Italien:Freihandel? Aber ja!

Lesezeit: 2 min

Südlich der Alpen sieht man TTIP recht gelassen. Man verspricht sich davon vor allem: mehr Wachstum und viele neue Jobs.

Von Ulrike Sauer, Rom

Das Mantra des Italieners, der sich als Europas glühendster Anhänger des transatlantischen Handelsabkommens bezeichnet, lautet: "TTIP ist das Wichtigste, was die EU heute für das Wachstum tun kann." Und weil Italien nichts sehnsüchtiger erwartet als Wachstum, setzt sich Vize-Industrieminister Carlo Calenda unermüdlich für den Abschluss der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten ein. Die Partner müssten die Chance nutzen, das Steuer der Globalisierung zu ergreifen.

Gemessen an der aufgeheizten Stimmung in Deutschland und der dortigen Mobilmachung gegen das Freihandelsabkommen wirkt das Klima südlich der Alpen sonderbar gelassen. Außenminister Paolo Gentiloni fürchtet die Ausbreitung von Protektionismus, Nationalismus und Sanktionen. "Italien stand immer auf der anderen Seite der Barrikade und setzt sich traditionell für den Abbau der Schranken ein", sagte er kürzlich auf einem Diskussionsforum, das die Mailänder Bank Unicredit in Rom zum Reizthema TTIP organisiert hatte. Gentiloni erinnerte daran, dass der Export Italien geholfen hat, die schweren Krisenjahre zu überstehen. Das Forschungsinstitut Prometeia schätzt, dass bei einem Abschluss die italienische Wirtschaftsleistung um 5,6 Milliarden Euro höher ausfallen würde. Das entspräche 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Ökonomen geben den Beschäftigungseffekt mit 30 000 neuen Stellen in drei Jahren an.

"Nie hat es so transparente Verhandlungen gegeben."

Calenda wirbt damit, dass Italien zu den größten TTIP-Gewinnern gehören würde. Das liege an seiner Produktspezialisierung und an der starken Dominanz kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Der italienische Export, der durch nichttarifliche Handelsschranken behindert wird, sei doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. So sind 70 Prozent der italienischen Lebensmittelexporte in die USA von nichttariflichen Barrieren betroffen.

Calenda kämpft mit offenem Visier. Den Vorwurf der Geheimniskrämerei hält er für unredlich. "Nie hat es so transparente Verhandlungen gegeben", sagt er. Unter italienischer EU-Ratspräsidentschaft sei 2014 für die Veröffentlichung des Mandats an die europäischen Unterhändler gesorgt worden. Auch andere Angriffe gründen seiner Ansicht nach auf Vorurteilen. So werde durch TTIP weder der Import genmodifizierter Produkte erleichtert, noch verschlechtere sich der Sicherheitsstandard für Gesundheit und Umwelt. Hinter dem Misstrauen vermutet er eine antikapitalistische und antiamerikanische Ideologie. Es sei doch erstaunlich, dass ein Handelsabkommen mit Vietnam kurz vor dem Abschluss steht und scheinbar niemanden irritiert. Das Gefälle zu den Standards des südostasiatischen Landes sei weitaus größer als zu den USA.

Auch die Ablehnung der vorgesehenen Schutzklauseln für Investoren (ISDS) hält Calenda für einen Vorwand. Die europäischen Staaten seien an 1400 bilateralen Abkommen über Investitionen beteiligt, von denen 95 Prozent einen Investorenschutz nach dem Muster von ISDS enthalten, wendet er ein.

Da die USA parallel über den Abschluss eines Freihandelsabkommen mit den zehn Pazifikanrainern (TTP) verhandeln, könnte eine Freihandelszone entstehen, die 63 Prozent des Welthandels umfasst. "Es würde dann ein formidabler Druck auf die boomenden Schwellenländer entstehen, sich endlich unseren Waren zu öffnen", sagt Calenda.

© SZ vom 20.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: