Gentechnik in Lebensmitteln:Wie eine Lobby die Kontrollbehörden unterwandert

Die meisten wollen nichts gentechnisch Verändertes essen. Doch eine neue Untersuchung zeigt, wie die mächtige Gentechnik-Lobby die angeblich neutralen deutschen Kontrollbehörden unterwandert hat - zum Schaden der gutgläubigen Verbraucher.

Silvia Liebrich

Die meisten Verbraucher in Deutschland lehnen Gentechnik im Essen ab. Und sie verlassen sich darauf, dass sie von den zuständigen Aufsichtsbehörden über die Risiken der umstrittenen Technologie geschützt werden. Doch eine Untersuchung der gentechnikkritischen Organisation Testbiotech belegt das Gegenteil (hier online). Sie zeigt, wie stark das maßgebliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) von der Gentechnik-Lobby beeinflusst wird.

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Ist das Bundesinstitut für Riskobewertung für den Gentechnik-Lobby unterwandert? Verbraucherschützer fordern eine Untersuchung durch das Verbraucherministerium von Ilse Aigner (CSU),

(Foto: dapd)

Neun von 13 Experten in der Kommission für genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und auch hochrangige Angestellte der Behörde stehen demnach in enger Verbindung zur Agroindustrie, zu industrienahen Verbänden und wissenschaftlichen Zirkeln, die den Einsatz von Gentechnik befürworten. Dabei sollen sie als unabhängige Experten die Hersteller und deren Erzeugnisse unvoreingenommen kontrollieren.

Doch damit scheint es nicht weit her zu sein. Einige der BfR-Experten waren offenbar sogar selbst an Patentanträgen für gentechnisch veränderte Pflanzen wie Mais und Soja beteiligt. "Es bestehen erhebliche Interessenkonflikte. Damit ist das Funktionieren einer unabhängigen staatlichen Institution wie des BfR in Frage gestellt", kritisiert Testbiotech-Geschäftsführer Christoph Then. Er fordert eine Untersuchung durch das Verbraucherministerium von Ilse Aigner (CSU), dem die Aufsichtsbehörde unterstellt ist.

Der frühere Greenpeace-Mann analysiert seit Jahren die Branche und verfolgt, wie Behörden die Anträge auf Marktzulassung von Konzernen wie Monsanto, BASF oder Bayer prüfen, die gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt bringen wollen.

Then wirft dem BfR außerdem vor, dass die meisten der Experten ihre Interessenkonflikte nicht offenlegen. Ein derartiges Verschweigen wird bei anderen Behörden, etwa von der Europäischen Lebensmittelbehörde Efsa, als gravierender Verstoß gewertet. Die EU-Aufsicht war in den letzten Monaten verstärkt in die Kritik geraten, weil hochrangige Mitarbeiter gleichzeitig wichtige Posten in der Industrie inne hatten. Auf Druck des europäischen Parlaments verschärfte die Efsa vor kurzem ihre Transparenzregeln und Richtlinien für Mitarbeiter.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung wies die Vorwürfe von Testbiotech am Donnerstag entschieden zurück. Das BfR sei eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). "Externe Sachverständige beraten das BfR lediglich, in keinem Fall treffen sie amtliche Entscheidungen oder führen wissenschaftliche Bewertungsarbeit", hieß es in einer Stellungnahme.

Für Gentechnikkritiker Then ist das Problem damit aber nicht erledigt. Das Expertengremium der BfR für Gentechnik habe in mehreren umstrittenen Fällen zugunsten der Gentechnik-Lobby beraten, kritisiert er. Als Beispiel nennt er die Gensoja-Sorte MON87701 von Monsanto, die Anfang 2012 in der EU als Lebens- und Futtermittel zugelassen wurde - mit Zustimmung der Bundesregierung und ohne Widerspruch durch das BfR.

