Italienische Unterwäschemarke auf Expansionskurs:"Wir waren noch nie so sexy"

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Die italienische Unterwäschefirma Calzedonia drängt auf den deutschen Markt. (Foto: PR)

Mit Dessous und Bikinis der Marken Calzedonia und Intimissimi hat sich der Unternehmer Sandro Veronesi ins Spitzenfeld der italienischen Modekonzerne vorgearbeitet. Jetzt drängt er auch in Deutschland auf den umkämpften Unterwäsche-Markt - und ist von den deutschen Frauen erstaunt.

Von Ulrike Sauer, Rom

Vor der Show greift der Chef kurz zum Mikrofon. Er spricht vom allgegenwärtigen Pessimismus und davon, dass es an der Zeit sei, mehr zu wagen. Ein Stilwandel sei nötig, um die Neugier der Kundinnen zu wecken, sie trotz der widrigen Umstände zum Kauf zu animieren. Sandro Veronesi, Chef und Gründer des italienischen Wäsche- und Bademodenherstellers Calzedonia, fällt es nicht schwer, das Vertriebspersonal seiner Ladenkette mit wenigen Worten auf die neue Dessous-Kollektion einzustimmen. Und dann beginnt sie, die Show.

800 Unterwäscheverkäuferinnen aus ganz Europa sind aus dem Häuschen. Gebannt verfolgen sie das Defilee der Herbst/Winter-Kollektion auf dem Laufsteg. Veronesi hat dafür vor der Calzedonia-Konzernzentrale bei Verona ein großes Zelt hochziehen lassen und bietet auch sonst einiges auf. Auf dem Catwalk: die 22-jährige Serbin Tamara Lazic und das deutsche Fotomodel Lena Gercke. Die Regie hat sich von den glamourösen "Golden Twenties" inspirieren lassen. Zu insgesamt drei Veranstaltungen hat der Konzern geladen, 2400 Vertriebsmitarbeiterinnen ließ Veronesi dafür einfliegen. Ungewöhnlich für eine Marke, die sich eher auf die unteren Preisklassen konzentriert.

Sinnlicher und weiblicher sei die Dessous-Kollektion diesmal, schwärmen die Marketing-Verantwortlichen des Unternehmens. Veronesi selbst ist da direkter: "Wir waren noch nie so sexy", sagt er fröhlich beim Empfang nach der Show. Spitzen, Strapse, provozierende Nude-Effekte - "der Markt verlangt das von uns". Millionen Frauen hätten Bücher wie "50 Shades of Grey" gelesen. Wer die Erotik-Bestseller der Britin E.L. James verschlungen habe, greife nicht mehr zu biederer Wäsche.

Veronesi hat es mit dieser Kundenorientierung weit gebracht. 3500 Läden in 30 Ländern zählt sein Unternehmen inzwischen - und liegt damit schon in der Spur großer internationaler Bekleidungskonzerne wie Zara oder H&M. Nach und nach kamen immer weitere Marken hinzu. Gestartet war Veronesi einst mit Calzedonia, er bot Strümpfe an und später Bademode. 1996 folgte Intimissimi, das Dessous-Label, wenig später die etwas jüngere Linie Tezenis und seit einigen Jahren gibt es das Label Falconeri für Kaschmir.

Was ist der Schlüssel für diesen Erfolg? "Unsere Spezialisierung", sagt der Unternehmensgründer. Dadurch sei es möglich, sich stark auf anderes konzentrieren - auf die Materialien, die Passformen und den effizienten Produktionsablauf. "Wir wollen weiter wachsen, aber im Wesentlichen auf Unterwäsche spezialisiert bleiben", sagt Veronesi.

Calzedonia steckt eine Menge Geld in die Produktion von aufwändigen Werbekampagnen. (Foto: Calzedonia)

Hinter dem heute 53 Jahre alten Unternehmer liegt ein beachtlicher Aufstieg. In nur 25 Jahren hat sich der Wäschehersteller ins Spitzenfeld der italienischen Modebranche vorgearbeitet. Mit einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro rangiert seine Calzedonia-Gruppe heute auf Platz 4 der Branche - hinter Prada, Benetton, Armani und gleichauf mit Diesel. Aber noch vor bekannten Luxushäusern wie Max Mara, Zegna, Dolce & Gabbana und Ferragamo. Vor allem eines aber unterscheidet ihn von allen anderen: Veronesi ist international noch immer der große Unbekannte. Im vergangenen Jahr nahm Bloomberg den Selfmademan erstmals in seinen Billionaires Index auf, die Rangliste der Milliardäre weltweit. Ein Italiener, ausgerechnet jetzt, mitten in der Krise. Die Agentur bezifferte sein Vermögen mit zwei Milliarden Dollar.

Veronesi hat klein begonnen. 1987 machte er seinen ersten Strumpfladen in Verona auf, wenige Schritte von der Universität entfernt, an der er drei Jahre zuvor das Wirtschaftsstudium abgeschlossen hatte. 27 Jahre alt war er damals. Der Anfang war schwer. Der Jahresumsatz von 70 Millionen Lire entspricht heute umgerechnet etwa dem Euro-Ladenumsatz eines Tages.

Unterwäsche als "demokratisches Produkt"

Was reizt einen jungen Mann am Strumpfhosengeschäft? "Niemand glaubte damals an reine Strumpfläden", sagte Veronesi während des Interviews in seinem Büro, einem ballsaalgroßen Raum, umgeben von Glaswänden. Mitten drin: ein zehn Meter langer Naturholztisch. Veronesi hat sich an die Stirnseite gesetzt, vor sich einen Stapel weißes Papier. Während er redet, fertigt er Blatt für Blatt Skizzen an.

