Kirche kritisiert Kapitalismus:Evangelium des Reichtums

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Der moderne Kapitalismus ist eine säkularisierte Heilslehre, deren höhere Mächte "freier Markt" und "Gewinnmaximierung" heißen. Die Kirchen wettern gegen die Anbetung dieser Mächte - so schadenfroh wie mit schlechtem Gewissen.

Heribert Prantl

"Noch einmal sei daran erinnert, dass die Wirtschaft im Dienst des Menschen steht": Man kann nicht sagen, dass solche Mahnungen ganz neu sind. Dieser Eingangssatz, der soeben in zahlreichen Variationen Thema war, ist vierzig Jahre alt und stammt von Papst Paul VI., aus seiner Enzyklika über den Fortschritt der Völker. Aber die Kritik der Kirchen ist schon lange nicht mehr so konzentriert und massiv geäußert worden wie nun zum Jahresausklang.

Die evangelische Matthäuskirche vor Türmen der Deutschen Bank im Frankfurter Finanzviertel (Archivfoto vom Juli 2000) (Foto: Foto: dpa)

Wer gehässig sein will, der mag sagen: Das war das (nun etwas schadenfrohe) Lamento der Vertreter der alten Religion gegen die neue Religion. Der moderne Kapitalismus ist ja in der Tat eine säkularisierte Heilslehre, und der Finanzkapitalismus der vergangenen Jahre eine besonders rabiate Ausprägung.

Die höheren Mächte bei diesem neuen Glauben heißen "freier Markt" und "Gewinnmaximierung". Aber auch das ist nicht ganz neu: Der Stahlkönig und spätere Philantrop Andrew Carnegie verfasste im 19.Jahrhundert "Das Evangelium des Reichtums", in dem er die Konzentration großer Vermögen in den Händen der Tüchtigen als Segen für die Menschheit pries. Die Anbetung der sogenannten Finanzprodukte war die Fortschreibung der Carnegie-Lehren.

Der St. Galler Wirtschaftsprofessor Hans Christoph Binswanger, ein profilierter Geld- und Wachstumskritiker, hat die Kirchenähnlichkeit der "Glaubensgemeinschaft der Ökonomen" unter diesem Titel beschrieben. Die Mitglieder dieser Kirche nennen sich Shareholder und ihr Credo beginnt mit dem Satz: "Ich glaube an die Kräfte des Marktes, die alles so wunderbar regieren." Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, hat bei Professor Binswanger studiert und seine Doktorarbeit geschrieben.

Bei Ackermanns beruflichem Wirken merkt man davon wenig. Er steht nicht in der Kritik, weil er mit seiner Bank so schöne Gewinne gemacht hat - sondern wegen seiner Gesten und seiner Reden. Zu allererst mit seinem Victory-Zeichen zum Auftakt des Mannesmann-Prozesses, dann mit irritierend widersprüchlichen Erklärungen während der Finanzkrise wurde er zur Personifikation des maßlosen Managers. Als diese Personifikation hat Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, ihn attackiert: Er erwarte, dass nie wieder ein Vorstandsvorsitzender der größten deutschen Bank ein Renditeziel von 25 Prozent vorgebe, sagte der Bischof.

Undiplomatisch, aber deutlich

Das war nicht diplomatisch, aber deutlich. Ungewöhnlich daran ist, dass ein Kirchenmann sich diese Personifikation zu eigen macht. Das ist heute nicht mehr Usus; früher, zu Zeiten der großen Bußprediger war das anders; auch Martin Luther hat da kein Blatt vor den Mund genommen.

Bei der neuen Heftigkeit der Religionsführer spielt aber wohl auch deren schlechtes Gewissen eine Rolle: Sie waren ausgerechnet in den Spitzenzeiten des Börsenbooms und des Turbokapitalismus mit ihrer Kritik nicht besonders laut - womöglich waren sie selber von den Renditen beeindruckt. Das gilt es jetzt vergessen zu machen.

Und auch Kirchenvertreter waren bei den finanziellen Spekulationen nicht abstinent: Die evangelische Kirche hat Kirchensteuergelder bei Lehman-Brothers und Goldman Sachs verbrannt. Und Anselm Grün, der legendäre Finanzchef der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, hat sich bei seinen Geldanlagen für das Kloster tüchtig verspekuliert.

Wenn Papst und Bischöfe die marktradikale Ökonomie scharf kritisieren, reden sie trotzdem nicht wie die Blinden von der Farbe. Sie haben eine Kompetenz eigener Art: Die Kirchen haben reiche Erfahrungen auf dem Gebiet des Totalitarismus. Aus der Geschichte seiner Kirche etwa weiß der Papst ganz gut, wie menschenverachtend Religionen sein können. Deswegen ist es schon gut, wenn sie die neuen Marktreligionen eindringlich daran erinnern, dass Wirtschaft im Dienste des Menschen steht.

© SZ vom 27.12.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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