Das besondere an der Soja-Pflanze: Sie produziert ein Insektengift, das zu den Bt-Toxinen gehört. Es soll Schädlinge fernhalten. "Bekannt ist inzwischen, dass dieses spezielle Bt-Toxin Reaktionen des Immunsystems auslösen und möglicherweise Allergien verstärken kann", sagt Then. Das BfR hätte die Pflanze deshalb nach seiner Ansicht nicht ohne eine weitere umfassende Untersuchung bei Patienten mit Soja-Allergie befürworten dürfen. Tests wurden zwar gemacht, beim Paul-Ehrlich-Institut, bei dem BfR-Kommissionsmitglied Stefan Vieths Vizepräsident ist.

Allerdings sei diese Studie nicht im Auftrag der Aufsichtsbehörde, sondern von Monsanto erfolgt, wie Then moniert, "die Ergebnisse wurden nie richtig veröffentlicht". In seiner Funktion als BfR-Berater hätte Vieths doch auf weitere Untersuchungen drängen müssen, meint Then. Dennoch sei der Antrag auf Marktzulassung von den deutschen Experten durchgewunken worden.

"Der offensichtlich vorhandene Interessenkonflikt bei Vieths hat hier allem Anschein nach dazu geführt, dass es gar nicht erst zu einer wissenschaftlich fundierten Risikodiskussion kam", moniert Then. Er fordert, dass die Zulassung für MON87701 erneut überprüft werden müsse. Vieths äußerte sich bis Redaktionsschluss auf Anfrage nicht zu dem Vorwurf. Das BfR sieht nach eigenen Angaben derzeit keinen Anlass die Zulassung noch einmal zu prüfen.

Bedenklich ist für Then auch die Art und Weise, wie die Kommission mit der Frage umgeht, ob DNA-Bestandteile von gentechnisch veränderten Futterpflanzen in tierisches Gewebe übergehen können. Ein Thema, das für Verbraucher besonders brisant ist, weil es darum geht, ob sich gentechnisch verändertes Tierfutter auf die Qualität von Kuhmilch und eventuell sogar auf die Gesundheit von Konsumenten auswirkt. In der EU gibt es keine Kennzeichnungspflicht für Milch, Fleisch und Eier, die von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden. "Während die drei BfR-Experten Jany, Flachowsky und Heller jahrelang abgestritten haben, dass die spezifischen DNA Bestandteile auch auf das Tier übergehen, belegten längst mehrere Untersuchungen, dass sich diese in Fleisch, Fisch und Milch wiederfinden lässt", erklärt Then. "Risiken für die Verbraucher werden so verschleiert und heruntergespielt."

Testbiotech hat die möglichen Interessenkonflikte der BfR-Experten genau aufgeschlüsselt. Die Details sind offensichtlich: Inge Broer, seit 2011 Vorsitzende der Kommission für gentechnisch veränderte Lebensmittel- und Futtermittel und Professorin für Agrobiotechnologie in Rostock, hat unter anderem an der Anmeldung von Patenten der Firma Bayer auf herbizidtolerante gentechnisch veränderte Pflanzen mitgewirkt. Außerdem fungiert sie als Gesellschafterin der Firmen Biovativ und BioOK, die ihre Dienstleistungen für Konzerne wie Monsanto anbieten. Für Then ergeben sich daraus gleich mehrere Interessenkonflikte. Keinen einzigen davon hat Broer in ihrer Selbsterklärung für das BfR, die im Internet einsehbar ist, angegeben.

Gerhard Eisenbrand, ebenfalls Mitglied der Kommission, gibt zwar mehrere mögliche Interessenkonflikte an. Testbiotech bezeichnet ihn "als einen der einflussreichsten Lobbyisten der internationalen Lebensmittelindustrie". Unter anderem ist Eisenbrand Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor von ILSI Europe, dem europäischen Arm des International Life Science Institute, das von der Lebensmittelindustrie und Agrar- und Gentechnikkonzernen (Monsanto, Bayer, BASF, Dow Chemical, Syngenta oder Dupont) finanziert wird.

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