Klimaschutz:Wachsen und aufforsten

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Obwohl Flugverkehr das Klima mehr belastet als jede andere Form der Fortbewegung, ist es der Luftfahrtbranche gelungen, lästige Regulierung zu vermeiden. In Montreal entscheidet sich nun, ob es dabei bleiben wird.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Der Luftverkehr, die unökologischste Art der Fortbewegung, nimmt rasch zu. 2010 flogen 2,4 Milliarden Menschen mit dem Flugzeug, 2050 werden es nach Schätzungen 16 Milliarden sein. Sie könnten dann, falls nicht gegengesteuert wird, ein Fünftel der weltweiten CO₂-Emissionen verursachen. Und noch in diesem Jahrzehnt werden Flugzeuge das Klima vermutlich stärker beeinflussen als Autos.

Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, das Verkehrsmittel in den Kampf gegen die globale Erwärmung einzubeziehen. Die Luftfahrtlobby ist mächtig, viele Fluggesellschaften haben enge Bande zur Politik, und so fliegt die Branche weiterhin "in einem Parallel-Universum", wie es der EU-Abgeordnete Bas Eickhout (Grüne) nennt: befreit von Kerosin-, Öko- und Umsatzsteuer, und ohne Vorgaben durch die Klimavereinbarungen von Kyoto bis Paris.

In Montreal wird derzeit versucht, diese umweltpolitische Lücke zu schließen oder wenigstens ein bisschen zu verkleinern. Bis Freitag wollen sich Abgesandte aller Staaten bei einer Konferenz der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) auf einen Plan verständigen, der die Emissionen zwar nicht senken, aber zumindest das Wachstum des Luftverkehrs von 2021 an CO2-neutral gestalten soll. Es ist ein Plan, der nach Ansicht von Kritikern weit hinter dem zurückbleibt, was für die Umwelt noch erträglich wäre. Ohne einen substantiellen Beitrag des Luftverkehrs wird sich das 2015 in Paris vereinbarte Reduktionsziel, das eine Erwärmung um mehr als zwei Grad verhindern soll, laut Experten kaum erreichen lassen.

Schon 1997 wurde ICAO im Kyoto-Protokoll gebeten, sich um eine Regulierung zu bemühen. Weil wenig voranging, entschied sich die Europäische Union 2008 zu einem Alleingang. Sie schloss alle Flüge, die in Europa starten oder landen, in ihr Emissionshandelssystem ein. So wurde ihnen eine Emissionsgrenze verordnet, verbunden mit der Pflicht, Verschmutzungslizenzen zu erwerben. Obwohl die Branche damit im Vergleich zu anderen Industrien sanft belastet wurde, reagierten die USA, China, Indien und andere Staaten mit scharfem Protest. Sie argumentierten, die EU überschreite ihre Zuständigkeit und verhindere durch ihr Vorpreschen eine globale Vereinbarung. Um guten Willen zu demonstrieren, hielt die EU Ende 2012 "die Uhr an" und setzte den Emissionshandel für interkontinentale Flüge aus. Belastet werden also nur Flüge zwischen europäischen Standorten. Zweimal hat die EU diese Ausnahme verlängert, um ICAO Zeit zu geben für die Entwicklung eines "globalen marktbasierten Mechanismus".

Der Entwurf, über den nun in Montreal verhandelt wird, trägt die Handschrift der großen Staaten, die ihrem Luftverkehr keine Beschränkungen auferlegen lassen wollen. Er soll weiterhin wachsen dürfen, wobei die Emissionen das 2020 erreichte Niveau nicht mehr überschreiten sollen. Allerdings nur theoretisch. In Wahrheit können sie steigen, müssen aber kompensiert werden, etwa durch Investitionen in erneuerbare Energien oder Aufforstung - oder durch geringeren CO₂-Ausstoß in anderen Sektoren. Bis 2027 allerdings bleibt die Teilnahme freiwillig. Viele ärmere Staaten sind befreit, ohne dass die Großen diesen Ausfall ausgleichen wollten.

Scharfe Kritik kommt aus dem EU-Parlament, dessen Umweltausschuss im September seine "tiefe Enttäuschung" über den vorliegenden Entwurf äußerte. "Wir erwarten ein Abkommen, das die Emissionen sinken lässt, und das wird nicht kommen", sagt Peter Liese (CDU), der ein "Ungleichgewicht" erkennt: Die Stahl- und andere Industrien müssten ihren Ausstoß bis 2030 um 43 Prozent senken. Eickhout besteht auf klaren Festlegungen, wie die Kompensation aussehen soll. Außerdem müsse das Abkommen regelmäßig überprüft werden, um es bissiger zu machen.

Aus der Kommission heißt es, angesichts von 191 Staaten, die in Montreal zusammensäßen, müsse man realistisch bleiben. Wichtig sei, dass alle "großen Player" wie die USA und China mitmachten. Ein weltweites Emissionshandelssystem sei illusorisch, nun komme es darauf an, den Ausgleichsmechanismus fair zu gestalten.

Eine zentrale Frage ist, was mit dem europäischen Zertifikatssystem geschieht. Vermutlich wird die EU die Uhr nun dauerhaft anhalten, interkontinentale Flüge also nicht einbeziehen. Kann sie das System wenigstens in Europa beibehalten, neben der globalen Vereinbarung? Die EU-Kommission will darüber in Montreal am liebsten gar nicht verhandeln, man wecke sonst nur "schlafende Hunde".

Bis Donnerstag hatten sich mehr als 60 Staaten bereit erklärt, an dem Mechanismus von Beginn an teilzunehmen, zuletzt auch Katar. Zusammen zeichnen sie für mehr als 80 Prozent des Luftverkehrs verantwortlich. Nach jetzigem Stand soll das Abkommen alle drei Jahre überprüft werden können.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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