Grauer Kapitalmarkt:Wenn die Plantage lockt

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Anbieter im sogenannten Grauen Kapitalmarkt werben derzeit verstärkt mit atemberaubenden Renditen. Sichere und sinnvolle Anlagen sind selten dabei.

Von Pauline Schinkels und Jan Willmroth, München

Jürgen Wagentrotz ist ein großzügiger Millionär: Etwa 180 000 Euro habe er für eine Flüchtlingsinitiative bereitgestellt, verkündete er Ende April. Ein Mann mit Visionen sei er, heißt es auf einer seiner Webseiten. Wann immer der Unternehmer Projekte in die Hand nehme, würden sie zum Erfolg. Insofern könnte man wohl unbesorgt sein, was die großen Versprechungen der Oil & Gas Invest AG (OGI) angehe. Wagentrotz, der Wohltäter: Bis zu zwölf Prozent Rendite im Jahr versichert er Anlegern, die seinem Unternehmen Geld leihen, um im Süden der USA nach Öl zu graben. Wer im Netz nach renditestarken Anlagen sucht, landet sehr schnell bei OGI.

Erst vor wenigen Tagen schrieb Wagentrotz bisher unentschlossenen Interessenten einen freundlichen, aber drängenden Brief: Nur noch bis 15. Oktober ließen sich Nachrangdarlehen zeichnen: "Es gibt zurzeit nichts Besseres!"

Oder doch?

Ein Blick in die weite Welt des Grauen Kapitalmarkts zeigt, wie sich die Anbieter alternativer Investments derzeit mit Renditeversprechen überbieten. Da sind Mahagoni-Plantagen auf den Philippinen, die mehr als zwölf Prozent jährliche Zinsen versprechen - sozial und ökologisch, das ist gute Werbung -, Beteiligungen an Wind- und Solarparks mit Renditen von mehr als sieben Prozent, oder einfach Immobilien-Investments, die mit absurd hohen Auszahlungen locken. Zum Grauen Kapitalmarkt gehören all jene Angebote, die nicht der direkten Aufsicht der Regulierungsbehörde unterliegen, aber auch nicht grundsätzlich illegal sind. In der Regel sind sie aber hoch riskant.

Die Geschäftspraktiken hinter den Produkten sind mitunter auch zwielichtig. Ein Barometer dafür, wie häufig Anleger am unregulierten Markt geprellt werden, bietet die Kriminalstatistik: Im vergangenen Jahr hat das Bundeskriminalamt (BKA) mehr als 7600 Fälle von Kapitalanlagebetrug gezählt, ein Anstieg um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Schaden stieg von 332 Millionen Euro auf 525 Millionen Euro. Und die Prognosen sind düster: "Im Bereich des Anlagebetrugs sind insbesondere in Niedrigzinsphasen spätere Opfer anfällig für hohe Renditeversprechen bei gleichzeitiger angeblicher Verlustbegrenzung", schreibt die Behörde. Es sei weiterhin mit einem hohen Straftatenaufkommen in diesem Bereich zu rechnen.

Ein Anbieter will Geld, um in den USA nach Öl zu suchen. "Es gibt zurzeit nichts Besseres", wirbt er

Längst nicht alle Anbieter am Grauen Kapitalmarkt haben kriminelle Absichten - wohl aber sind Betrüger wegen der mangelnden Kontrolle gerade dort häufig anzutreffen. Einer, der viel Erfahrung hat mit der Beratung und Vertretung geschädigter Anleger, ist der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter. "Die Klientel ist sehr heterogen. Vom kleinen Facharbeiter bis hin zur reichen Familie", sagt er. Sie alle seien sicherheitsorientiert und wollten meist mit der Kapitalanlage vorsorgen, etwa weil sie Angst hätten, die staatliche Rente könnte nicht ausreichen. "Das Problem ist, dass diese Leute kaum geübt im Bereich Geldanlage sind und sich komplett auf die vermeintliche Expertise ihres Finanzberaters verlassen", sagt Reiter. Finanzberater gehört in Deutschland nicht zu den geschützten Berufsbildern - prinzipiell könnte sich jeder so nennen. Gerade freie Finanzberater vermittelten häufig besonders riskante Produkte, warnt Reiter.

Dabei wissen viele Anleger häufig gar nicht genau, was sie kaufen - weil sie es selbst nicht verstehen, oder weil die Unternehmen sie unzureichend informieren. "Oft wird nicht konkret gesagt, in was überhaupt investiert wird", sagt Markus Feck, Finanzjurist der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Da heißt es dann, dass irgendwo in irgendeiner Region Erdöl vermutet wird, aber eine konkrete Quelle wird nicht genannt." Einige Anbieter konstruieren eigens fragwürdige Geschichten, um Kunden zu fangen. "Es gab den Fall, dass ein Geschäftsführer, der selbst mehr als zehn Millionen Euro investiert hatte, noch weitere Anleger gesucht hat", sagt Feck. In so einem Fall solle man sich fragen, warum jemand, der das Investment theoretisch allein stemmen könnte, den angeblichen Gewinn teilen will.

