Investitionen:Früher und mehr

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Wie Deutschland mehr Fachkräfte statt Schulabbrecher bekommt - mit Investitionen in frühkindliche Bildung.

Von Alexander Hagelüken

Vor einigen Jahren legte die Bundesregierung mit einigem Wirbel ein sogenanntes Bildungspaket auf. Der Vorstoß sollte Einkommensschwächeren mehr Teilhabe ermöglichen. Zum Beispiel Eltern Nachhilfe für ihre Kinder. Die Durchschlagskraft der kompliziert organisierten Maßnahme ist begrenzt: Nur vier Prozent der Eltern benachteiligter Kinder beantragen oder erhalten finanzielle Zuschüsse für die Nachhilfe. Viele Eltern wissen von dieser komplexen Prozedur nichts. "Deutschland könnte mehr für die Chancengerechtigkeit tun", befindet Julia Bredtmann vom Essener RWI-Institut.

"Es gibt in Deutschland zwei wesentliche Treiber der Chancenungleichheit", analysiert der Ifo-Ökonom Ludger Wößmann: "Zu wenig frühkindliche Bildung und zu frühe Aufteilung auf Schultypen wie Gymnasium, Haupt- und Realschule". In Kitas lassen sich herkunftsbedingte Defizite ausgleichen. Kinder lernen Fähigkeiten und soziales Verhalten, durch die sie in der Schule besser klarkommen. Die Bundesrepublik hat beim Kita-Ausbau aufgeholt. Doch nach wie vor sind Gebühren für Wenigverdiener eine Hürde. Und die Qualität der Einrichtungen muss besser werden, mahnt Wößmann: "Es braucht das anregende Klima, in dem Kinder die Welt entdecken wollen, und keine Verwahranstalten." Damit sich ein Erzieher nur um drei Kinder unter drei Jahren kümmern muss statt um doppelt oder drei Mal so viele, müssten 100 000 Erzieher zusätzlich angestellt werden, so die Bertelsmann-Stiftung. Skandinavische Länder geben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt drei Mal so viel für die Betreuung von Kindern unter sechs Jahren aus wie Deutschland.

Erster ist die Bundesrepublik dafür in einer anderen Disziplin: Sie teilt die Kinder bereits mit zehn Jahren auf Gymnasium und andere Schulformen auf. Anderswo ist das erst mit 14 oder gar 16 Jahren der Fall. Die deutsche Eiligkeit ist ein Nachteil. Mit zehn Jahren, also vor der Aufteilung, klaffen die oft herkunftsbedingten Leistungsunterschiede deutscher Schüler nicht stärker auseinander als in anderen Industriestaaten. Bis zum Ende der Mittelstufe, mit etwa 15, sind die Unterschiede viel größer geworden als in anderen Nationen. So verstärkt das deutsche System Ungleichheiten, statt sie zu reduzieren. Allein dadurch, dass jeder fünfte 15-Jährige leistungsmäßig auf Grundschulniveau stagniert, verliert Deutschland auf lange Sicht drei Billionen Euro, errechnet Wößmann - die Wirtschaftsleistung eines Jahres.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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