Klimaschutz:Die Menschheit überzieht

Lesezeit: 3 min

Mais zur Bioethanol-Produktion in einer Anlage des Agrarkonzerns ADM in Illinois: Das bei dem Prozess anfallende CO₂ wird unterirdisch gespeichert. (Foto: Mark Cowan/Bloomberg)

Weil die Emissionen weiter steigen, muss CO₂ wieder aus der Atmosphäre verschwinden. Aber wie soll das funktionieren?

Von Jan Willmroth, München

Ein Teil der Zukunft des Klimaschutzes liegt gut versteckt unter der Erde von Illinois. Dort, bei Decatur im mittleren Westen der USA, hat eine Pipeline bis vor einem Jahr etwa 1000 Tonnen Kohlendioxid in eine salzhaltige Sandstein-Formation mehr als zwei Kilometer weit in die Tiefe transportiert. So tief unten soll das Gas bleiben, das stellvertretend für die menschengemachte Erderwärmung steht und von dem mit jedem Tag mehr in die Atmosphäre gelangt - bis es irgendwann zu viel wird.

Selbst mit ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen wird die Staatengemeinschaft das verbleibende CO₂-Budget sehr wahrscheinlich überschreiten - und vertraut dabei auf kaum erforschte Technologien, um der Atmosphäre das zu viel ausgestoßene CO₂ später wieder zu entziehen. Das Budget gibt vor, wie viele Treibhausgase noch emittiert werden dürfen, um die Erderwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf zwei Grad zu begrenzen. Der Weltklimarat IPCC hat dafür eine klare Grenze definiert: Zwischen 2011 und 2050 dürfen nur noch 1000 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen. Auch wenn alle Länder ihre Absichtserklärungen einhalten, die sie jetzt zum Klimagipfel nach Paris mitgebracht haben, wird dieses Budget bis 2030 zu drei Vierteln aufgebraucht sein. Danach müssten die Staaten ihre Emissionen sehr drastisch reduzieren. Das würde nicht weniger bedeuten, als die weltweite Energie-Infrastruktur und Industrieprozesse binnen weniger Jahre fast vollständig von fossilen Brennstoffen zu befreien.

Weil das noch immer unrealistisch scheint, wird sich das Klima nur stabilisieren lassen, wenn es gelingt, das zu viel ausgestoßene CO₂ in der Atmosphäre wieder zu binden. "Negative Emissionen sind eine wichtige Voraussetzung, um die Zwei-Grad-Grenze noch einzuhalten", sagt Ottmar Edenhofer, Ökonom am Klimaforschungszentrum MCC in Berlin. Hinter dem Begriff der negativen Emissionen verbirgt sich eine Art Klima-Dispokredit, der sich später mit neuen Technologien zurückzahlen lässt. Dafür werden mehrere Optionen diskutiert, es ließen sich etwa verschwundene Waldflächen wieder aufforsten, damit neu wachsende Bäume vorhandenes Kohlendioxid speichern.

Eine der wichtigsten Technologien heißt "Bio Energy with Carbon Capture and Storage" - kurz BECCS. Dabei werden Energiepflanzen verbrannt, das entstehende CO₂ abgeschieden und unterirdisch gespeichert. "Noch sind viele Fragen nicht geklärt. Daher müssen wir jetzt anfangen, entsprechende Technologien und ihre Nebeneffekte zu erforschen und in Pilotprojekte zu investieren", sagt Edenhofer. Projekte eben wie die Anlage in Illinois, von denen es weltweit derzeit nur 14 weitere gibt.

Dabei müssten solche Anlagen in den meisten Szenarien im großen Stil errichtet werden, um das Emissionsbudget noch einzuhalten. Das zeigt ein Blick in den fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, der als Grundlage der aktuellen Verhandlungen dient. Er enthält 400 Szenarien, in denen Wissenschaftler eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent errechnet haben, die Erderwärmung noch auf zwei Grad zu begrenzen. In 344 davon steckt als implizite Annahme die Anwendung von Technologien, die Klimaschulden ermöglichen. In den übrigen Szenarien erreichen die weltweiten Emissionen schon 2010 einen Höhepunkt - dabei wird der CO₂-Ausstoß selbst aus heutiger Sicht noch einige Zeit weiter ansteigen.

Davon geht auch der am Freitag veröffentlichte neue "Emissions Gap Report" des UN-Umweltprogramms aus. Darin heißt es, Zwei-Grad-Szenarien ohne negative Emissionen seien nicht mehr realistisch. "Die Öffentlichkeit hat aber bislang wenig von diesen Überlegungen mitbekommen", sagt Oliver Geden, Klimapolitik-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Selbst viele Politiker seien sich nicht im Klaren darüber, um welche Dimensionen es gehe. Wie andere Klimaexperten sieht auch er die Gefahr, dass sich mit negativen Emissionen die Verminderung des CO₂-Ausstoßes hinauszögern lässt. Für einen ausreichenden Einsatz der BECCS-Technologie müssten mehrere hundert Millionen Hektar Energiepflanzen angebaut werden, Konflikte mit der Nahrungsmittelproduktion wären absehbar. Zudem müssten bis 2050 jedes Jahr mehrere Gigatonnen CO₂ aus Kraftwerken und Industrieanlagen unter die Erde gepresst werden, um im Plan zu bleiben.

Die Bundesregierung versucht das Thema möglichst zu umgehen - dazu ist die Diskussion um die unterirdische CO₂-Speicherung (CCS) auch viel zu heikel. Man wolle jetzt mit Blick auf den Klimagipfel so viel wie möglich erreichen, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. Eine Debatte über langfristige Szenarien lenke davon eher ab. In Deutschland brauche man CCS angesichts der Energiewende nicht, für andere Länder halte man es aber für eine gute Option. Auch Klimaökonom Edenhofer mahnt, zunächst über Kurzfrist-Ziele zu sprechen. "Die Emissionen sind uns in den vergangenen zehn Jahren aus dem Ruder gelaufen", sagt er. Man müsse erst einmal anfangen, sie zu stabilisieren und dann zu reduzieren. "Noch nicht einmal das haben wir geschafft. Es liegt noch eine große Aufgabe vor uns." Daran kann es keinen Zweifel geben.

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: