, das räumen Vertreter aller Parteien ein. Im politischen Raum ist nun ein Streit entbrannt, wer diese Panne reparieren sollte - und das auch kann.

Größere Reiseunternehmer machen es wie die Flugpassagiere und verlagern das betroffene Geschäft ins Ausland. Ähnlich könnte es kommen durch rigide Regelungen für Callcenter an den umsatzstarken Sonntagen, zunächst in Hessen und bald wohl bundesweit. Eine Abwanderung vieler Arbeitsplätze aus Deutschland droht.

Großer Beliebtheit auf der Suche nach neuen Einnahmequellen erfreuen sich schließlich die kommunalen Steuern auf Hotelübernachtungen und Zweitwohnungen. Das nächste politische Ungemach kommt auf die Reisebranche bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie für Pauschalreisen in nationales Recht zu. Reisebüros müssen Verbraucher aufklären, ob diese einzelne Leistungen wollen oder eine Pauschalreise mit der dann erweiterten Haftung für die miteinander verbundenen Teile wie Flug, Hotel und Transfers. Das ist so weit in Ordnung, doch drohen dabei komplizierte Regeln.

Die Betreiber von Reisebüros sehen Ungemach auf sich zukommen in einer Zeit, in der sie unter wirtschaftlichem Druck stehen, weil die Leute mehr auf eigene Faust reisen, im Internet buchen oder gleich bei Airlines, Hotels oder den Anbietern von Ferienwohnungen. Ungemach für Reiseverkäufer - das muss so nicht kommen, die Branche übertreibt. Denn es bieten sich gerade für Reisebüros Chancen, wenn Dinge kompliziert werden, Verbrauchern Gedankenstress droht. Dann lässt man sich gerne noch einmal von einem lebendigen Menschen erklären, wofür man so viel Geld ausgeben soll. Verbraucherschutz schützt das Biotop der immer noch ziemlich vielen Reisebüros.

Für die genannten und weitere ungenannte Regelwerke mag es jeweils durchaus einleuchtende Begründungen geben, in ihrer Gesamtheit jedoch senden sie das falsche politische Signal. Das Paket sorgt für mehr Frust als Lust beim Reisen. Eigentlich müsste es genau andersherum sein: Nicht wer sich bewegt und in Kontakt zu fremden Kulturen tritt, sollte vom Staat abkassiert werden.

Wenn man an die Wirkung des Tourismus denkt und an die 1,9 Millionen Arbeitsplätze allein in Deutschland, dann sollten eigentlich die vom Staat zur Kasse gebeten werden, die daheimbleiben. Fällig wäre statt einer Passagiersteuer eine Art Ignoranzabgabe für jene, die weder sich noch die Welt durch eine kleine Reise erneuern. So aber denken Politiker nicht.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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