Forum:Zeit für Pragmatismus

Lesezeit: 4 min

Ulrich Walwei ist Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. (Foto: IAB)

Wenn jetzt flexibel genug gedacht wird, kann die Integration von Flüchtlingen schneller gelingen und zur Chance werden.

Von Ulrich Walwei

Noch vor gar nicht langer Zeit gingen wir davon aus, dass das Arbeitskräfteangebot in wenigen Jahren sinken würde. Jetzt kommen aber viele Menschen zu uns, die durch Krieg und Gewalt bedroht werden. Flüchtlinge können potenziell dazu beitragen, die Zahl der zukünftig zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und die Sozialsysteme zu stabilisieren. Ob das zusätzliche Angebot an Arbeitskräften allerdings in Beschäftigung umgewandelt werden kann, steht und fällt einerseits mit der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und ist andererseits an die längerfristige Beschäftigungsfähigkeit der zugewanderten Menschen geknüpft. Es verbreitet sich derzeit aber Skepsis, ob es gelingt, die zu uns kommenden Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wir wissen derzeit noch viel zu wenig über die hier ankommenden Flüchtlinge. Wir wissen aber, dass die allermeisten hoch motiviert sind und sich bei uns eine neue Existenz aufbauen wollen. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen allerdings auch, dass Flüchtlinge im Durchschnitt länger als zehn Jahre brauchen, bis sie genauso gut in den Arbeitsmarkt integriert sind wie andere Zuwanderer. Das muss aber nicht gleichermaßen für die heutigen Flüchtlinge gelten. Wenn wir nicht wie bei früheren Flüchtlingswellen den Arbeitsmarkt versperren und damit eine verlorene Generation riskieren und wenn wir heute die richtigen Maßnahmen finden, um den Menschen, die kommen, einen Weg in den Arbeitsmarkt zu weisen, dann haben wir gute Chancen, dass die Integration schneller ablaufen kann. Denn der Arbeitsmarkt ist grundsätzlich in einer guten Verfassung und sehr aufnahmefähig.

Leider gibt es für die Integration kein allgemeingültiges Patentrezept, und das kann es auch nicht geben. Genauso wenig wie es ein Patentrezept gibt für die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Unterschiede in den Qualifikationen, den Kompetenzen, der sozialen Situation und der Gesundheit verlangen individuelle Herangehensweisen. Wie bei Langzeitarbeitslosen verspricht daher ein ganzheitlicher Ansatz am meisten Erfolg, der auf individuelle Stärken setzt und Hemmnisse beiseiteräumt. Dabei kann auf viele Angebote und Maßnahmen zurückgegriffen werden, die bereits existieren. Welche Bausteine bieten sich nun für die zu uns kommenden Menschen an?

Auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass die meisten Flüchtlinge keine sofort in Deutschland verwertbaren Qualifikationen haben, ist doch viel Potenzial vorhanden. Der Optimismus speist sich aus der Tatsache, dass die ankommenden Flüchtlinge deutlich jünger sind als der Durchschnitt der hier lebenden Bevölkerung. Flüchtlinge können als Auszubildende einen wertvollen Beitrag leisten gegen die Nachwuchssorgen der Betriebe. Das Nadelöhr ist dabei die theoretische Ausbildung in der Berufsschule. Ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist diese kaum mit Erfolg zu absolvieren. Helfen können dabei Einstiegsqualifizierungen und Praktika, in der potenzielle Auszubildende erste berufliche Erfahrungen und Sprachkenntnisse sammeln. Nachhilfegruppen in der Berufsschule oder die assistierte Ausbildung sind Möglichkeiten, Geflüchteten dabei zu helfen, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen.

Ausbildung in Teilzeit würde Flüchtlingen ermöglichen, auch noch Sprachkurse zu absolvieren

Sinnvoll wäre, Ausbildungen zumindest zu Beginn häufiger in Teilzeit oder in Modulen zu ermöglichen. Das würde den Auszubildenden die Chance geben, gleichzeitig einen intensiven Sprachkurs zu absolvieren. Zudem könnten sie so berufliche Qualifizierung mit einem Job zum Geldverdienen kombinieren. Finanziell möglichst unabhängig zu sein, hat für viele Flüchtlinge eine hohe Priorität.

Da auch viele ältere Flüchtlinge keine anerkannten Qualifikationen haben, gibt es die Möglichkeit, zwei Programme zu nutzen. Zum einen sollte das Programm "Spätstarter gesucht" pragmatisch ohne strikte Altersgrenzen nutzbar sein, um eine Ausbildung zu absolvieren. Zum anderen können geflüchtete Menschen, die den Einstieg in den Arbeitsmarkt über eine ungelernte Helferposition geschafft haben, berufsbegleitend Qualifizierung nachholen, etwa über das Programm "Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen (Wegebau)". So haben sie langfristig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Unternehmen können die Integration fördern, indem sie Partnerprogramme aufsetzen, in denen einem auszubildenden Flüchtling beispielsweise ein anderer Auszubildender zur Seite gestellt wird. Auf diese Weise ist ein persönlicher Ansprechpartner vorhanden, der sich verantwortlich fühlt. Dies kann auch bei der Bewältigung von Alltagssorgen einen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft leisten.

Ganz klar ist, dass den Auszubildenden viel abverlangt wird. Sie müssen auch in ihrer Freizeit weiter an ihren Sprachkenntnissen und den theoretischen Inhalten arbeiten. Zunächst einmal müssen aber wir die Vorteile einer Ausbildung deutlich machen, denn duale Ausbildungen sind in anderen Ländern wenig bekannt. Es muss den geflüchteten Menschen klar werden, dass ein anerkanntes Zertifikat die Chancen auf eine erfolgreiche Erwerbsbiografie enorm erhöht.

Worauf wir ein besonderes Augenmerk legen müssen, ist, dass eine fehlende Qualifikation nicht gleich fehlende Kompetenz ist. Bei denjenigen, die schon über Berufserfahrung verfügen, muss pragmatisch geprüft werden, was davon verwertbar ist und anerkannt werden kann - sei es auch nur als Teilqualifikation. Mit Lohnkostenzuschüssen können diese Flüchtlinge dann schon einmal in einem Beruf starten und noch fehlende Qualifikationen berufsbegleitend nachholen. Denn Teilqualifikationen sollten keine Sackgasse sein, sondern ein Weg zur Vollausbildung. Für Betriebe ist es wichtig, dass sie die Sicherheit haben, dass ihre neuen Beschäftigten nicht nur während der Ausbildung nicht abgeschoben werden, sondern dass sie auch im Anschluss beschäftigt bleiben können. Die Wirtschaft braucht ohnehin Zuwanderung. Menschen, in deren Ausbildung viel investiert wurde und die einen tarifüblich bezahlten Job haben, dann wieder wegzuschicken - das ergibt ökonomisch keinen Sinn.

Der deutsche Arbeitsmarkt stellt zweifellos sehr hohe Anforderungen. Worauf es nun jedoch ankommt, ist Pragmatismus und Flexibilität. Wenn wir die Weichen jetzt in die richtige Richtung stellen, dann muss es auch keine zehn Jahre dauern, bis die zu uns kommenden Menschen in Arbeit integriert sind. Dann wird uns die Flüchtlingszuwanderung zwar mächtig fordern, aber nicht überfordern - und sie wird uns am Ende auch nutzen.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: