Großbritannien:Klassenkampf

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Die Labour-Partei rückt nach links, die regierende Konservative Partei nach rechts: Großbritannien ist in Sachen Sparkurs gespalten.

Von Björn Finke, London

Manchmal müssen Ideen eben erst reifen. Oder auch Textpassagen. Jeremy Corbyn, neuer Vorsitzender von Labour, hielt in dieser Woche eine umjubelte Rede auf dem Parteitag im südenglischen Brighton. Doch nun kommt heraus, dass ein Redenschreiber Teile des Sermons schon in den Achtzigerjahren verfasst hatte. Mehrere Parteichefs zeigten nacheinander kein Interesse an den Ergüssen, aber Corbyn, dem frisch gekürten Hoffnungsträger, gefielen die Ausführungen.

Das passt: Denn in Sachen Wirtschaftspolitik setzt der Parteilinke ebenfalls auf Labour-Ideen aus den Achtzigerjahren. Also aus einer Zeit, bevor Tony Blair der Partei einen Modernisierungskurs aufzwang, sie in die politische Mitte rückte und drei Wahlen gewann. Der 66-jährige Corbyn steht für die Rolle rückwärts, für klassische linke Positionen: vorwärts in die Vergangenheit. Zugleich verfolgen die Konservativen, die Tories, als Regierungspartei radikalere Ansätze, seit sie bei den Wahlen im Mai die absolute Mehrheit der Mandate errangen. Schließlich müssen sie jetzt keine Rücksicht mehr auf die Liberaldemokraten als Koalitionspartner nehmen.

Die einen schwenken nach rechts, die anderen nach links - bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik, einem der wichtigsten Themen für die Wähler, sind die Unterschiede zwischen britischer Regierung und Opposition so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr: ein gespaltenes Land.

Labour-Chef Corbyn verlor bei seiner Parteitags-Rede wenig Zeit, bevor er auf Wirtschaftspolitik zu sprechen kam. Und er griff die Regierung frontal an: "Labour wird den Sparkurs bekämpfen. Wir werden unsere Wirtschaft kompromisslos umbauen, um Ungleichheit zu verringern und Arbeitnehmer besser zu schützen." Jener Sparkurs ist ein Pfeiler der Wirtschaftspolitik von Premier David Cameron und Schatzkanzler George Osborne.

Arm gegen reich, Protestler gegen das Establishment: Ein Zuschauer beim Pferderennen speist vornehm, und ein Punk blickt bei auf die Irische See. (Foto: Hackett/Reuters; Furlong/Getty Images)

Seit die Konservativen das Ruder 2010 inmitten der Finanzkrise übernahmen, bemühen sie sich, das Haushaltsdefizit zu senken. Es ist im Vergleich zu anderen Staaten aber immer noch hoch: In diesem Jahr soll es 3,7 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, und das, obwohl die Konjunktur gut läuft. Schätzungen zufolge wird Großbritanniens Wirtschaft 2015 wieder schneller wachsen als die aller anderen G-7-Staaten, also der sieben wichtigsten Volkswirtschaften. Das ist in den vergangenen beiden Jahren auch schon so gewesen.

Bis 2019 will Finanzminister Osborne die notorischen Defizite in einen Überschuss verwandeln. Dafür verordnet er seinen Ministerkollegen einen harten Sparkurs. Allein im Sozialen will der Eiserne Schatzkanzler die Ausgaben um 17 Milliarden Euro verringern. Dabei hat er hier bereits seit 2010 kräftig gekürzt. Trauriges Ergebnis: Die Zahl der Nutzer von Lebensmittel-Tafeln hat sich vervielfacht. Obwohl die Arbeitslosigkeit rasant zurückgegangen ist, können sich immer mehr Arme nicht mehr ihr täglich Essen leisten.

Ähnlich umstritten wie die neuen Sparrunden ist der "Trade Union Bill". Dieses Gewerkschafts-Gesetz soll Streiks deutlich erschweren in Branchen, auf die Bürger angewiesen sind, etwa bei Bussen und Bahnen oder in Kindergärten. Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, hätte an dem Vorhaben ihre helle Freude gehabt. Die Tories senden so die klare Botschaft aus, dass sie nun, ohne Koalitionspartner, einen härteren Kurs verfolgen werden. Gewerkschaften kündigen erbitterten Widerstand an.

Labour-Chef Corbyn lehnt jenes Gesetz selbstredend ebenfalls ab. Und statt Sparpolitik fordern er und sein finanzpolitischer Sprecher John McDonnell mehr Investitionen der Regierung sowie höhere Steuern für Reiche und Unternehmen. Außerdem will Corbyn die Bahn wieder verstaatlichen - der Parteitag verabschiedete einen entsprechenden Beschluss.

Corbyn hatte vor seiner Wahl zum Vorsitzenden im Sommer ein wirtschaftspolitisches Programm veröffentlicht: "The Economy in 2020", acht Seiten. Seine Ideen wurden schnell Corbynomics getauft. Zu den umstrittensten Vorschlägen gehört die "quantitative Lockerung fürs Volk". Notenbanken wie die Europäische Zentralbank oder die Bank of England kaufen Anleihen, um Geld ins Finanzsystem zu pumpen, Kredite billiger zu machen und die Konjunktur anzukurbeln. Das heißt im Fachjargon quantitative Lockerung. Corbyn geht einen entscheidenden Schritt weiter - er will, dass die Währungshüter mit ihrem frisch gedruckten Geld Investitionen finanzieren, etwa für sozialen Wohnungsbau.

Kritiker fürchten, dass diese Aufgabe die Autorität der Bank of England als Hüter der Preisstabilität untergraben würde; dem Königreich drohte dann hohe Inflation. Seit er zum Vorsitzenden gekürt wurde, redet Corbyn allerdings nicht mehr so viel über diese exotische Idee.

Dafür verkündete sein Finanzpolitik-Fachmann, der Schatten-Schatzkanzler McDonnell, die Bank of England brauche eine neue Zielsetzung. Inflation zu bekämpfen reiche nicht, die Notenbank solle sich auch für Wachstum, den Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Einkommen verantwortlich fühlen, sagte er auf der Konferenz. Immerhin beteuerte er, dass das Institut unabhängig bleiben solle, also nicht der Regierung unterstellt würde.

Thomas Piketty und Joseph Stiglitz beraten nun die Opposition

Um Labours wirtschaftspolitische Kompetenz zu stärken, gründet die Partei ein Beratergremium, das sich alle drei Monate trifft. Mitglieder sind sieben eher links stehende Ökonomen, darunter bekannte Namen wie Thomas Piketty und der Nobelpreis-Träger Joseph Stiglitz.

Bei einem klassischen linken Thema waren aber die regierenden Konservativen schneller als Labour. Schatzkanzler Osborne versprach jüngst völlig überraschend, den Mindestlohn bis 2020 schrittweise um etwa 40 Prozent zu erhöhen. Die Unternehmen sollen über ihre Gehaltszettel die harschen Kürzungen bei den Sozialleistungen zumindest teilweise auffangen.

Labour ist offenbar nicht die einzige Partei, welche die Wirtschaft gerne mal zur Kasse bittet.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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