Internet:Bundesregierung mit langer Leitung

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Wer in Deutschland ein offenes Wlan anbietet, soll endlich besser vor Abmahnungen geschützt werden. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries verspricht den großen Wurf.

Von Simon Hurtz, München

Die Bundesregierung hat es eingesehen: Ihr Wlan-Gesetz taugt wohl doch noch nicht dazu, Deutschland in einen echten Digitalstandort voller offener Hotspots zu verwandeln. Nach jahrelangen Verhandlungen, etlichen Entwürfen, absurden Diskussionen um Vorschaltseiten, Sicherungsmaßnahmen und Nachweispflichten ist jetzt klar, dass das Wirtschaftsministerium noch einmal nachbessert. Der neue "Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes" hat vor allem zwei Ziele. Wer ein offenes Wlan anbietet, soll nichts zahlen müssen, wenn Dritte in seinem Netzwerk gegen das Urheberrecht verstoßen - weder in Form von Schadenersatz, noch indirekt über teure Unterlassungserklärungen oder Anwaltskosten. Außerdem will das Wirtschaftsministerium verhindern, dass Wlan-Anbieter gezwungen werden, den Zugang mit Passwörtern zu schützen, persönliche Daten der Nutzer abzufragen oder das Angebot komplett einzustellen.

Das aktuelle Gesetz befreit Betreiber zwar von Schadenersatzansprüchen, Abmahnanwälte verschicken aber weiter Unterlassungserklärungen und verdienen damit Geld. Sollte der Referentenentwurf in dieser Form beschlossen werden, wäre die Störerhaftung endgültig Geschichte.

Was Wlan-Betreiber und Nutzer freut, könnte Urheber verärgern - oder vielmehr Musiklabels und Filmstudios, die meist die Rechte an den Werken halten. Damit sie nicht tatenlos zusehen müssen, wenn urheberrechtlich geschützte Inhalte illegal weiterverbreitet werden, sollen sie von Hotspot-Anbietern verlangen können, den Zugang zu bestimmten Seiten wie etwa Tauschbörsen zu sperren. Diese Maßnahme ist aber ausdrücklich als letztes Mittel vorgesehen. Rechteinhaber müssen zuvor alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Unklar ist, was unter einer "zumutbaren und verhältnismäßigen Sperre" zu verstehen ist. Das wird im Gesetzentwurf selbst nicht näher definiert. Die zugehörige Gesetzesbegründung bringt etwa Portsperren direkt am Router ins Spiel, wie sie bei den meisten modernen Geräten möglich sind. Fest steht, dass Wlan-Betreiber auch in diesem Fall nicht selbst zahlen müssen. Das Wirtschaftsministerium gesteht ein, dass der vergangene Versuch, Abmahnungen zu verhindern, nicht den gewünschten Erfolg hatte. Spätestens, als der Europäische Gerichtshof im September auf Grundlage des Telemediengesetzes urteilte, dass Wlan-Betreiber den Zugang zum Hotspot unter Umständen mit einem Passwort schützen müssen, ist der Bundesregierung klar geworden, dass Nachbesserungsbedarf besteht.

Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries verspricht den großen Wurf

Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries ist überzeugt, dass diesmal der große Wurf gelungen ist. "Nach langen Debatten machen wir jetzt einen großen Schritt: "Wir schaffen den gesetzlichen Rahmen, damit deutschlandweit offenes Wlan eingeführt werden kann", sagt Sigmar Gabriels Nachfolgerin. "Ich erwarte nun einen Schub für viele offene Wlan-Hotspots, die wir für eine digitale Gesellschaft auch brauchen."

Gabriel hatte mit seiner "Digitalen Agenda" keinen großen Erfolg. Viele ländliche Gebiete warten immer noch auf Breitbandanschlüsse - im Jahr 2017, wo Länder wie Kanada schnelles Internet mit 50 Mbit/s zum Grundrecht erklärt haben. Die Durchschnittsgeschwindigkeit in Deutschland liegt bei 13,6 Mbit/s. Deutsche zahlen so viel für ihre Handy-Verträge wie Menschen in kaum einem anderen europäischen Land, gleichzeitig gibt es kaum öffentliches Wlan - in Estland seit Jahren Standard. Zumindest die Zahl der offenen Hotspots könnte dank des neuen Gesetzes bald steigen. Ein bisschen Geduld ist aber nötig: Aktuell läuft die Ressortabstimmung, dann werden Stellungnahmen von Ländern und Verbänden eingearbeitet, bevor Kabinett und Bundestag zustimmen müssen. Bis "spätestens Ende des Jahres" soll die Störerhaftung in Deutschland Geschichte sein, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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