Großbritannien:Die Briten spinnen wieder

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Renaissance nach dem Niedergang: In Manchester, dem einstigen Zentrum der Baumwoll-Industrie, eröffnet dieser Tage wieder eine Spinnerei. (Foto: Sebastiao Moreira/dpa)

Manchester war das Zentrum der Baumwoll-Industrie, dann kam der Niedergang. Jetzt eröffnet wieder eine Spinnerei.

Von Björn Finke, Dukinfield

In der Halle kreischt eine Säge. Auf der Hebebühne steht ein Techniker und befestigt eine Röhre an einem großen grauen Klotz. An dessen Seite hängt ein Montageplan. Der ist auf Deutsch, denn dieser Klotz ist eine Textilmaschine Made in Germany, deutsche Wertarbeit vom Mittelständler Trützschler. Das Gerät reinigt Baumwolle, bläst Samen und Dreck aus den fluffigen Fasern. Die Baumwolle lagert draußen, vor der Fabrik, in prall gefüllten Säcken, die sich in Frachtcontainern stapeln.

Noch sieht das Werk in Dukinfield, einer Kleinstadt bei Manchester, wie eine Baustelle aus. Kabel werden verlegt, Wände gestrichen, Anlagen installiert und getestet. Doch Ende dieser Woche soll es losgehen. Dann werden sich die Spindeln der sechs Spinnmaschinen 25 000 Mal in der Minute drehen und aus flauschiger Baumwolle Garn gewinnen. 1200 Spindeln rotieren auf jeder Maschine, ebenfalls deutsche Fabrikate. Firmenchef Andy Ogden ist aufgeregt: "Meine Finger jucken schon. Nach der jahrelangen Planung ist es nun so weit."

Im Vergleich zu den Konkurrenten in Asien ist der Betrieb winzig

English Fine Cottons, englische edle Baumwolle, heißt das Unternehmen. Es schreibt Industriegeschichte, denn es ist die erste Baumwollspinnerei auf britischem Boden seit 30 Jahren. Dabei beherrschte diese Branche früher den Nordwesten Englands, die Region um Manchester. Die Stadt galt einst als "Cottonopolis", als globale Kapitale der Baumwollverarbeitung. Zu Hochzeiten im 19. Jahrhundert stammten 80 Prozent des weltweit produzierten Baumwollgarns aus der Gegend.

Die Spinnereien gehörten zu den ersten Fabriken, die Maschinen nutzten, sie waren die Vorhut der industriellen Revolution. Bereits 1764 erfand James Hargreaves die "Spinning Jenny", eine Spinnmaschine, die er nach seiner Frau benannte. Arbeiter, die um ihre Jobs fürchteten, brachen ein und zerstörten Prototypen, was den Siegeszug der Technik aber nicht stoppte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte der Aufstieg ausländischer Billig-Konkurrenten den Produzenten zu schaffen, seit den Sechzigerjahren schlossen reihenweise Baumwollverarbeiter in und um Manchester. Die letzte britische Spinnerei stellte in den Achtzigerjahren den Betrieb ein. Heute stammt Baumwollgarn meist aus China oder Indien.

Manager Ogden erlebte den Niedergang als Kind: "Als ich zur Schule ging, gab es hier in der Gegend noch 350 Firmen in der Branche: Spinnereien, Weber, Färber", sagt der 47-Jährige. "Das ist alles weg." Manchester hat inzwischen die Wende geschafft, die Stadt wächst wieder, zieht Studenten und junge Unternehmen an. Anders sieht es in Dukinfield aus, der Heimat von Ogdens Firma, und den benachbarten Orten. Auch diese Region direkt im Osten Manchesters sah Aufstieg und Fall der Textilindustrie. "Aber hier kam danach nichts anderes", klagt der Chef.

