Frankreich:Lauter Streit mit leisem Ende

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Vor allem junge Leute hatten wie hier in Paris gegen die Reform des Arbeitsrechts protestiert - zum Teil auch gewaltsam. (Foto: Philippe Lopez/AFP)

Monatelang erlebte Frankreich heftige Kämpfe um eine Arbeitsreform. Jetzt wurde sie unter dem Eindruck des Terrors sang- und klanglos durchs Parlament gebracht.

Von Leo Klimm, Paris

Es soll François Hollandes wichtigste wirtschaftspolitische Reform sein: Die Lockerung von Frankreichs starrem Arbeitsrecht, so hofft der Staatspräsident, wird Jobs schaffen. Würden die 35-Stunden-Woche und der Kündigungsschutz flexibler gehandhabt, würde das Arbeitgebern die Furcht vor Neueinstellungen nehmen. Das wiederum werde helfen, endlich die hohe Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent zu senken.

70 Prozent der Franzosen sind laut Umfragen gegen Hollandes Reform

Nicht viele im Land folgen diesem Kalkül. Etwa 70 Prozent der Franzosen sind gegen die Reform, zeigen Umfragen. Monatelang provozierte sie in der sozialistischen Partei des Präsidenten, im Parlament und auf den Straßen heftigen Widerstand. Im Frühjahr kam es zu Streiks und zu schweren Ausschreitungen. Und doch passierte die Arbeitsreform am Mittwoch endgültig die Nationalversammlung - sang- und klanglos. Nach dem Blutbad von Nizza tritt in Frankreich der Streit um Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit in den Hintergrund - die akute, permanente Terrorgefahr wird als das weit drängendere Problem empfunden. Da auch Hollandes innerparteiliche Gegner ahnen, dass sich an der Arbeitsreform nun nicht mehr die Präsidentenwahl 2017 und damit die wirtschaftspolitische Ausrichtung Frankreichs entscheidet, stellen sie den Widerstand weitgehend ein: Anders als in den ersten beiden Lesungen verzichten sie diesmal wohl auf ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, das sie in Reaktion auf das Arbeitsgesetz noch bis Donnerstagnachmittag einbringen können. Ein Treffen, bei dem sie Ende August eine Strategie gegen Hollandes gemäßigt-liberale Wirtschaftspolitik entwerfen wollten, sagten sie ab. Den Gefallen, dem neuen Arbeitsrecht eine Mehrheit im Parlament zu verschaffen, tun sie der Regierung freilich nicht: Wieder muss ein Notparagraf in der Verfassung dafür herhalten.

Der Punkt, der den meisten Streit hervorrief, betrifft die Autonomie der Sozialpartner: Arbeitszeitvereinbarungen, die in Betrieben getroffen werden, haben künftig Vorrang vor Tarifregeln auf Branchenebene und der gesetzlichen 35-Stunden-Woche. Diese Umkehrung der Normenhierarchie ist ein völliges Novum für Frankreich. Dessen Arbeitsrecht ist von zentralistischer Standardisierung geprägt. Die politische Linke sowie die Gewerkschaften CGT und FO kritisieren, die Neuerung verschiebe die Machtverhältnisse in Betrieben zugunsten der Arbeitgeber; die könnten nun leichter längere Arbeitszeiten mit der Androhung von Jobabbau und Standortschließungen erzwingen. Die Regierung lehnte eine Änderung des umstrittenen Artikels dennoch beharrlich ab, nahm lieber die Spaltung der eigenen Reihen in Kauf - der Artikel sei der Kern der Reform.

Zugeständnisse machte sie aber beim Kündigungsschutz. Ein erster Entwurf sah vor, betriebsbedingte Kündigungen zu erlauben, wenn eine Firma in Frankreich über einen relativ kurzen Zeitraum Umsatzeinbußen erleidet. In der Neufassung kommt es nicht mehr auf die Erlösentwicklung im Land an, sondern weltweit: Ein internationaler Konzern, dessen Frankreichgeschäft schlecht läuft, der insgesamt aber gut dasteht, kann sich demnach nicht leichter von Mitarbeitern trennen. Kleine Firmen dagegen können künftig schon betriebsbedingt kündigen, wenn ihr Umsatz in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt. Vollständig aufgegeben hat die Regierung den Plan, Abfindungen für gekündigte Mitarbeiter gesetzlich zu deckeln.

Die radikale Gewerkschaft CGT will im September erneut auf die Straße gehen

Vor allem dieser Konzession verdankt es Hollande, dass die gemäßigte Gewerkschaft CFDT - größter Konkurrent der kommunistisch geprägten CGT - die Reform unterstützt. Die Arbeitgeber wiederum zeigen sich zwar zufrieden über ihren Machtzuwachs in Fragen der Arbeitszeit, erklären jedoch zugleich, die Reform werde wegen der Abschwächungen "mit Blick auf neue Jobs nichts bringen". Behielten sie recht, wäre Hollandes wichtigstes Ziel verfehlt. Das arbeitgebernahe Institut COE-Rexecode widerspricht der Unternehmerlobby aber. Es erwartet, dass durch das neue Arbeitsrecht "zumindest 50 000 neue Jobs" entstehen - womöglich auch noch mehr.

Insgesamt dürften die Auswirkungen der so umstrittenen Reform auf den Arbeitsmarkt überschaubar bleiben. Der verhaltene Aufschwung, den Frankreich erlebt, sowie vom Staat subventionierte Jobs, die Hollande rechtzeitig vor der Wahl im nächsten Jahr schafft, haben stärkere Effekte. Hollandes Wahlchancen dürften angesichts des Bruchs mit der Linken dennoch gefährdet bleiben. Anders als die Widerständler in der sozialistischen Partei wollen die radikalen Gewerkschaften weiter gegen die Reform ankämpfen - ungeachtet des Terrors und der Verabschiedung des Gesetzes. Im September versuchen sie neue Proteste. "Die Regierung ist nicht mit uns fertig", sagt der CGT-Chef.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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