Ob Jürgen Wagentrotz die geplanten Ölbohrungen in Mississippi und Alabama allein stemmen könnte, weiß man nicht. Immerhin: Mit rund zwölf Millionen Euro habe er sich an der OGI AG beteiligt, erzählt er auf seiner Webseite. Zu Geld gekommen war der gelernte Hotelkaufmann in den 1960er-Jahren zunächst mit Möbelgeschäften, später mit dem Casino-Magazin Roulette, als Bauträger Hunderter Wohneinheiten in Erfurt und Gründer eines Online-Casinos. Für die geplanten Förderprojekte in den USA habe die OGI AG etwa 30 Millionen Euro Eigenkapital eingesammelt, teilt das Unternehmen mit. Weitere 30 Millionen Euro will Wagentrotz mit einer hoch verzinsten Anleihe und "speziellen Vorzugsaktien" einsammeln - um dann den "sicher georteten Ölschatz im Wert von rund zehn Milliarden Euro" zu fördern, den OGI unter dem gepachteten Land vermutet. In einer Pressemitteilung vom Juni hieß es noch, die vermuteten Vorkommen hätten einen Marktwert von etwa sechs Milliarden Euro. Die Diskrepanzen erklärten sich mit Schwankungen beim Ölpreis, heißt es dazu von OGI.

Hauptproblem: Finanzberater ist kein festes Berufsbild, jeder kann sich so nennen

Um sich zu beteiligen, können Anleger ein sogenanntes Nachrangdarlehen mit einer Mindestlaufzeit von zwei Jahren zeichnen. Vor dieser Form der Kapitalanlage warnen Verbraucherschützer immer wieder, weil solche Anleger im Insolvenzfall von allen Gläubigern als letzte an ihr Geld kommen. Zunächst hatte Wagentrotz mit seinem Privatvermögen die Rückzahlung garantiert, was die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) im Juni allerdings untersagte. Die bis dahin gezeichneten 4,5 Millionen Euro habe OGI den Anlegern zurückerstattet, meldete das Unternehmen sodann - um gleich wieder um Geld zu werben, diesmal ohne Garantie. Zahlreiche Fragen nach der Höhe des eingesammelten Kapitals und nach Details zu den Ölförderprojekten ließ OGI unbeantwortet. Telefonisch teilt ein Sprecher mit, dass die geplanten Bohrungen einen Investitionsbedarf von mehr als 180 Millionen Euro erforderten und man deshalb so viel Kapital einsammle. Zwei auf OGI ausgestellte, gültige Genehmigungen für sogenannte Wildcat-Bohrungen in Alabama liegen der Süddeutschen Zeitung vor: So heißen Bohrversuche auf gut Glück, in Gebieten ohne unzweifelhaft nachgewiesenen Ölvorkommen. Weitere Bohrgenehmigungen im Bundesstaat Mississippi sind inzwischen abgelaufen. Wer nun investiert, dürfte also darauf wetten, dass die OGI in den kommenden Jahren tatsächlich so viel Öl fördern kann, wie sie verspricht - den Beweis bleibt sie bislang schuldig. Jedenfalls häuften sich im laufenden Jahr die Ankündigungen, bald mit den Bohrungen beginnen zu wollen.

Um Anleger vor derart riskanten Angeboten besser zu schützen, gilt seit Anfang Juli das als "Prokon-Gesetz" bekannt gewordene Kleinanlegerschutzgesetz. Der Windkraft-Projektierer Prokon wurde mit der Pleite Anfang 2014 zum Paradebeispiel für Renditen, die kaum zu halten sind: Auf die Verheißung, mehr als acht Prozent mit erneuerbaren Energien zu verdienen, investierten mehr als 75 000 Anleger in das Unternehmen - mehrere Zehntausend erlitten einen Totalverlust. "Das Gesetz könnte so einen Fall wie Prokon aber nicht verhindern", sagt Verbraucherschützer Feck. Die Kompetenzen der Bafin wurden mit dem Gesetz erweitert. Deren offizielles Aufsichtsziel ist nun der kollektive Verbraucherschutz: Das heißt, sie kann zwar vor gewissen Produkten warnen und den Vertrieb einzelner Investments verbieten. Allerdings bleibt eine materielle Prüfung auf Plausibilität der Anlage weiter aus. "Das Kleinanlegerschutzgesetz geht nicht weit genug", sagt Rechtsanwalt Reiter deshalb. "Die Finanzberaterausbildung ist weiterhin nicht reguliert, außerdem prüft die Bafin nur die Werbeprospekte."

Solange diese den rechtlichen Anforderungen genügen, werden sie abgesegnet. Dabei, und das zeigt das Auftreten von Unternehmen wir der OGI AG, gäbe es in den meisten Fällen noch viel mehr zu klären.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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