Forum:Warum nicht auch Untreue?

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Gegen den VW-Vorstand unter Martin Winterkorn sollte nicht nur wegen Betrugs, sondern auch wegen Untreue ermittelt werden. Die Kernfrage lautet, ob und wann der Vorstand von der Manipulations-Software und ihrer Anwendung erfuhr.

Von Walter Kind

Der Diesel-Betrug von VW erhitzt die Gemüter. In den USA hat der Konzern viele Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden zahlen müssen, in Deutschland versucht VW die Kunden mit kleineren Updates abzuspeisen. In Braunschweig ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen VW-Manager wegen Betrugs, aber - soweit bekannt - nicht wegen des Straftatbestands der Untreue. Dabei gibt es im Fall von VW gute Gründe für wenigstens einen Anfangsverdacht, der die Staatsanwaltschaft zu entsprechenden Ermittlungen veranlassen sollte.

Der Fall führt in die komplizierten Zusammenhänge zwischen erlaubtem und verbotenem unternehmerischen Handeln und lohnt deshalb die genauere juristische Betrachtung. Ausgangspunkt der Überlegung ist Paragraf 93 des Aktiengesetzes. Danach sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten grob fahrlässig verletzen, dem eigenen Unternehmen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn sie bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Es fällt eine teilweise Überschneidung mit dem Strafrecht auf. Denn wegen Untreue gemäß Paragraf 266 des Strafgesetzbuchs (StGB) wird bestraft, wer die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt. Beide Vorschriften, die des Aktienrechts wie die des Strafrechts, setzen eine Pflichtverletzung voraus. Liegen Anhaltspunkte für eine Untreue vor, würde dies zwangsläufig Schadenersatzüberlegungen auslösen.

Ein Schaden liegt mit Blick auf die USA eindeutig vor: Der Verkauf von rund 500 000 angeblichen "Clean-Diesel" von 2008 bis 2015 mit der unzulässigen Abschaltautomatik (Defeat Device) kostet VW rund 25 Milliarden Euro aufgrund Strafzahlungen und Umweltgeldbußen sowie Rückkaufkosten. US-Gerichte können Strafschadenersatz (Punitive Damages) verhängen und gehen dabei bis zum Zehnfachen des Schadens. Dieser Schaden wäre vermeidbar gewesen: Volkswagen sah sich bei Markteinführung 2008 mit dem Clean Air Act von 1970 konfrontiert. Dieser wäre bei Einbau eines SCR-Katalysator mit ausreichend großem AdBlue-Tank in Verbindung mit einem NOX-Speicherkatalysator einhaltbar gewesen. Dies war VW offenbar zu teuer.

Was bedeutet das für den VW-Vorstand? Für Vorstandsmitglieder einer AG gilt ein umfassendes Schädigungsverbot der Gesellschaft, wobei aufgrund eines weiten unternehmerischen Beurteilungs- und Ermessensspielraums nicht jeder Misserfolg einen Untreuevorwurf auslöst. Wohl aber, wenn im Ausnahmefall eine Entscheidung eindeutig nicht mehr vertretbar ist, weil sie in besonderem Maß gegen kaufmännische Sorgfalt verstößt. Dies gilt speziell für Risikogeschäfte, wenn das Risiko in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den Geschäftschancen steht. Eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des Untreue-Paragrafen 266 StGB liegt dann vor, wenn der Verstoß klar und evident ist. Kriterien hierfür sind, ob das eingegangene Risiko noch im mutmaßlichen Willen des Unternehmens stand oder ob es letztlich unbeherrschbar bzw. unkalkulierbar war bis hin zur potenziellen Existenzgefährdung des Unternehmens. Wesentlich ist weiter die Frage, ob interne Informations- bzw. Berichtspflichten eingehalten wurden.

Der Zulassungsantrag für den amerikanischen Markt der "Clean Diesel" verstieß frontal gegen US-Umweltschutzgesetze und Umweltstrafvorschriften. Danach dürfte es nicht zweifelhaft sein, dass ein gravierender Pflichtenverstoß im Sinne des Untreue-Paragrafen klar und evident vorliegt. Der Verkauf der "Dirty Diesel" war im Ergebnis sowohl unkalkulierbar als auch unbeherrschbar und lag schwerlich im Interesse des Unternehmens. Oder nach einer Formel des BGH: "Die Grenze unternehmerischen pflichtgemäßen Handelns ist überschritten, wenn nach Art eines Spielers und entgegen kaufmännischer Sorgfalt eine äußerst gesteigerte Verlustgefahr eingegangen wird."

Außerdem ist davon auszugehen, dass der Kontrollinstanz des Konzerns, dem Aufsichtsrat, das äußerst riskante "Clean-Diesel-Geschäft" verschwiegen wurde. Letztlich hat erst die amerikanische Emissionsaufsichtsbehörde Carb die Manipulation 2015 aufgedeckt.

Der für die Untreue erforderliche Vermögensnachteil ist für den maßgeblichen Zeitpunkt des Eingehens des Risikogeschäfts gutachterlich zu bestimmen. Hierbei ist eine Vermögensgefährdung zu berücksichtigen, wenn sie bereits eine gegenwärtige Minderung des Gesamtvermögens darstellt, weil die konkrete Gefahr von Sanktionen oder Schadensersatzansprüchen besteht.

Eine Kompensation mit dem Mehrgewinn aufgrund eingesparter Abgastechnik bei weltweit rund elf Millionen verkauften manipulierten Diesel kommt mangels unmittelbaren Ausflusses aus dem US-Geschäft nicht in Betracht. Diesbezügliche Mehrerlöse auf dem US-Markt bleiben wegen Gesetzesverstößen unberücksichtigt.

Bei Eintritt in den US-Markt ließ sich prognostizieren: Die später erreichte Verkaufszahl von rund 500 000 Diesel kann als kalkulierte Größenordnung angenommen werden. Setzt man nach amerikanischen Verhältnissen einen Schaden von nur 5000 Dollar (2008 waren das 3333 Euro) pro "Dirty Diesel" an, beträgt der Schaden rund 1,7 Milliarden Euro. Mit dem Höchstsatz für Strafschadenersatz (Punitive Damage) sanktioniert, hätte das einen Schaden von rund 17 Milliarden Euro zur Folge. Damit ist nachvollziehbar, welches vorhersehbare Risiko eingegangen wurde. Es bleibt die Kernfrage, ob und wann der Vorstand von der Manipulation erfuhr.

Für den bei Paragraf 266 StGB ausreichenden Eventualvorsatz ist auf die genannten Kriterien bei der Prüfung der Pflichtwidrigkeit zurückzugreifen, d.h. je klarer die Pflichtverletzung ist, umso eher ist von bedingtem Vorsatz unter Billigung des Risikos in seinem vollen Ausmaß auszugehen. Sind die Voraussetzungen erfüllt, schließt das Argument, man habe dem Unternehmen dienen und ihm nicht schaden wollen, den bedingten Vorsatz nicht aus.

Nach vorstehenden Überlegungen bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Untreuehandlung durch ein oder mehrere Mitglieder des Vorstandes unter Winterkorn, sodass Schadenersatzansprüche gemäß Paragraf 93 Aktiengesetz Schaden zu prüfen sein werden, da hier bereits grobe Fahrlässigkeit ausreicht. Mit anderen Worten: Hier hängt ein teures Damoklesschwert.

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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