Jugend und Geld:Verbotene Schulden

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Jugendliche kommen ohne ihr Smartphone kaum noch aus. Die Rechnung verlieren sie bisweilen aus dem Blick. (Foto: Imago)

Manche Sparkassen dulden es, wenn Minderjährige ihr Konto überziehen - erlaubt ist das nicht. Deshalb interessiert sich jetzt auch die Bundesfinanzaufsicht für diese Fälle.

Von Jan Willmroth, München

Geldgeschäfte setzen Vertrauen voraus, und was wären die Sparkassen noch, wenn sie nicht für Verlässlichkeit stünden? Petra Färber hat sich immer auf ihre Sparkasse verlassen, bis zu dem Tag, an dem ein Brief ihr Vertrauen beschädigte und die Bank es daraufhin völlig zunichte- machte. Ihr Sohn, noch nicht volljährig, war in der Schule, sie zu Hause, im Briefkasten: ein Standardschreiben der Kreissparkasse Heilbronn mit dem Hinweis, das Konto sei nicht gedeckt und eine Lastschrift deshalb nicht ausgelöst worden. Nicht gedeckt hieß, dass ihr Sohn sein Guthabenkonto mit diversen Lastschriften aus Online-Geschäften bereits bis etwa 50 Euro ins Minus gebracht hatte.

Das dürfte eigentlich nicht passieren. Kinder und Jugendliche können Konten eröffnen, wenn ihre Eltern als Inhaber eingetragen sind und die Konten auf Guthabenbasis geführt werden. Eine Überziehung ist dann ausgeschlossen.

Kredite an Minderjährige sind nur in Ausnahmefällen möglich, und schon ab dem ersten Euro müsste ein Familiengericht der Kreditvergabe zustimmen. Doch offenbar nimmt nicht nur die Kreissparkasse Heilbronn die unmissverständlichen Gesetze nicht immer so genau, wenn es um die Konten Minderjähriger geht.

"Diese Fälle gibt es, und ein solches Vorgehen ist keineswegs unüblich", sagt der Sparkassen-Kenner Bernd Nolte, der mit seiner Firma 4P Consulting häufig für die öffentlich-rechtlichen Institute arbeitet. Das sei Teil der Kreditpolitik einer Sparkasse. "Es gibt für solche Fälle kaum allgemeine Regeln, darüber wird besser im Einzelfall entschieden", sagt er. Es gehe dabei weniger um Profitmaximierung, sondern vielmehr darum, den technischen Aufwand zu reduzieren und nicht ständig die Kunden wegen geringer Überziehungen zu kontaktieren. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer anderen baden-württembergischen Sparkasse bestätigt, dass geringe Überziehungen auch bei Guthabenkonten regelmäßig geduldet würden.

Bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen heißt es, solche Fälle gebe es immer wieder, insbesondere bei Sparkassen. Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, sagt: "Ein Guthabenkonto sollte ein Guthabenkonto sein, ohne Wenn und Aber." Oft gibt es aber doch ein Wenn und Aber.

Stellen die Sparkassen also flächendeckend Pragmatismus über Gesetzestreue? Kommt es ihnen gar gelegen, wenn schon Jugendliche sich daran gewöhnen, dass man Konten überziehen kann?

"Uns liegen einige Beschwerden zu dieser Thematik vor."

Petra Färber entdeckte die Überziehung durch Zufall. Sie sagt, es habe sie noch nicht einmal jemand von der Bank kontaktiert, nachdem das Konto ins Minus geraten war. Als sie das Gespräch mit der Sparkasse suchte, stieß sie auf Unverständnis: Eine Angestellte und der Filialleiter erklärten ihr, dass sie das immer so handhabten - falls das Kind eine Busfahrkarte benötige und dann in Schwierigkeiten geraten könne. "Die beiden Mitarbeiter zeigten während des gesamten Gespräches überhaupt kein Einsehen, dass sie falsch gehandelt haben", sagt Färber, die in Wirklichkeit anders heißt. "Ich bin es leid, dass Banken sich nicht an Gesetze und Verträge halten." Was noch viel schlimmer sei: die Tatsache, dass dieses Vorgehen absichtlich so gemacht werde. "Damit werden Jugendliche schon sehr früh an Schulden herangeführt", sagt sie.

