Kanzlerin Merkel:Hoher Besuch

Lesezeit: 2 min

Angela Merkel reist in einem heiklen Moment an. Brasilien befindet sich in heftigen Turbulenzen.

Von Sebastian Schoepp, München

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Brasilien in einem heiklen Moment. Das Land befindet sich in heftigen Turbulenzen, die sich am Wochenende in Massendemonstrationen äußerten, bei denen Hunderttausende gegen Präsidentin Dilma Rousseff auf die Straße gingen. Ihre Beliebtheit hat einen Tiefpunkt erreicht, dabei wurde sie erst im vergangenen Jahr bei der Wahl im Amt bestätigt - wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Grund für ihren Popularitätsverfall sind Korruptionsaffären und eine Wirtschaftskrise. Ziel der deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen am Donnerstag und Freitag wird deshalb sein, das Vertrauen deutscher Investoren in Brasilien wieder zu stärken.

Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind in erster Linie Wirtschaftsbeziehungen, auf rein politischer Ebene sind die Berührungspunkte auch historisch marginal, es dominierte stets ein freundliches beiderseitiges Desinteresse. Mehr als 1200 deutsche Firmen sind in Brasilien vertreten. Bundeskanzlerin Merkel reist mit einem Gefolge von Wirtschaftsvertretern an, das Ziel ist klar, es soll ausgelotet werden, wie es um die politische Stabilität des Landes tatsächlich steht.

Die Proteste werden getragen von der Mittelschicht, die Angst vor dem Abstieg hat

Merkel trifft auf eine Regierung, die sich zuletzt als kaum noch handlungsfähig erwiesen hat. Die Korruptionsaffären, unter anderem in ihrer Arbeiterpartei und bei dem staatlichen Ölgiganten Petrobras, schwächen Präsidentin Dilma Rousseff. Ihr wird vorgeworfen, ihr Wahlkampf 2014 sei mit illegalen Spenden finanziert worden, außerdem saß sie von 2003 bis 2010 dem Verwaltungsrat von Petrobras vor. Zwar konnte ihr persönlich kein Fehlverhalten nachgewiesen werden, ihren Apparat hat sie nach Meinung der rechtskonservativen Opposition allerdings längst nicht mehr unter Kontrolle. Ihren Beteuerungen, sie habe von all dem Unterschleif nichts mitgekriegt, wollen immer weniger Bürger Glauben schenken.

Die Proteste werden getragen von der Mittelschicht, die zwar durch Umverteilungsprogramme Rousseffs und ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva stark angewachsen ist. Allerdings ist es genau diese Schicht, die sich nun durch die Krise verletzlich fühlt. Sie weiß, dass ihr nur der Weg nach unten offensteht. Darüber hinaus sind die Anforderungen an Sauberkeit in der Politik stark gestiegen. Die früher endemische Korruption wird nicht mehr augenzwinkernd hingenommen.

Die Opposition versucht, die Unzufriedenheit auszuschlachten - obwohl sie von Korruption genauso betroffen ist und wenig Alternativen für die Wirtschaft vorzuweisen hat. Vielen liberalen Forderungen ist Rousseff bereits zuvorgekommen, ihr Finanzminister Joaquim Levy ist ein Sparkommissar, eine Art brasilianischer Wolfgang Schäuble, Anhänger von Liberalisierungen. Die Ernennung hat Rousseff viel Rückhalt in ihrer eigenen Anhängerschaft gekostet. Christoph G. Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Hamburger Lateinamerika-Vereins, der wichtigsten Interessenvertretung der deutschen Wirtschaft für den Halbkontinent, sagt: Man werde Brasilien zwar verbunden bleiben, sehe aber mit Sorge einen Rückgang in allen wirtschaftlichen Sektoren. Es gebe allgemein eine große Planungsunsicherheit. Viele Experten werfen Brasilien vor, das Land habe es versäumt, zu Zeiten des Booms ausreichend in Produktivität, Bildung und Forschung zu investieren.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: