Forum:Die Last der Verantwortung

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Urs Pötzsch ist Jurist am Centrum für Europäische Politik (cep) und beschäftigt sich dort unter anderem mit den Organen und Rechtsetzungsverfahren der EU. (Foto: OH)

Die EU-Kommission wird im Herbst darüber entscheiden müssen, ob der Einsatz des hoch umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat um bis zu zehn Jahre verlängert wird - eine ziemlich heikle Angelegenheit.

Von Urs Pötzsch

Ende des Jahres läuft die Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat in der EU aus. Spätestens im Herbst muss in Brüssel entschieden werden, ob das Mittel weiterhin benutzt werden darf. Die Bundesregierung ist dabei gespalten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Agrarminister Christian Schmidt (CSU) sind für eine Verlängerung der Zulassung. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) lehnt diese aber entschieden ab. Falls sich die Bundesregierung nicht einigt, muss sie sich in Brüssel enthalten.

Die EU-Kommission dürfte über das Patt in Berlin wenig erfreut sein. Eine Enthaltung der Bundesregierung wird eine Entscheidung der Frage, ob die Zulassung von Glyphosat um bis zu zehn Jahre verlängert wird, zwar nicht verhindern. Aber sie könnte Auswirkungen darauf haben, wer die politische Verantwortung für diese Entscheidung tragen muss.

Die Voraussetzungen für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sind in einer EU-Verordnung geregelt, die vom EU-Ministerrat und vom EU-Parlament erlassen wurde. Laut dieser EU-Verordnung dürfen Pflanzenschutzmittel keine schädlichen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben. Welche Pflanzenschutzmittel diese Voraussetzungen erfüllen, steht nicht darin. Stattdessen bestimmt die EU-Verordnung, dass die EU-Kommission im sogenannten Komitologieverfahren über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln entscheidet.

Das Komitologieverfahren erfolgt in mehr als 250 nach Politikbereichen gegliederten Ausschüssen. Diese setzen sich aus Vertretern der EU-Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen. Einer dieser Ausschüsse soll noch in dieser Woche über die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat beraten. Am Ende der Beratung stimmen die Vertreter der Mitgliedstaaten im Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit darüber ab, wie die EU-Kommission entscheiden soll. Dabei sind drei Szenarien möglich: Stimmt der Ausschuss dafür, muss die EU-Kommission Glyphosat erneut zulassen. Stimmt der Ausschuss dagegen, darf die EU-Kommission die Zulassung nicht verlängern. In beiden Fällen tragen also die Mitgliedstaaten die politische Verantwortung für den Ausgang des Verfahrens. Gibt der Ausschuss keine Stellungnahme ab, weil die dafür erforderliche qualifizierte Mehrheit verfehlt wird, kann die EU-Kommission nach eigenem Ermessen über die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat entscheiden.

Eine Verfahrensänderung könnte die demokratische Legitimation der EU-Kommission stärken

Die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat ist nicht nur in Deutschland umstritten. Auch in anderen Mitgliedstaaten gehen die Meinungen zu diesem Thema auseinander. Wenn einige Mitgliedstaaten im Komitologieverfahren für die Verlängerung stimmen, andere dagegen und wiederum andere sich enthalten, so wie voraussichtlich Deutschland, wird eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss wahrscheinlich nicht erreicht werden. Die EU-Kommission wird also selbst über die gesellschaftlich, politisch und wissenschaftlich hochumstrittene Frage entscheiden müssen, ob Glyphosat mit den europäischen Gesundheits- und Umweltstandards vereinbar ist, und wird dafür die politische Verantwortung tragen müssen.

Weil sich die Mitgliedstaaten im Komitologieverfahren nicht einigen konnten, musste die EU-Kommission in den vergangenen Jahren immer wieder politisch sensible Fragen in eigener Verantwortung entscheiden, etwa die Zulassung genetisch veränderter Lebensmittel wie Mais. Dabei folgt die EU-Kommission in der Regel den wissenschaftlichen Empfehlungen der EU-Agenturen, die für die Bewertung von Gesundheits- und Umweltrisiken zuständig sind.

Dennoch musste die EU-Kommission für diese Entscheidungen viel Kritik einstecken. Unabhängig vom jeweiligen Thema zeigt diese Kritik, dass die EU-Kommission nicht über die notwendige demokratische Legitimation und entsprechende Akzeptanz in der Öffentlichkeit verfügt, um solche politisch sensiblen Fragen zu entscheiden.

Daher hat die EU-Kommission dieses Jahr eine Änderung des Komitologieverfahrens vorgeschlagen, die darauf abzielt, die Mitgliedstaaten stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die EU-Kommission schlägt unter anderem vor, dass sie in politisch sensiblen Verfahren, in denen eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss nicht erreicht wird, den EU-Ministerrat, also die Regierungen der Mitgliedstaaten, um eine unverbindliche Stellungnahme zu der Frage bitten kann, wie sie entscheiden soll. Der Vorschlag der EU-Kommission folgt erkennbar dem in den EU-Verträgen festgelegten Grundsatz, dass die EU-Kommission im Komitologieverfahren von den Mitgliedstaaten kontrolliert werden soll. Die EU-Kommission verkennt bei ihrem Vorschlag allerdings einen weiteren Grundsatz des EU-Rechts, nämlich, dass politisch sensible Fragen nach dem System der Gewaltenteilung in der EU eigentlich überhaupt nicht im Komitologieverfahren entschieden werden dürfen, sondern nur vom EU-Gesetzgeber, also dem EU-Ministerrat und dem EU-Parlament.

Ein Vorschlag wäre daher, nicht nur den EU-Ministerrat, sondern auch das EU-Parlament in politisch sensible Komitologieverfahren einzubinden, wenn eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss verfehlt wird. Der EU-Ministerrat und das EU-Parlament sind die beiden demokratisch am stärksten legitimierten Organe der EU und müssen deshalb als EU-Gesetzgeber alle wesentlichen politischen Entscheidungen treffen. Die EU-Kommission soll im Komitologieverfahren demgegenüber nur noch rechtliche Einzelheiten festlegen.

Tatsächlich geht es im Komitologieverfahren in den allermeisten Fällen nur um Detailfragen, die kaum geeignet sind, gesellschaftliche Kontroversen auszulösen. Wenn im Komitologieverfahren ausnahmsweise doch politisch hochumstrittene Fragen aufkommen, widerspricht dies daher der grundsätzlichen Verteilung der Verantwortung zwischen EU-Gesetzgeber und EU-Kommission.

Daher sollte das Komitologieverfahren so geändert werden, dass die EU-Kommission politisch sensible Fragen dem EU-Gesetzgeber, also dem EU-Ministerrat und dem EU-Parlament, zumindest zur Abgabe einer unverbindlichen Stellungnahme vorlegen kann. Die EU-Kommission könnte sich dadurch in umstrittenen Verfahren politische Orientierung verschaffen. Im Ergebnis würde so auch die demokratische Legitimation ihrer Entscheidungen gestärkt. Vielleicht würde sich die Bundesregierung selbst dann nicht über die Zulassung von Glyphosat einigen können, wenn ihre Vertreter im EU-Ministerrat um eine Stellungnahme gebeten werden. Aber wenn das Komitologieverfahren so geändert würde, wie hier vorgeschlagen, dann müsste sich auch das EU-Parlament mit der Frage befassen, und die Last der politischen Verantwortung wäre zumindest geteilt.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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