Drei Wochen später erhielt Färber ein Schreiben des Qualitätsmanagements ihrer Sparkasse, in dem diese ihr Vorgehen noch einmal rechtfertigt. Überziehungen "in sehr begrenztem Umfang" würden geduldet, um zu vermeiden, dass Minderjährige "zwingend notwendige Ausgaben" nicht bezahlen können. Auf eine Bitte um Stellungnahme mit mehreren detaillierten Fragen reagiert die Kreissparkasse Heilbronn mit einem allgemein gehaltenen Statement des Sparkassenverbands. Minderjährige mit Guthabenkonto könnten Transaktionen nur dann tätigen, wenn das Konto entsprechend gedeckt sei.

Für den Fall interessiert sich jetzt auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) in Bonn. Neuerdings ist sie für Verbraucherschutzfragen zuständig; Bankkunden können bei der Finanzaufsicht Beschwerden einreichen. Solche Fälle seien nicht nur aus zivilrechtlicher Sicht fragwürdig, heißt es seitens der Behörde, das sei auch ein aufsichtsrechtliches Thema. "Uns liegen einige Beschwerden zu dieser Thematik vor", sagt eine Sprecherin. "Hinweise auf ein systematisches Vorgehen haben wir aber nicht." So wie die Verbraucherzentralen ist die Bafin auf konkrete Beschwerdefälle angewiesen. Statistiken dazu, wie häufig Überziehungen von Konten Minderjähriger geduldet werden, gibt es deshalb nicht.

"Die Sparkassen handeln hier aus Rücksicht auf ihren Kunden."

Stattdessen geben die Sparkassenverbände selbst die Hinweise auf ein systematisches Vorgehen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband geht über die allgemeine Stellungnahme hinaus: "Gleichwohl kann es im Tagesgeschäft einzelne Fälle geben, in denen Institute geringe Überziehungen zulassen, um dem Minderjährigen in Ausnahmefällen die Teilnahme am Zahlungsverkehr zu ermöglichen", teilt die Dachorganisation der Sparkassen schriftlich mit. Die Institute achteten dabei sehr genau darauf, dass das Konto schnell wieder gedeckt sei.

Der Sparkassenverband Baden-Württemberg argumentiert ähnlich und gibt zu bedenken, zurückgegebene Lastschriften würden umso teurer, weil dann etwa ein Einzelhändler Schadenersatz verlangt. "Die Sparkassen handeln hier also aus Rücksicht auf ihren Kunden", schreibt der Verband. Würde die Sparkasse solche Lastschriften ausnahmslos zurückgeben, auch wenn es nur um kleinste Überziehungsbeträge geht, "stünde sicher sehr schnell und zu Recht der Vorwurf im Raum, kleinlich und bürokratisch zu handeln".

Vielleicht stünde dann aber auch nicht mehr der Vorwurf im Raum, das Gesetz zu missachten. Das Vertrauen von Petra Färber wäre nicht so schnell zerstört gewesen, wenn sie nicht vor zwei Jahren mit ihrem anderen Kind das Gleiche erlebt hätte. Damals habe sie die Sparkasse schon gebeten, das solle nicht noch einmal vorkommen, sagt sie. "Würden die Banken ihre Kunden so behandeln, wie es sich gehört, müssten sie keine Filialen schließen und könnten ihr Gejammer einstellen."

Nur: Was gehört sich denn nun? Bei Lastschriften auch mal tolerant zu sein, anstatt die Kunden zu nerven und vermeidbare Gebühren zu verursachen? Oder gehört es sich eher, sich doch kleinlich ans Gesetz zu halten, gerade bei Minderjährigen? Für Petra Färber ist die Sache eindeutig. Sie hat die Bank gewechselt und eine Bafin-Beschwerde vorbereitet. Ihr Sohn bekommt sein Taschengeld nur noch in bar.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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