Forum:Warum schnell zerschlagen?

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Bessere Wettbewerbsstrukturen in der deutschen Luftfahrtindustrie rechtfertigen nicht den Verlust von Arbeitsplätzen bei Air Berlin.

Von Christoph Niering

Über die Staatshilfe für Air Berlin und die künftigen Wettbewerbsstrukturen der deutschen Luftfahrtindustrie wird viel diskutiert. Die mehr als 8000 Mitarbeiter und der ihnen drohende Arbeitsplatzverlust finden in dieser Diskussion kaum Erwähnung. Hier zeigt die Politik die Zurückhaltung, die man sich an anderer Stelle wünschen würde. Anscheinend ist für die Politik das Schicksal von Air Berlin mit dessen Zerschlagung schon besiegelt. Dies verwundert sehr. Der Unternehmenserhalt im Ganzen steht im Insolvenzverfahren auf der Prioritätenliste weit oben, weil so möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden können. Üblicherweise wird der Erfolg einer Sanierung auch an der Zahl der erhaltenen Arbeitsplätze gemessen. Diesmal scheint es anders zu sein.

Sowohl Vertreter der Bundesregierung als auch des Managements von Air Berlin erachten die Zerschlagung der Airline offenbar als alternativlos. Man geht sogar noch einen Schritt weiter. Nur die Lufthansa könne mit einer Übernahme der lukrativen Geschäftsbereiche zur Lösung des Problems beitragen. Woher kommt diese Fixierung? Die Zerschlagung eines Unternehmens führt nahezu zwangsläufig auch immer zum Verlust von Arbeitsplätzen. Allen voran im Bereich der Verwaltung. Allein bei Air Berlin arbeiten dort über 1000 Menschen. Menschen, die mit dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien finanzieren. Hier vermisst man die Stimme, die für diese Mitarbeiter und den Erhalt der Arbeitsplätze kämpft. Liegt es vielleicht auch daran, dass der Vorstandsvorsitzende seine Bezüge dem Vernehmen nach mit einer Millionenbürgschaft hat absichern lassen? Die Mitarbeiter jedenfalls genießen den Schutz für ihre Gehälter nur für drei Monate, und dies auch noch betragsmäßig begrenzt.

Bei der Sanierung gilt grundsätzlich, dass ein Unternehmen im Ganzen regelmäßig mehr wert ist als die Summe seiner Teile. Natürlich kann nach einem jahrelangen wirtschaftlichen Sinkflug und der Notlandung über einen Insolvenzantrag nicht alles beim Alten bleiben. Erforderlich ist eine nachhaltige Sanierung, welche häufig einhergeht mit Einschnitten im Personalbereich. Personalabbau und Gehaltskürzungen sind hier die Stichworte. Auch in der Insolvenz ist dies weder rechtlich noch menschlich ein einfacher Weg. Dieser Weg ist aber vom Gesetzgeber geregelt. Ein geordneter Prozess zwischen Tarifparteien, der über Haussanierungstarifverträge, Beschäftigungsgesellschaften und Sozialpläne eine wirtschaftlich tragfähige Personalstruktur ermöglicht. Dies ist mit schwierigen Verhandlungen verbunden, zu Recht kämpfen Gewerkschaften und Betriebsräte um jeden Arbeitsplatz. Aber die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren auch gezeigt, dass wenn es in der Insolvenz darauf ankommt, sie sich wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht verschließen und bereit sind, wirtschaftlich sinnvolle Wege mitzugehen oder mitzugestalten.

Will man bewusst Arbeitnehmerrechte umgehen?

