Griechenland:Tsipras Belastungsprobe

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Wieder legt ein Generalstreik das kriselnde Land lahm. Diesmal geht es um die Rentenreform, ein ganz besonders empfindliches Thema. Schließlich haben die Menschen schon etliche Sparrunden hinter sich.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Der Sound der Krise ist in Griechenland noch der gleiche, auch wenn seit einem Jahr der Linkspolitiker Alexis Tsipras das Land regiert: "Genug ist genug!" Das ist eine der Parolen vom Syntagma-Platz. Innerhalb von vier Wochen haben Gewerkschaften am Donnerstag zum zweiten Mal zum Massenprotest gegen Tsipras' Regierung aufgerufen. Sie macht, was auch die Vorgängerregierungen gemacht hatten: Sparpolitik. Ein 24-stündiger Generalstreik entschleunigt das Land gerade mal wieder. 15 000 Demonstranten waren am Donnerstag auf den Straßen Athens unterwegs. Haben die Griechen von Premier Tsipras auch schon wieder genug?

Tsipras hat den Griechen in den vergangenen Monaten viel zugemutet, beginnend mit seinem Wandel vom Sparprogramm-Gegner zum Sparprogramm-Vollstrecker. Durch eine Neuwahl im September hat er sich in dieser Funktion legitimieren lassen. Seither presst er eine Reform nach der anderen durchs Parlament, um die Auflagen der europäischen Kreditgeber für das dritte Hilfspaket zu erfüllen. Nur so gibt es Geld aus dem 86 Milliarden-Euro-Topf. Das Pensionsalter wurde auf 67 Jahre hinaufgesetzt, Frühverrentungen erschwert. Die Regeln für Zwangsversteigerungen wurden gelockert. Wein wird teurer, Glücksspiele auch. Die Bauern sollen weitere Privilegien verlieren.

Jede Maßnahme für sich würde die deutsche Politik wohl monatelang beschäftigen. In Athen kommen die Abgeordneten kaum hinterher, die Grausamkeiten in Gesetzestexte zu formulieren. So hoch ist die Reformpolitik getaktet. Und es überrascht, dass Tsipras Regierungskoalition mit ihrer hauchdünnen Mehrheit von nur noch drei Sitzen bisher alle Belastungsproben überstanden hat.

Jeder fünfte Ruheständler muss mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen

Jetzt steht die größte bevor: Auf Verlangen der Kreditgeber muss die Regierung das komplizierte und lange Zeit von Misswirtschaft geprägte Rentensystem vereinfachen und abermals Geld rausquetschen. Es geht um 1,8 Milliarden Euro, bis Ende kommenden Jahres. Die Renten sind in Griechenland ein besonders empfindliches Thema. Nach etlichen Sparrunden muss jeder fünfte Rentner mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen, die Mindestrente ist auf knapp 400 Euro für Neu-Rentner abgesenkt worden. Tsipras hatte eigentlich versprochen, Einschnitte zurückzunehmen. Das Gegenteil ist nun der Fall. Sozialversicherungsbeiträge sollen steigen, um zwei Prozent. Zusatzrenten beschnitten werden, damit das System nicht kollabiert. Die Geldgeber in Brüssel wollen Vorschläge sehen.

Aber Tsipras hat Mühe, seine Parlamentsmehrheit zu sichern. Knapp war es immer schon. Auf seine Partei, dem Linksbündnis Syriza, kann er sich ohnehin nur bedingt verlassen. Deren Mitglieder rufen ja sogar selbst zu den Anti-Regierungsdemos mit auf. Syriza gegen Syriza. Daran hat sich Tsipras schon gewöhnen müssen. Im Parlament aber kann seine Regierung wirklich schnell zu Fall gebracht werden.

Am Wochenende hatte Tsipras einen Schritt unternommen, der gleich wieder Neuwahl-Ängste in Griechenland auslöste. Mit Ausnahme der Neonazipartei Goldene Morgenröte hatte er die Vorsitzenden der Oppositionsparteien zum Rentengipfel eingeladen - er sondierte die Chancen, diese Reform im Konsens umzusetzen. Die Kollegen ließen ihn ebenso kühl abblitzen wie Tsipras das nach seiner Wiederwahl im September mit ihnen tat, als er es versäumte, seine Regierung auf eine breitere Basis zu stellen. Nach der Sitzung machte das Gerücht die Runde, Tsipras fehlten im eigenen Lager elf Stimmen, um die Reform durchzusetzen. Am Dienstag bearbeitete er seine Syriza-Abgeordneten bei der Fraktionssitzung. Syriza sei die unbestreitbar einzige stabile Säule in der Politik des Landes. Hinter den Kulissen dürften die Versuche weitergehen, Unterstützer für die Rentenreform im Lager der anderen zu suchen. Gut möglich, dass alles eine ganz große Inszenierung ist und ihm am Ende sogar die offen ablehnende Haltung der Opposition in die Hände spielt und hilft, die eigenen Reihen zu schließen.

Bisher hat Tsipras immer einen Ausweg gefunden.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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