Generationen:Diagnose Altersreichtum

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*Zugrunde liegt das bedarfsgewichtete Nettoeinkommen (Äquivalenzeinkommen). Es berücksichtigt Einspareffekte durch gemeinsames Wirtschaften und rechnet alle Einkommen auf den Bedarf eines Alleinstehenden um. SZ-Grafik; Quellen: SOEP v32; IW Köln (Foto: SZ)

Entgegen aller Mythen: Die Einkommen westdeutscher Senioren stiegen in den vergangenen Jahrzehnten doppelt so stark wie die jüngerer Arbeitnehmer. Sie sind gut versorgt. Eng wird es erst für die Ruheständler von morgen.

Von Alexander Hagelüken, München

Die Chefin der Deutschen Rentenversicherung richtete kürzlich einen Appell an die deutschen Parteien wegen der Bundestagswahl. "Ich kann vor überzogenem Streit über die Rente im Wahlkampf nur warnen", sagte Gundula Roßbach der Rheinischen Post. "Wir sind stets gut damit gefahren, wenn wir Rentenpolitik langfristig und im Konsens der großen Parteien gestaltet haben." Unter anderem fürchtet sie, das von der SPD vorgeschlagene längere Arbeitslosengeld Q könnte ohne Schutzvorschriften dazu führen, dass mehr Deutsche früher in den Ruhestand gehen. Und sie rät, die Kosten anvisierter Rentenerhöhungen zu bedenken.

Eine neue Studie legt nun nahe, dass sich die Politik weniger neue Maßnahmen für die Ruheständler ausdenken müsste, als sie es tut. Jedenfalls, wenn es um die heutige Seniorengeneration geht. Denn die wirtschaftliche Position der Rentner hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. In den 80er Jahren befand sich noch jeder Dritte über 65 unter jenem Fünftel der Deutschen, die am wenigsten verdienen. Inzwischen trifft das auf weniger als 20 Prozent der Rentner zu, so die Untersuchung des Arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).

Die wirtschaftliche Position der Ruheständler hat sich sogar weit stärker verbessert als die jüngerer Deutscher. So nahm das Einkommen der 65- bis 74-Jährigen in Westdeutschland seit Mitte der 1980er Jahre um 50 Prozent zu - real, also nach Abzug der Inflation. Dieser Anstieg war etwa doppelt so hoch wie der bei den Deutschen, die unter 45 Jahre alt sind.

Für die Älteren war also keineswegs früher alles besser. Sondern es ist heute alles besser. Wer die öffentlichen Debatte verfolgt, hat aber eine ganz anderen Eindruck, finden die IW-Wissenschaftlerinnen Susanna Kochskämper und Judith Niehuis: "Hartnäckig hält sich die Behauptung, dass sich in den letzten Jahrzehnten, besonders aber durch die Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts, der Lebensstandard im Alter in Deutschland sukzessive verschlechtert hat."

Die Daten zeigen ein anderes Bild. Demnach muss nur ein geringer Teil der Ruheständler die sogenannte Grundsicherung in Anspruch nehmen, weil seine gesetzlichen Altersbezüge nicht zum Leben reichen. Weniger als jeder 30. stockt durch Sozialleistungen die Rente auf. Dieser Anteil hat sich seit Mitte der Nullerjahre nur geringfügig erhöht. Und der Anteil der auf Sozialleistungen Angewiesenen ist nach wie vor deutlich geringer als in der übrigen Bevölkerung.

Es gibt heute mehr berufstätige Frauen und weniger alleinlebende Alte

Warum haben viele Deutsche den Eindruck, es gehe den heutigen Senioren ziemlich schlecht? Eine Ursache dafür könnte die öffentliche Wahrnehmung der Reformen sein, mit denen wechselnde Bundesregierungen auf die längere Lebensdauer, die sinkende Kinderzahl und das ungünstigere Verhältnis von Arbeitnehmern zu Ruheständlern reagierte. Die Politik reduzierte die Höhe der Renten im Vergleich zu den Arbeitseinkommen. 1970 lagen die Altersbezüge noch bei 55 Prozent des durchschnittlichen Bruttogehalts. Inzwischen sind es deutlich weniger als 50 Prozent. So hat sich womöglich bei vielen Bürgern der Eindruck festgesetzt, die Altersbezüge würden auch in absoluten Zahlen sinken - also weniger Euro ausgezahlte Rente. Das ist aber nicht der Fall.

Wegen der Kürzungen der Rentenreformen stellt sich aber die Frage, warum sich die Einkommen der Ruheständler so viel stärker entwickelten als die jüngerer Arbeitnehmer. Darauf gibt es verschiedene Antworten. Zum einen profitieren die Senioren beispielsweise höher von der Altersvorsorge durch den Betrieb oder eigenen Ersparnissen, die zu ihren Altersbezügen dazukommen. Zum anderen arbeiten mehr Frauen in einem Beruf - und erwerben damit eigene Ansprüche für die Rente, statt von den Altersbezügen des Gatten zu leben. Vor dreißig Jahren trugen Männer noch deutlich mehr als 80 Prozent der Altersbezüge bei, die ein typischer Haushalt bekam. Inzwischen sind es noch 70 Prozent. Und: Anders als im Rest der Bevölkerung ist der Anteil der Singles bei den Älteren gesunken.

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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