Klimawandel:Der Bauer, der gegen RWE klagt

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"RWE muss sein Sandkorn beisteuern", sagt Saúl Luciano Lliuya. Dafür zieht er vor Gericht. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Saúl Lliuya aus Peru fordert den deutschen Konzern heraus - wegen der Erderwärmung und schmelzender Gletscher.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Am Anfang, sagt Saúl Luciano Lliuya, habe er noch Angst gehabt. Er, ein Kleinbauer, gegen einen Konzern mit 14 000 Leuten? Er, als Peruaner, vor einem deutschen Gericht? "Der Grund herzukommen, ist größer als die Angst", sagt er jetzt. "Jeder normale Mensch weiß, dass das nicht in Ordnung ist."

Lliuya ist ein schmächtiger Mann mit wachem Blick. Daheim in den Anden zieht er Kartoffeln, Mais, Weizen, das meiste für den Eigenbedarf. An diesem Donnerstag aber geht es um das große Ganze, das Landgericht Essen verhandelt seinen Fall. Aktenzeichen 2 O 285/15. Ein Verfahren, wie es das in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben hat.

Denn Lliuya will den RWE-Konzern für etwas zur Verantwortung ziehen, das der am anderen Ende der Welt anrichtet - durch die Verbrennung von Kohle in hiesigen Kraftwerken. Konkret geht es um eine Lagune, die 20 Kilometer von Lliuyas Heimatstadt Huaraz in den Anden liegt. In der Lagune sammelt sich Schmelzwasser von den Gletschern der Umgebung. 2014 untersuchten Forscher der Universität Austin in Texas den Zustand der Lagune. Nach ihren Untersuchungen hat sich das Volumen binnen 40 Jahren verdreißigfacht. Die Gletscher schmelzen schneller. Gehalten wird das alles durch einen Damm, der die Lagune zum Tal hin abschließt. Weshalb die texanischen Forscher auch simulierten, was eine Flutwelle anrichten würde. Weite Teile von Huaraz würden überflutet, 35 000 Menschen wären betroffen. Auch Lliuya.

Aber kann er vor einem deutschen Gericht klagen? Die Richter am Landgericht Essen haben am Donnerstag alle Seiten angehört. Schon in den Schriftsätzen der letzten Monate hatten beide Seiten Experten und Expertisen aufgefahren - vor allem zu der Frage, ob und wie ein Braunkohlekraftwerk im Rheinland Gletscher in Peru zum Schmelzen bringen soll. Am 15. Dezember will das Gericht entscheiden, wie es weitergeht. Kommt es zur Beweisaufnahme, dann bahnt sich ein juristischer Schlagabtausch über den Klimawandel an, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, ein Kreuzfeuer aus Gutachten und Gegengutachten.

"Das ist alles andere als aussichtslos", sagt Anwältin Roda Verheyen, die Lliuya vertritt. Sie beruft sich auf das Bürgerliche Gesetzbuch, Paragraf 1004. "Wird das Eigentum (...) beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen." Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages befasste sich unlängst mit der Frage. Ergebnis: Möglich ist so ein Anspruch gegen ein Unternehmen. Ihn durchzusetzen ist eine andere Sache. RWE nämlich argumentiert damit, dass sich "spezifische Auswirkungen einer Klimaveränderung" nicht einzelnen Emittenten zurechnen ließen, dafür sei der Klimawandel zu komplex. Und ohne Nachweis keine Haftung.

Lliuya, 36, könnte sich das ganze Verfahren nicht leisten, hätte sich nicht die Entwicklungsorganisation Germanwatch der Sache angenommen. Daheim, sagt er, blieben viele seiner Nachbarn lieber leise. "Das ist eine Art Machtlosigkeit." Inzwischen aber hätten auch Nachbarn und Behörden in Huaraz begriffen, dass Lliuya in der Ferne auch für sie kämpft. "Es geht mir nicht um den Ruhm", sagt der Bauer. "Es geht um die Sache."

Der Streitwert ist vergleichsweise gering. Der RWE-Konzern soll einen Teil jener 3,5 Millionen Euro schultern, die eine Entschärfung der Lagune kosten würde - und zwar entsprechend seinem Anteil an den globalen Treibhausgas-Emissionen. Bei 0,47 Prozent Anteil wären das 17 000 Euro. Aber ums Geld geht es in diesem Fall ohnehin nicht, sondern ums Prinzip. "RWE muss sein Sandkorn beisteuern", sagt Lliuya. "Und es gibt noch viele andere wie RWE."

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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