Grauer Kapitalmarkt:"Wirtschaftsdelikte sind schwer zu ahnden"

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Einer der S&K-Firmengründer im Gericht in Frankfurt. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Geprellte Anleger, mutmaßliche Betrüger: Zwei Prozesse zeigen, warum die Anklage in solchen Verfahren oft nicht weit kommt. Im spektakulären S&K-Prozess hoffen die Angeklagten sogar auf Haftentlassung.

Von Varinia Bernau und Markus Zydra, Frankfurt/Düsseldorf

Die Sicherheitsleute am Eingang zum Landgericht Frankfurt müssen gar nicht auf den Plan schauen, um zu wissen, dass an diesem Tag der S&K-Prozess verhandelt wird. "Die Leute gehen rein in den Verhandlungssaal, und nach zehn Minuten kommen sie wieder raus. Dann gehen sie wieder rein", beschreibt einer der Wachleute das Hin und Her. Seit Wochen gehe das schon so. Man merkt sofort: In einem der größten Wirtschaftsstrafverfahren der bundesdeutschen Geschichte ist der Wurm drin.

Auch Dienstag war am späten Vormittag bereits wieder Schluss. Das Gericht hatte eine Ärztin als Sachverständige gehört. Einem der sechs Angeklagten geht es sehr schlecht. Er schläft zu wenig und hat Neurodermitis. "Chronischer Erschöpfungszustand", sagte die Medizinerin. Der Mann sei nicht verhandlungsfähig und müsse in einem Krankenhaus von Fachärzten behandelt werden. Sie rechnet mit zwei bis drei Wochen, bevor der sichtlich angeschlagene Mann wieder verhandlungsfähig sei.

Der Prozess gegen die sechs S&K-Angeklagten dauert nun ein Jahr. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen 2008 und 2013 ein Schneeballsystem mit Immobilien aufgebaut zu haben. Etwa 11 000 Anleger hätten dadurch insgesamt 240 Millionen Euro verloren. Den Angeklagten droht wegen schweren bandenmäßigen Betrugs und Untreue eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren. Der Prozess zieht sich. Die monströse Anklageschrift umfasste mehr als 3000 Seiten. Die Staatsanwaltschaft hat stolze 1700 Seiten an zig Verhandlungstagen verlesen. Danach wollten sich einige der Angeklagten dazu äußern. Sie verlasen auch Hunderte Seiten, unterbrochen von zeitraubendem juristischen Geplänkel mit zahllosen Befangenheitsanträgen. Einige Anwälte und zwei Staatsanwälte bekriegten sich förmlich und ließen dabei mitunter Anstand vermissen. Mittlerweile sind diese zwei Staatsanwälte nicht mehr regelmäßig da. Der eine sei krank, der andere müsse ja nicht jedes Mal kommen, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Anwälte munkeln, die beiden seien abgezogen worden, weil der Prozess auch aufgrund der umfangreichen Anklageschrift jeglichen Rahmen zu sprengen drohe. Jeder Verhandlungstag kostet den Steuerzahler etwa 45 000 Euro, schätzen Anwälte. Am Dienstag waren es 76.

Selbst wenn Kapitalbetrüger verurteilt werden, haben die Betroffenen oft nichts davon

Die Angeklagten sitzen nun seit dreieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Je länger der Prozess dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Haftbefehle aufgehoben werden müssen. Wenn die Verhandlung nun aufgrund der Erkrankung eines Angeklagten für einige Wochen unterbrochen werden sollte, könnten, so die Anwälte, bald die ersten Haftentlassungen folgen. Das wäre ein Teilsieg für die Verteidiger und eine Niederlage für die Staatsanwaltschaft. Die Anwälte verweisen auch auf andere europäische Staaten, wo die zulässige Untersuchungshaft mitunter auf sechs Monate begrenzt sei.

In Deutschland entsteht Anlegern durch Angebote am grauen Kapitalmarkt jedes Jahr ein Schaden von 20 bis 25 Milliarden Euro, schätzt das Bundeskriminalamt. Die Pleiten und Skandale bei Finanzfirmen wie Phönix, Göttinger Gruppe, Prokon, Infinus und S&K sind auch der Tatsache geschuldet, dass der graue Kapitalmarkt lange Zeit unreguliert war. Grundsätzlich gilt: "Strafrechtlich sind Wirtschaftsdelikte sehr schwer zu ahnden", sagt der Münchner Anwalt und Kapitalmarktrechtsexperte Peter Mattil. "Aber selbst wenn ein Kapitalbetrüger verurteilt wird, haben die Anleger nichts davon", sagt Mattil. Anleger müssten selbst auf Schadensersatz klagen und dabei aufpassen, dass die nach drei Jahren geltende Verjährung nicht eingetreten ist. "In den USA ist es so, dass verurteilte Betrüger früher rauskommen, wenn sie die Anleger entschädigen - das gibt es in Deutschland nicht."

In einem schlichten Sitzungssaal am Landgericht Düsseldorf wird am Dienstagvormittag eine andere Anklage gegen zwei mutmaßliche Betrüger verlesen. Mit falschen Versprechungen sollen sie Anleger geködert und schließlich um 90 Millionen Euro gebracht haben. Es ist der Auftakt zu einem Strafprozess, in dem weitere Verhandlungstage bis zum kommenden Sommer angesetzt wurden. Im Zentrum steht die DM Beteiligungen AG. Sie hatte Schuldverschreibungen vermittelt. Satte Zinsen bis sieben Prozent sowie eine Gewinnbeteiligung an Immobiliengeschäften versprach sie in Zeitschriftenanzeigen und Flyern. Im September 2006 brach das System zusammen: Die AG konnte fällige Schuldverschreibungen nicht zurückzahlen und meldete Insolvenz an. Geschädigte Anleger erstatteten Anzeige, bald darauf ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft. Auch hier brauchen die Geschädigten viel Geduld: Der Betrug war bereits vor zehn Jahren aufgeflogen, vor fünf Jahren wurde Anklage erhoben. Zwei Männer sitzen den Staatsanwälten gegenüber. Doch ausgerechnet jener Mann, der laut Anklage die Schlüsselfigur ist und einen großen Teil des eingesammelten Geldes verprasste, sitzt nicht auf der Anklagebank. Der 52 Jahre alte Nürnberger Kaufmann zog wohl auch bei der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West (WBG), die kurz vor der DM Beteiligungen AG Insolvenz angemeldet hatte, die Strippen. Doch weil er deswegen bereits in Leipzig vor Gericht stand, wurde das Düsseldorfer Verfahren gegen ihn vorläufig eingestellt. Im März kam ein Gutachten des Landgerichts Leipzig zu dem Schluss, dass der Mann krank und nicht verhandlungsfähig ist. Auch das dortige Verfahren gegen ihn wurde daraufhin vorläufig eingestellt.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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