Gastronomie:Bitte nimm mich

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Wie sexy kann ein Klassiker sein? Nordsee hat es vor allem bei der jungen Zielgruppe schwer. Das Fischbrötchen im Bild ist übrigens von der Konkurrenz. (Foto: Michael Zirn/Mauritius)

Die Gewerkschaft wirft Nordsee vor, seine Angestellten zu übervorteilen. Hinter den Kulissen läuft derweil die Suche nach einem neuen Eigentümer. Schon wieder.

Von Angelika Slavik, Hamburg

Natürlich ist Schönheit ein dehnbarer Begriff, das gilt auch dann, wenn er die Attraktivität eines Unternehmens beschreiben soll. Bei der Gewerkschaft NGG zum Beispiel vermutet man in diesen Tagen, dass die Gastronomie-Kette Nordsee gerade "hübsch" gemacht werden solle. Und dass das Unternehmen deshalb einen Teil seiner Mitarbeiter übervorteilen wolle.

Ob das wirklich jemand sexy findet?

Anlass des Streits ist die Vergütung der Überstunden von Mitarbeitern, die in Teilzeit arbeiten. Bei der Abrechnung der Jahresarbeitszeit hätten diese Mitarbeiter für ihre über das vertragliche Maß geleisteten Arbeitsstunden einen Aufschlag von 33 Prozent bezahlt bekommen müssen, sagt die Gewerkschaft. So stünde es im Tarifvertrag, dem sich Nordsee Anfang des Jahres angeschlossen hat. Das Unternehmen allerdings weigere sich, den Zuschlag auszuzahlen. Nordsee selbst interpretiert die Paragrafen allerdings anders: Die Kette will nur dann den Überstundenzuschlag bezahlen, wenn eine Teilzeitkraft mehr gearbeitet hat, als es für einen Mitarbeiter, der Vollzeit beschäftigt ist, vertraglich vorgesehen ist. Denn andernfalls wäre ja etwa die 30. Arbeitsstunde einer Vollzeitkraft weniger wert als die einer Teilzeitkraft. Das ist die Argumentationslinie des Unternehmens und offenbar auch des Bundesverbands der Systemgastronomie, in dem Nordsee Mitglied ist. Viele andere Unternehmen, für der Tarifvertrag auch gilt, rechnen die Arbeitszeit monatlich ab, wie etwa Burger King oder McDonald's. Bei ihnen ist der Überstunden-Aufschlag deshalb kein Streitpunkt - denn in diesem Fall ist die Regelung unstrittig. Bei der Jahresabrechnung, wie Nordsee sie macht, nicht. Die Gewerkschaft versuche wohl, "offensiv auf Neumitgliederakquise zu gehen", ließ sich der Nordsee-Chef Holger Schmitt zitieren. Anders könne er sich "das Verhalten der NGG nicht erklären".

Auch bei der Gewerkschaft vermutet man hinter dem Streit ein taktisches Manöver, allerdings von Seiten des Unternehmens: Nordsee wolle auf Kosten der Mitarbeiter seine Zahlen schönen, glaubt der NGG-Gewerkschaftssekretär Christian Wechselbaum - um für einen potenziellen Käufer interessanter zu sein. 200 000 Euro soll Nordsee durch die nicht bezahlten Zuschläge sparen, schätzt die Gewerkschaft, etwa 3000 meist weibliche Mitarbeiter seien betroffen. Für eine Küchenkraft mit einem Stundenlohn von 8,65 Euro, die 45 Überstunden angesammelt habe, sei das ein Verlust von etwa 130 Euro, rechnet die NGG vor. Gerade für Menschen mit ohnehin geringem Einkommen sei so ein Verlust "kaum zu verkraften", sagt Wechselbaum. Die Gewerkschaft gibt sich angriffslustig: In den kommenden Wochen wolle man alles tun, um die Ansprüche der Mitarbeiter doch noch durchzusetzen, heißt es.

Die ersten Interessenten sollen Finanzinvestoren sein. Für die Mitarbeiter wäre das nichts Neues

In den kommenden Wochen könnten sich bei Nordsee allerdings noch weitaus umfangreichere Veränderungen ergeben: Hinter den Kulissen wird offenbar intensiv nach einem neuen Eigentümer für das Unternehmen gesucht. Nordsee gehört derzeit zum Molkereiunternehmen Theo Müller (Müllermilch), auch der frühere Bäckerei-Unternehmer Heiner Kamps ist beteiligt. Nun hätten die beiden die Investmentbank GCA Altium beauftragt, einen Käufer für das Unternehmen zu finden, raunt man in der Branche schon seit ein paar Wochen. Bei Müller kommentiert man die Verkaufsgerüchte offiziell nicht, räumt aber ein, dass Nordsee als Gastronomie-Kette innerhalb des Müller-Imperiums "eine Sonderstellung" habe. Kerngeschäft von Müller sei schließlich die Herstellung von Lebensmitteln. Wird GCA Altium fündig, könnte ein neuer Eigentümer etwa 300 Millionen Euro für Nordsee bezahlen, erwarten Beobachter. 2015 machte das Unternehmen mit knapp 5000 Mitarbeitern 350 Millionen Euro Umsatz und erwirtschaftete damit 30 Millionen Euro operativen Gewinn. Erste Interessenten soll es schon geben, darunter seien vor allem Finanzinvestoren, heißt es. Für Nordsee wäre das zumindest kein Novum, das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren mehrere Eigentümerwechsel erlebt. Bevor Kamps 2005 bei Nordsee einstieg, gehörte das Unternehmen dem Finanzinvestor Apax. Es war Apax, der den Lebensmittelhersteller Deutsche See 1998 von Nordsee abspaltete. Jüngst träumte Robert Jung, der Nordsee gemeinsam mit Holger Schmitt leitet, öffentlich von einer Wiedervereinigung.

Nordsee hat sich in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls alle Mühe gegeben, an Attraktivität zu gewinnen: So bietet das Unternehmen seit kurzem auch vegane Snacks an und hofft damit, auch eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Zudem wurde das Filialkonzept überarbeitet und einige Läden bereits renoviert. Wie teuer die noch ausstehenden Erneuerungen in den insgesamt 372 Restaurants sein werden, wird wohl maßgeblich Einfluss auf den potenziellen Verkaufserlös haben.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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