Die Gegend wird Tameside genannt, nach dem Fluss Tame. Der trieb die frühen Textilfabriken mit Wasserkraft an. Jetzt plätschert er neben dem roten Backsteinbau, der Baumwollspinnerei Tower Mill, die 1885 in Betrieb ging, 1955 dichtmachte und nun nach aufwendiger Renovierung English Fine Cottons beherbergt. In Tameside gibt es viele Arbeitslose und wenig Geld; der Frust entlud sich beim EU-Referendum, wo 61 Prozent für den Austritt votierten. Im benachbarten Manchester stimmten so viele Wähler für den Verbleib.

Immerhin wird English Fine Cottons nun 69 Jobs im abgehängten Dukinfield schaffen. Die sechs Spinnmaschinen - und vier weitere, die Ende 2017 installiert werden - sollen pro Jahr insgesamt 1000 Tonnen Baumwollgarn auf die Spindeln drehen. Die Fabrik könne die Kapazität auf 4000 Tonnen steigern, sagt Ogden. Trotzdem ist das winzig im Vergleich mit Spinnereien in Asien. Das Unternehmen will jedoch nicht mit Masse, sondern mit Klasse punkten. Beste Baumwolle, vor allem aus den USA, soll auf den topmodernen Maschinen zu Edelgarn gesponnen werden, aus dem Luxus-Modefirmen Hemden, Socken und Pullover fertigen.

English Fine Cottons ist die neu gegründete Tochtergesellschaft von Culimeta Saveguard. Das Unternehmen, das zur Hälfte der Culimeta-Gruppe aus Bersenbrück in Niedersachsen gehört, fertigt mit Textilmaschinen Gewebe für die Industrie. Etwa Materialien zum Feuerschutz und zum Dämmen von Gebäuden. Der Betrieb sitzt ebenfalls in Dukinfield, in einer Textilfabrik direkt neben dem Werk, wo nun English Fine Cottons residiert.

Culimeta Saveguard nutzt für seine Produktion eine alte, umgebaute Baumwoll-Spinnmaschine. "Deswegen haben wir immer mal wieder Anfragen von Modefirmen erhalten, ob wir nicht Baumwollgarn herstellen könnten", sagt Ogden, der zugleich Manager bei Culimeta Saveguard ist. Das ging nicht, aber der Führung des Unternehmens wurde dadurch klar, dass offenbar Nachfrage nach Qualitäts-Baumwollgarn Made in Britain existiert. "Werben Luxusmode-Hersteller mit ihrer Britishness, trägt es zur Authentizität bei, wenn auch das Garn aus Großbritannien kommt", sagt der Chef.

Das Management schmiedete also den Plan, eine Baumwollspinnerei im leer stehenden Nachbargebäude zu eröffnen, und bewarb sich um Fördergelder. Mit Erfolg: 5,8 Millionen Pfund kosteten der Umbau von Tower Mill sowie die Maschinen. Eine Million Pfund davon sind ein staatlicher Zuschuss aus einem Hilfstopf für arme Gegenden, dazu kommen zwei Millionen Pfund Darlehen von der Regionalverwaltung. Als das Vorhaben bekannt wurde, hätten Modefirmen im Ausland ebenfalls "beträchtliches Interesse" am neuen Garn aus Cottonopolis gezeigt, sagt Ogden - zu seiner eigenen Überraschung.

Im dritten Stock der Tower Mill stehen bereits fünf Spinnmaschinen, der Platz für die sechste ist auf dem Boden eingezeichnet. Ogden zeigt aus dem Fenster: "Dort drüben war früher eine Textilfabrik. Und dort eine zweite. Da eine dritte, eine vierte, eine fünfte." Sie alle sind schon lange geschlossen. Manchmal steht noch das Gebäude aus rotem Backstein. So wie bei der Ray Mill. Der weiße Schriftzug "Ray" prangt groß an der Fassade und ist vom Fenster aus gut zu sehen. Diese Baumwollspinnerei eröffnete 1908. "Es war die letzte, die hier aufgemacht hat", sagt Ogden.

Die letzte bis heute, 108 Jahre später.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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