Frankreich:Entkernung des Kerngeschäfts

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Noch strömt der Dampf: Eine Anlage zur Herstellung von Kernbrennstoffen im französischen Saint-Paul- Trois-Chateaux - der Atomkonzern Areva hat Probleme. (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Der Stromversorger EDF muss den Atomkonzern Areva retten. Auf dem Spiel steht eine der wichtigsten Branchen des Landes, seine Stromversorgung - und die Staatsräson.

Von Leo Klimm, Paris

François Hollande lässt keine Zweifel zu: Frankreichs Atomindustrie steht vor einer strahlenden Zukunft. Die weitgehende Übernahme des Kraftwerkherstellers Areva durch den Stromversorger EDF sei nichts weniger als die "Neubegründung der französischen Nuklearbranche", lässt der Staatspräsident verlautbaren. "Die Zusammenlegung wird eine ehrgeizige Exportpolitik und die Erneuerung des Atomparks ermöglichen", heißt es aus dem Elysée. Im Übrigen werde der Staat als Hauptaktionär den Areva-Konzern "in der notwendigen Höhe rekapitalisieren".

Was hier wirken soll wie eine harmlose Umorganisation zur Mehrung des wirtschaftlichen Erfolgs, dient der Rettung der französischen Atomindustrie. Es geht um die Wahrung einer Staatsräson, zu der die Nuklearenergie zählt - und um die Sicherung der Stromversorgung des Landes. Sie stammt zu 74 Prozent aus Atomkraft.

Nach einer langen Serie von Flops bei Areva sieht die Regierung keine andere Lösung als die Entkernung des Unternehmens: Auf Geheiß des Präsidenten gehört die wichtigste Areva-Sparte - die für Konzeption, Bau und Wartung von Atomkraftwerken - daher künftig zum wirtschaftlich gesunden EDF-Konzern. Das geht so einfach, weil beide Firmen vom Staat kontrolliert werden. Als Hauptkunde von Areva hat der Stromversorger, der 73 Reaktoren in Frankreich und Großbritannien betreibt, aber auch ein Eigeninteresse an Hollandes Notoperation.

Die ist nicht billig: Nach Angaben aus dem Areva-Umfeld werden in den nächsten zwei Jahren bis zu sieben Milliarden Euro nötig, um die Pleite abzuwenden. Viel Geld für ein Unternehmen, das jährlich nur acht Milliarden Euro umsetzt. Geld, das am Ende die Franzosen bezahlen werden - in Form von Steuern und von Gebühren für Strom.

"Die Deutschen zahlen im Zuge der Energiewende viel Geld für ihre Abkehr von der Kernkraft", sagt Denis Florin, Energieexperte der Pariser Unternehmensberatung Lavoisier. "Die Franzosen kommt jetzt umgekehrt ihre Abhängigkeit von dieser Energiequelle teuer zu stehen." Hinter der Areva-Krise verbergen sich viele Fragen zur Zukunft von Frankreichs Atomindustrie - etwa: Wie soll der Ersatz für jene 21 Reaktoren finanziert werden, die im Lauf der nächsten zehn Jahre ihre Planhöchstlaufzeit von 40 Jahren erreichen?

"Unser Modell ist wie Nespresso", sagte einst die Areva-Chefin. Es war ein fataler Trugschluss

Noch 2008 erschien den Verantwortlichen das Atomgeschäft recht simpel: "Unser Modell ist wie Nespresso", erklärte die damalige Areva-Chefin Anne Lauvergeon ihre Idee vom integrierten Konzern, der vom Uran bis zur Wiederaufbereitung alles bietet. "Wir verkaufen die Kaffeemaschinen und den Kaffee, der dazugehört. Und der Kaffee ist sehr rentabel!"

Inzwischen hat sich nicht nur erwiesen, dass Kernspaltung doch ein anderes Geschäft ist, sondern auch, dass Lauvergeon teure strategische Fehler beging. Ein neuartiger Druckwasserreaktor, den Areva in Finnland mit Siemens hochzog, sollte ein Vorzeigeprojekt sein. Tatsächlich ist er technisch und wirtschaftlich ein Fiasko: Das Kraftwerk dürfte mit 15 Jahren Verspätung ans Netz gehen, es hat Areva schon Milliarden gekostet. Bei einem weiteren Reaktor, der in der Normandie gebaut wird, sind kürzlich Sicherheitsprobleme aufgetaucht, was wiederum Zweifel beim Areva-Kunden China schürt. Dabei sind die internationalen Abnehmer seit der Katastrophe von Fukushima vor vier Jahren ohnehin seltener geworden. Ergebnis der Misere: 2014 schrieb Areva 4,9 Milliarden Euro Verlust, mit 5,8 Milliarden Euro Verbindlichkeiten ist das Unternehmen überschuldet.

Der neue Chef Philippe Knoche steuert mit einem Sparplan gegen, hat den Abbau von 6000 der 44 000 Arbeitsplätze angekündigt. Auch deutsche Standorte trifft es, etwa Offenbach. Doch weil der Sparplan nicht ausreicht, hat Hollande EDF jetzt zur Mehrheitsübernahme der Areva-Kraftwerkssparte verdonnert. Medienberichten zufolge will EDF für den Zwangskauf allerdings nur zwei Milliarden Euro zahlen. Binnen eines Monats sollen Areva und EDF jetzt die Details verhandeln. Bei den Areva-Gewerkschaften stößt die Zerlegung des Unternehmens auf Widerstand: EDF betreibe "Grabraub", wettert ein Vertreter der Gewerkschaft CFDT.

Die sozialistische Regierung beschwichtigt. Der Stellenabbau werde ohne betriebsbedingte Kündigungen ablaufen. Und eigentlich gehe es bei der Zusammenlegung mit EDF ja darum, der Atomindustrie die nötige "Stabilität" zu geben, um weltweit wieder Erfolg zu haben, so Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Nach Pariser Lesart ist Atomenergie unumgänglich zur Senkung des globalen Ausstoßes an Treibhausgasen. Experte Denis Florin sieht das ähnlich: "Einige Schwellenländer setzen auf Atomkraft, das muss die französische Industrie nutzen. Von der Wartung ihrer eigenen Kraftwerke wird sie allein nicht leben können."

Dennoch wirft Hollandes Rettung viele Fragen auf. Die Übernahme des Areva-Kerngeschäfts durch EDF und die Rekapitalisierung für den Restkonzern dürfte eine wettbewerbsrechtliche Prüfung durch die EU-Kommission verlangen. Zudem ist unklar, was mit den verbleibenden Areva-Sparten geschieht. Sie betreiben Uranminen, transportieren Brennstäbe oder bereiten sie auf. Auch eine kleine Windenergie-Sparte gibt es.

Mindestens ebenso rätselhaft ist der Kurs, den Hollande bei der Atomenergie insgesamt verfolgt. Von seinem Versprechen, das Kraftwerk Fessenheim an der deutschen Grenze bis 2016 zu schließen, ist keine Rede mehr. Frankreich steckt im Dilemma: Dem nationalen Rechnungshof zufolge hat das Land weder die Mittel, alternde Reaktoren durch neue zu ersetzen. Noch hat es das Geld für einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien nach deutschem Vorbild. "Die einzige Lösung ist die Verlängerung der Laufzeiten", sagt Florin. Doch das würde dem gerade erst gesetzlich verankerten Ziel widersprechen, den Atom-Anteil am Strom bis 2025 auf 50 Prozent zu senken.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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