Forum:Staatsschulden sind keine Lösung

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Statt eine Transferunion einzuführen, sollte die Europäische Union besser auf die Anpassung der Strukturen setzen.

Von Christoph M.Schmidt

Eine der wesentlichen Aufgaben der Europäischen Kommission ist es, die Einhaltung des Stabilitäts-und Wachstumspaktes zu überwachen. Dabei war sie bislang nicht sehr erfolgreich:

Mit Ausnahme von fünf kleinen Mitgliedstaaten weisen alle Euro-Mitgliedstaaten eine Schuldenstandsquote von über 60 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf. Nur wenige Länder bemühen sich, ihre Verschuldung entsprechend der Ein-Zwanzigstel-Regel zurückzuführen. Die Defizitverstöße Spaniens und Portugals blieben bislang weitgehend ohne Sanktionen, Frankreich scheint mit seiner Fiskalpolitik gar eine Sonderrolle zu genießen. Doch anstatt im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegenzusteuern, wartet die EU-Kommission immer wieder mit dem Vorschlag auf, das Wirtschaftswachstum durch expansive Fiskalpolitik zu steigern. Diesem Vorschlag zu folgen, käme einer Bankrotterklärung für die stabilitätsorientierte Währungsunion gleich.

Vor Kurzem hat das kommissionsinterne European Political Strategy Centre (EPSC) in einem Papier vorgeschlagen, konjunkturelle Unterschiede in der EU durch fiskalische Maßnahmen zu glätten. Dabei fordert das EPSC, dass Länder mit Haushaltsspielräumen ("Fiscal Space") ihre Staatsausgaben ausweiten und staatliche Investitionen erhöhen sollten, um auf diesem Weg die Konjunktur in anderen europäischen Staaten anzukurbeln.

Schließlich böte die expansive Geldpolitik mit ihren niedrigen Zinsen einen guten Rahmen für höhere Staatsverschuldung. Explizit genannt sind Estland, Lettland, Luxemburg, die Slowakische Republik, die Niederlande und Deutschland als Länder, die über entsprechenden fiskalischen Spielraum verfügen. Klartext: Deutschland soll in Straßen investieren, damit über eine höhere Nachfrage Griechenland oder Portugal mehr Oliven und Wein verkaufen können.

Diesem Vorschlag zu folgen, wäre erstens für Deutschland problematisch. Denn tatsächlich verstößt auch Deutschland gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Schuldenstandsquote liegt nach wie vor deutlich über dem Maastricht-Kriterium. Darüber hinaus sind solide öffentliche Haushalte für Deutschland angesichts des anstehenden demografischen Wandels unverzichtbar. Hinzu kommt, dass die deutsche Fiskalpolitik - trotz der positiven konjunkturellen Lage - bereits expansiv ausgerichtet ist. Die Staatsquote steigt, die öffentlichen Investitionen und Konsumausgaben wachsen aktuell schneller als die Wirtschaftsleistung insgesamt. Da die deutsche Wirtschaft sich im Aufschwung befindet und ihre Produktionskapazitäten bereits voll auslastet, hätte eine noch stärkere prozyklische Fiskalpolitik vermutlich nicht die von der Kommission erhofften Effekte auf das deutsche Wirtschaftswachstum. Sie würde sich stattdessen wohl zum großen Teil in Preissteigerungen im Bausektor niederschlagen - einem Segment, in dem bereits Überhitzungserscheinungen zu erkennen sind.

Die Nachfrage nach Oliven in Griechenland wird nicht steigen, weil Deutschland Straßen baut

Zweitens würde eine noch expansivere deutsche Fiskalpolitik, selbst wenn sie nicht wirkungslos verpuffte, den schwächeren EU-Mitgliedstaaten nur wenig Entlastung bringen. Zwar geht das EPSC in seinem Papier von bedeutenden fiskalischen Multiplikatoreffekten aus, Berechnungen des Sachverständigenrates legen jedoch ein anderes Ergebnis nahe. Danach würden die Spillover-Effekte selbst im günstigsten Fall nicht über 0,1 Prozent des BIP im Euro-Raum liegen. Um im Bild zu bleiben: Die Nachfrage nach Oliven und Wein in Griechenland und Portugal wird aller Voraussicht nach nicht spürbar ansteigen, wenn Deutschland neue Straßen baut.

Eine höhere Wirkung ließe sich zwar mit einer Fiskalkapazität, also mit Zahlungen aus einem europäischen Konjunkturfonds, oder direkten Transfers von Finanzmitteln zwischen den Mitgliedstaaten erzielen - auch das hat die Kommission bereits vorgeschlagen. Doch aus gutem Grund ist die EU nicht als Transferunion konzipiert.

Der Ursprungsgedanke der Union ist vielmehr, auf den Willen und den Mut zu Strukturanpassungen in den Mitgliedstaaten zu setzen, um auf diesem Weg letztlich die wirtschaftliche Konvergenz der Mitgliedstaaten zu erreichen. Transfers würden hierbei die vollkommen falschen Anreize dafür setzen, dass wirtschaftlich schwächere Länder ihre Reformbemühungen zurückfahren und daher ihre geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit zementieren.

Daher wäre es mehr als wahrscheinlich, dass aus den vermeintlich temporären Zahlungen einer Fiskalkapazität letztlich dauerhafte Transfers werden. Genau aus diesem guten Grund hat die Bundesregierung bislang die Einführung von Euro-Bonds abgelehnt. Eine Transferunion durch die Hintertür fände sicherlich keine Mehrheit in der deutschen Bevölkerung und würde hierzulande europakritische Strömungen wie ein Brandbeschleuniger stärken.

Drittens lahmt das Argument der Europäischen Kommission, dass das Niedrigzinsumfeld den geeigneten Rahmen für eine expansivere Fiskalpolitik bietet. Denn es bedarf auch bei niedrigen Zinsen hinreichend rentabler Investitionsprojekte. Sehr viele öffentliche Projekte lassen diese Rentabilität vermissen. Es kann kein tragfähiger Ansatz sein, unrentable staatliche Investitionen auf Pump durchzuführen. Zudem steigt damit die Gefahr, dass die Europäische Zentralbank zu einer Gefangenen ihrer lockeren Geldpolitik wird, wenn sie aus Rücksicht auf die hohe Staatsverschuldung eine erforderliche Zinserhöhung unterlässt ("Fiscal Dominance").

Die Europäische Kommission muss sich den Realitäten stellen: Die strukturelle Wachstumsschwäche in der Europäischen Union lässt sich nicht durch mehr Verschuldung lösen. Als mit der Währungsunion der Wechselkurs als wichtiger Anpassungsmechanismus wegfiel, war es den Mitgliedstaaten im Euro-Raum bewusst, dass sie andere Anpassungsmechanismen stärken müssen, beispielsweise die Arbeitskräftemobilität. Dies ist vor allem in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen.

Die EU hingegen muss die Rahmenbedingungen schaffen, um zu vermeiden, dass die Probleme einzelner Länder nicht zu europäischen Problemen werden. Dazu gehören etwa ein staatlicher Insolvenzmechanismus und die Entprivilegierung von Staatsanleihen.

Nicht zuletzt sollte sie durch eine stabilitätsorientierte Überwachung der Fiskalpolitik die Mitgliedstaaten dazu anhalten, sich Spielräume für eine glaubwürdige Fiskalpolitik zu erarbeiten. Das schleichende Ende des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuläuten, ist hingegen der falsche Weg.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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