Katastrophale Arbeitsbedingungen:Sechs Euro im Monat

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Die Verlierer des Turbokapitalismus: Mehr als 700 Millionen Menschen weltweit arbeiten in ungesicherten Jobs. Vor allem Frauen leiden.

Caspar Dohmen, Berlin

Maria Torero Avalos kneift die Augen zusammen, fädelt einen Faden ein, packt ein T-Shirt und stickt kleine silberne Perlen auf. Ihr Lohn variiert, doch meist zahlt der Zwischenhändler für ein T-Shirt fünf bis zwölf Cent. Monatlich verdient die 48-Jährige kaum mehr als sechs bis acht Euro und damit nur einen Bruchteil des staatlichen peruanischen Mindestlohns von 150 Euro. Avalos ist eine aus dem Heer von Menschen, die weltweit im sogenannten informellen Sektor arbeiten. Das heißt, sie gehen einer regelmäßigen Beschäftigung nach, ohne dass sie sozialversichert sind. Avalos Fall schildern das Siegburger Südwind-Institut und die evangelische Kirche in einer Studie zur informellen Wirtschaft, die sie an diesem Dienstag veröffentlichen.

Textilproduktion in Lima, Peru: Eigentlich beträgt der Mindestlohn 150 Euro, etliche Beschäftigte erhalten aber nur einen Bruchteil. (Foto: Foto:)

Die Autoren beschreiben, dass sich die Arbeitsbedingungen durch die Globalisierung nicht verbessert haben. Vor allem in den ärmeren Ländern sind während der Phase des Turbokapitalismus in den vergangenen zehn Jahren fast ausschließlich informelle Jobs entstanden. Die Menschen arbeiten daheim oder in kleinen, unangemeldeten Firmen. Ihre Jobs sind gering bezahlt und unsicher.

Wenn Steuern und Sozialabgaben fehlen

Der Anteil solcher Arbeitsverhältnisse beträgt laut neuesten Angaben der Welthandelsorganisation (WTO) und der Welthandelsorganisation (ILO) in den Entwicklungsländern knapp 60 Prozent und in den entwickelten Regionen 9,5 Prozent. Mehr als 700 Millionen schwarz Beschäftigte müssen mit einem täglichen Einkommen von weniger als 1,25 Dollar auskommen; dies liegt unterhalb der von der Weltbank festgesetzten absoluten Armutsgrenze und damit reicht das Arbeitseinkommen nicht für eine ausreichende Ernährung. 1,2 Milliarden Menschen haben weniger als zwei Dollar zur Verfügung. Überwiegend sind es Frauen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Unter dem wachsenden Volumen der Schwarzarbeit leiden auch die Staaten, weil ihnen Steuern und Sozialabgaben fehlen.

Für die Autoren von Südwind ist die Errichtung freier Exportzonen ein entscheidender Katalysator für die Ausbreitung ungeschützter Beschäftigung. Ursprünglich hatten die Entwicklungsländer große Hoffnungen auf solche Zonen gesetzt, die sie seit den 1960er Jahren einrichteten. Hier gelten spezielle Anreize wie Zoll- oder Steuervergünstigungen für ausländische Investoren und die Firmen brauchen kaum Arbeits- oder Sozialgesetze befolgen. Zudem sind Gewerkschaften meist verboten. Anfangs produzierten die Firmen arbeitsintensive Produkte wie Textilien oder Unterhaltungselektronik. Heute gibt es dort auch Wissenschaftszentren, Finanzplätze oder Logistik- und Tourismuszentren.

Kaum eine Chance

3500 solcher Exportzonen gibt es in 130 Ländern. Nur in wenigen Ländern hat es sich - gemessen an der Entwicklung der lokalen Wirtschaft - gelohnt, sie zu schaffen. Dazu zählen laut WTO und ILO China, Südkorea und Taiwan. Die UN-Organisationen plädieren für mehr staatliche Regulierung. Ohne Umschulungsmöglichkeiten oder staatliche Fürsorge hätten die prekär Beschäftigten kaum eine Chance, den Sprung aus der Schattenwirtschaft zu schaffen, heißt es. Deswegen plädieren die UN-Organisationen für eine stärkere Regulierung des Arbeitsmarktes und einen stärkeren Ausbau der staatlichen Fürsorge.

Bei der WTO ist dies überraschend, da die Organisation sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten dafür eingesetzt hatte, dass Regeln abgebaut werden - mit teils gravierenden Folgen. So sei die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse deutlich gestiegen, nachdem die Mengenbegrenzungspolitik des WTO für Textil und Bekleidung im Jahr 2004 endete, schreiben die Autoren der Südwind-Studie. Wenige Monate später hatten bereits 150.000 Beschäftigte in 15 Ländern ihre Jobs in der Textilindustrie verloren. Die Reallöhne der Beschäftigten in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie sind in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent gefallen, die Zahl der Überstunden um 25 Prozent gestiegen.

© SZ vom 03.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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