Großbritannien:Links überholt

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Schön frittiert: Fish and Chips gibt es in vielen Pubs. Die leiden nun unter dem höheren Mindestlohn. (Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images)

Die konservative Regierung erhöht den Mindestlohn und führt eine Lehrstellen-Abgabe ein: klassisch sozialdemokratische Politik.

Von Björn Finke, London

Zurück aus seinem Urlaub in Cornwall und Portugal gibt sich der konservative Premier angriffslustig. "Wir sind heute die wahre Partei der arbeitenden Bevölkerung in Großbritannien", schreibt David Cameron in einem Gastbeitrag in der Times: eine Spitze gegen die Opposition der Labour-Partei. Und tatsächlich präsentiert sich der selbst ernannte Arbeiterführer in dem Artikel als Beschützer der Armen und Ausgebeuteten - und als Feind raffgieriger Unternehmer. Der Konservative preist das Vorhaben seiner Regierung, den Mindestlohn schrittweise um etwa 40 Prozent zu erhöhen. Und er kündigt an, die Strafe für Verstöße gegen diese Lohnuntergrenze zu verdoppeln.

Deutlich mehr Geld für Geringverdiener, härtere Strafen für Manager - und das von den traditionell wirtschaftsfreundlichen Konservativen: verkehrte Welt im Vereinigten Königreich.

Unternehmer und Verbandsvertreter warnen bereits, die kräftigen Zuschläge gefährdeten Jobs und könnten kleine Betriebe in die Pleite treiben. Bislang müssen Firmen 6,50 Pfund pro Stunde zahlen. Von April an sind 7,20 Pfund fällig, und im Jahr 2020 sollen es mehr als neun Pfund sein für Beschäftigte, die älter als 25 sind.

In Deutschland ließ der Mindestlohn die Taxipreise steigen

Das sind umgerechnet 13 Euro - dagegen wirken die 8,50 Euro in Deutschland kleinlich. Trotzdem begleiteten die Einführung des Mindestlohns hierzulande zu Jahresbeginn ähnliche Warnungen wie nun in Großbritannien. Bisher haben sich die düsteren Prophezeizungen aber nicht erfüllt. Zwar fielen eine Viertelmillion Minijobs weg, Taxifahren wurde in vielen Städten teurer, kleine Dienstleister in Ostdeutschland klagen über die Kosten, doch im Großen und Ganzen bereitet der Mindestlohn keine ernsthaften Probleme.

Die ungewöhnliche Liebe britischer Konservativer zu hohen Mindestlöhnen hat einen schnöden Grund: Die Firmen sollen so die Folgen staatlicher Sparpolitik ein wenig abfedern. Schatzkanzler George Osborne, der als möglicher Nachfolger des Premiers gilt, will bis 2019 die notorischen Haushaltsdefizite in einen Überschuss verwandeln. Das Königreich soll also Schulden zurückzahlen, anstatt neue aufzunehmen. Deswegen muss die Regierung Ausgaben kappen - allein im Sozialen will der Eiserne Schatzkanzler umgerechnet 17 Milliarden Euro einsparen.

Das wird in erster Linie Geringverdiener treffen. Deren Einbußen soll der höhere Mindestlohn teilweise ausgleichen. Etwa 2,7 Millionen Beschäftigte werden von den Anhebungen profitieren. Die arbeiten vor allem in Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel, Landwirtschaft sowie für Putz- und Pflegedienste. Die steigenden Kosten könnten für zahlreiche Pubs das Aus bedeuten, klagen Betreiber.

Die Regierung rechnet allerdings nicht damit, dass ihr Vorhaben die Arbeitslosigkeit nennenswert erhöhen wird. Zumal die Konservativen gleichzeitig die Unternehmensteuern von ohnehin niedrigen 20 auf 18 Prozent senken - Steueroase Großbritannien.

Finanzminister Osborne hofft sogar, dass die höheren Löhne ein hartnäckiges Problem der britischen Wirtschaft lösen helfen: die niedrige Produktivität. Im internationalen Vergleich wird in britischen Büros und Fabriken nicht sehr effizient gearbeitet; die Untertanen Ihrer Majestät schaffen weniger als Kollegen auf dem europäischen Festland. Ein Grund dafür ist, dass sich Unternehmen bei Investitionen in moderne Anlagen und Systeme zurückhalten.

Der höhere Mindestlohn soll die Manager dazu zwingen, mehr zu investieren, damit die Beschäftigten dank besserer Technik ihre höheren Lohnkosten wieder hereinholen können. Volkswirte bezeichnen diesen Effekt steigender Gehälter als Produktivitätspeitsche.

Managern, die zu wenig Gehalt zahlen, drohen 15 Jahre Berufsverbot

Die Kombination aus höheren Gehältern und gekürzten Sozialleistungen soll zudem mehr Menschen unabhängig vom Sozialstaat machen. Osbornes Kalkül: Bürger, die kein Geld vom Staat erhalten, sind eher geneigt, bei Wahlen den Konservativen und nicht Labour ihre Stimme zu geben - dann würde der Mindestlohn auch noch dem Machterhalt der Tories dienen.

Bei Jungwählern wiederum kommt sicher gut an, dass die Konservativen bis 2020 drei Millionen Ausbildungsplätze in Unternehmen schaffen wollen. Da die Regierung aber zugleich sparen möchte, sollen die Firmen das Geld für die nötigen Förderprogramme selbst aufbringen - mit einer Ausbildungsplatz-Abgabe, einer Sondersteuer für große Unternehmen.

In Deutschland gilt so eine Abgabe als klassische SPD-Politik, in Großbritannien bedient sich ihr nun die Partei der Eisernen Lady, Margaret Thatcher.

Britische Medien zitieren einen ungenannten Minister mit einer unschmeichelhaften Begründung für diese Abgabe: Um die Zahl der Lehrstellen zu erhöhen, müsse die Regierung eben "den Unternehmen in ihre faulen Hintern treten".

Auch der Premier selbst nutzte in seinem Zeitungs-Beitrag am Dienstag harte Worte. Cameron kündigte an, Mindestlohn-Kontrollen zu verschärfen und Managern, die zu wenig zahlen, bis zu 15 Jahre lang das Führen einer Firma zu verbieten. Die Höhe der Geldstrafen wird verdoppelt. Schon jetzt veröffentlicht die Regierung im Internet Listen mit Namen überführter Betriebe - ein Pranger für Geizhälse. "Die Botschaft an skrupellose Arbeitgeber ist klar: Zahle deiner Belegschaft zu wenig, und du wirst dafür den Preis zahlen", schrieb der Konservative. Ein linker Gewerkschaftsführer hätte das nicht schöner formulieren können.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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