Warum also jetzt die Fixierung auf die Zerschlagung gleich von Beginn an? Will man bewusst Arbeitnehmerrechte umgehen, um nur die lukrativen Teile übernehmen zu müssen? Ist man vielleicht nur an den Flugzeugen und Landerechten interessiert? Einiges könnte darauf hindeuten. Denn der deutsche Gesetzgeber hat über die zentrale Vorschrift in § 613a BGB der Willkür bei der Arbeitnehmerauswahl schon vor Jahrzehnten einen Riegel vorgeschoben. Bei der Zerschlagung, also dem Verkauf nur einzelner Betriebsteile, sollen die Mitarbeiter dennoch in ihrem sozialen Status geschützt werden. Es soll verhindert werden, dass Betriebsverfassungsrecht und Kündigungsschutz über einen Verkauf ausgehebelt werden. Aus Anlass eines solchen Verkaufs, also eines Betriebsübergangs, darf keinem Arbeitnehmer gekündigt werden.

Ohne dass es neuer Arbeitsverträge bedarf, sind besonderer Kündigungsschutz, Betriebszugehörigkeit, Lohnniveau etc. für die betroffenen Mitarbeiter des verkauften Betriebsteils gesichert. Die Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahrzehnten die Leitplanken für diesen Sanierungsweg geschaffen, der für den Insolvenzverwalter und Sachwalter häufig nicht einfach ist. Jeder Investor schielt bei einer Übernahme auf einen Personalabbau und die freie Zusammenstellung seiner Mannschaft. Wirtschaftlich verständlich, doch sozial unverträglich. Hier hat die Rechtsprechung Wege aufgezeigt, wie die beiden scheinbar konträren Interessen miteinander in Einklang gebracht werden können. So weit, so gut. Aber allem Anschein nach diskutieren findige Berater bereits eine strategische Zerschlagung, bei der diese Grundregeln des Arbeitnehmerschutzes ausgehebelt würden. Man glaubt, bei der Übernahme von Landerechten und einzelnen Flugzeugen den Betriebsübergang zu vermeiden, und will dann diese, vielleicht auch mit dem Personal von Air Berlin, zu neuen Konditionen besetzen. Eine fragwürdige Vorgehensweise und dies auch noch mit dem Rückenwind der Wirtschaftsministerin und des Verkehrsministers.

Es geht nicht nur um mehr als 8000 Arbeitsplätze, sondern um die Menschen, die diese Arbeitsplätze ausfüllen und deren Familien. So viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten, ist zentraler Bestandteil des beruflichen Selbstverständnisses von Insolvenzverwaltern, die täglich in Kontakt mit wirtschaftlich schwierigen Situationen und den existenziellen Sorgen der Mitarbeiter kommen. Der Restrukturierungsmanager Kebekus und der Sachwalter Flöther stehen mit ihrer Erfahrung für dieses Selbstverständnis. Aber auch die Insolvenzordnung schützt die elementaren Rechte der Arbeitnehmer. Kündigungsschutz und Sozialauswahl werden durch die Insolvenzordnung nicht ausgehebelt. Der Erhalt von Arbeitsplätzen ist zwar kein erklärtes Ziel der Insolvenzordnung, aber da, wo Arbeitsplatzabbau auch Geld in Form von Auslauflöhnen und Sozialplankosten bedeutet, bietet deren Einsparung schon direkte wirtschaftliche Vorteile, die nicht nur den Arbeitnehmern, sondern allen Gläubigern zugutekommen.

Der Erhalt sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze ist zudem volkswirtschaftlich sinnvoll, weil dies neben den betroffenen Arbeitnehmern auch Sozialversicherungsträgern, der Agentur für Arbeit, Bund und Ländern zugutekommt. Letztere erhalten weiterhin Lohn- und Einkommensteuereinnahmen, und die Agentur für Arbeit erspart sich Kosten für das Arbeitslosengeld. Der Arbeitsplatzverlust darf nicht als Kollateralschaden für bessere Wettbewerbsstrukturen in der Luftfahrt hingenommen werden. Zum Wesen unserer Marktwirtschaft gehört soziale Verantwortung. Wo kann sich diese in der Insolvenz besser zeigen als im Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze?

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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