Sicher, erzählt er, es gab damals zwar Marken wie Fogal oder Wolford, aber die spielten in der Premium-Klasse. Feine Strümpfe, edle Unterwäsche, das konnten sich nur die Reichen leisten. Er wollte das ändern, wollte gute Qualität zu günstigen Preisen bieten, eine Mode für alle. "Ich wollte ein demokratisches Produkt verkaufen", sagt er. Ein Prinzip, an dem er bis heute festhält.

Die aktuelle Wirtschaftskrise scheint sein Geschäft nicht zu behindern, Veronesi treibt die Expansion ungehindert voran. Im Rezessionsjahr 2012 steigerte Calzedonia den Umsatz um 16 Prozent. Auf die Konsumflaute reagiert Veronesi nicht mit Kosten- und Stellenabbau, sondern mit Investitionen. Noch erzielt das Unternehmen die Hälfte seines Geschäfts im angeschlagenen Italien. Das soll sich ändern.

In der europäischen Handelsbranche fällt Calzedonia aus dem Rahmen. Die Kollektion wird im Haus von einem eigenen Designerteam entworfen, die Ware in eigenen Fabriken hergestellt und in eigenen Geschäften verkauft. "Es ist bei uns wie in einem mittelalterlichen Kloster, alles ist selbst gemacht", sagt Veronesi. Gefertigt wird vorwiegend in Billiglohnländern. Allerdings nicht bei Sub- oder gar Sub-Subauftragnehmern. Die Calzedonia-Gruppe betreibt eigene Fabriken, vier in Sri Lanka, zwei in Kroatien, jeweils eine in Rumänien, Bulgarien und Serbien. "Wir stehen mit unserem Namen gerade", betont Veronesi, um sich von jenen Konkurrenten abzugrenzen, die sich wenig um die Produktionsbedingungen in ihren Werken scheren. Seine Fabriken in Sri Lanka sähen nicht viel anders aus als in Europa, sagt Veronesi. Die Arbeiterinnen hätten einen Achteinhalb-Stunden-Tag mit Frühstück und Mittagessen, erzählt er. Calzedonia siedelte die Nähereien nicht in den großen Industriegebieten an, sondern auf dem Land. Ein Bus klappert morgens durch die Dörfer der Umgebung und holt die Frauen ab.

Erfolg, sagt Veronesi im Gespräch, erfordere die Bereitschaft, sich täglich zu erneuern. "Der Markt schrumpft. Wer sich nicht ständig verbessert, fällt automatisch zurück", sagt er. In der konservativen Welt der Unterwäsche ist das nicht einfach. Eine Jacke ließe sich unendlich variieren. "Aber ein Büstenhalter? Zwei Körbchen, Träger, Rückenteil - viel ist da nicht zu machen." Umso mehr zwingt ihn das, seinen Erneuerungsdrang auf andere Gebiete zu lenken. Auf die Kommunikation. Den Vertrieb. Das Material. Und den Preis. Doch auch da ist der Spielraum begrenzt. Da man einen BH nicht sieht, taugt er nicht als Statussymbol. Nur wenige Menschen sind bereit, viel Geld für Wäsche auszugeben. Das Luxussegment der Branche ist daher klein.

Investieren, um aufzufallen

Gereizt hat es Veronesi dennoch, in diesen Markt einzusteigen. Vor wenigen Monaten versuchte er, eine Glamour-Marke zu übernehmen: die italienische La Perla. Doch bei der Versteigerung wurde er von einem Finanzinvestor überboten. La Perla ist kein Einzelfall. Fast alle Dessous-Marken seien inzwischen in der Hand von Private-Equity-Firmen, klagt der Unternehmer. "Diese Leute haben keine Ahnung vom Geschäft." Ihm selbst jedenfalls sind sie noch nicht wirklich in die Quere gekommen.

Bei der Expansion profitiert der italienische Wäscheriese vom Trend zur Europäisierung der Bekleidungsmarken. Noch fehlt dem Kontinent eine Dessous-Ladenkette vom Format des kalifornischen Anbieters Victoria's Secret. Und genau das ist für Veronesi das Ziel: "Europas Victoria's Secret werden", sagt er. Der Calzedonia-Chef hatte sich zunächst auf die wachstumsstarken Märkte in Osteuropa gestürzt. Russland ist nach Italien sein wichtigster Kunde. Nun richtet er sein Augenmerk auf Deutschland und Frankreich.

Er hat lange gezögert, bevor er den Schritt nach Deutschland machte. Wegen der Dimension des Marktes und der Präsenz alteingesessener Konkurrenten, sagt er. "Man muss sehr viel mehr investieren, um aufzufallen", sagt er. Vor zwei Jahren eröffnete er den ersten Laden in Deutschland, inzwischen sind es 50. Für das laufende Jahr sind 30 Neueröffnungen geplant, 2014 mindestens 50. Am schnellsten soll sich die Strumpf- und Bademoden-Kette Calzedonia ausbreiten, hier sieht er das größte Potenzial. Und wie sieht er die deutschen Frauen? Verblüfft, sagt er, habe ihn ihr Geschmack: "Sie greifen zu den modischsten Modellen."

© SZ vom 30.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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