Forum:Das große Missverständnis

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Der Ökonom Marcel Fratzscher, 45, hat früher für die EZB gearbeitet. Seit Februar 2013 leitet er das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin (Foto: dietlb.de)

Die Kritiker der Europäischen Zentralbank verkennen, dass diese nicht wie die Bundesbank agieren kann. Aus diesem Grund bedarf es einer ehrlicheren Diskussion über die EZB.

Von Marcel Fratzscher

Die Kritik in Deutschland an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Monaten einen neuen Höhepunkt erreicht. Diesen Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Rechtmäßigkeit des OMT-Anleihenkaufprogramms der EZB entscheiden.

Viele in Deutschland werden von der Entscheidung enttäuscht sein, denn das Bundesverfassungsgericht wird sich nicht gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellen, der dieses Programm für rechtmäßig erklärt hat. Bevor nun wieder eine Welle der Empörung gegen die EZB hoch schwappt, sollten wir uns bewusst machen, dass die EZB nie die Rolle erfüllen kann, die die deutschen Kritikerinnen und Kritiker ihr gerne zuschreiben.

In ihrer ersten Entscheidung von Januar 2014 zum OMT-Programm sah das Bundesverfassungsgericht darin einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Auch wenn die Richter die Kompetenz für ein bindendes Urteil an den Europäischen Gerichtshof abgaben, so haben sie versucht, den Handlungsspielraum der EZB einzuschränken, indem sie definierten, wie ein rechtlich unbedenkliches Anleihenkaufprogramm auszusehen habe: Es dürfe keinen Schuldenschnitt für die EZB bedeuten, müsse ex ante begrenzt sein und dürfe die "Preisbildung am Markt" nicht beeinflussen. Natürlich konnte der Europäische Gerichtshof einer solchen Definition nicht zustimmen - denn sie würde jegliche Geldpolitik unmöglich machen - und hat dem Bundesverfassungsgericht in allen Aspekten widersprochen. Auch werden die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Entscheidung morgen wohl so weise sein, den Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof nicht zu suchen. Aber sie werden vermutlich versuchen, Bedingungen aufzuerlegen und sich das Recht zu bewahren, auch in Zukunft ein Urteil über die Geldpolitik der EZB fällen zu können.

Die Entscheidung zum OMT-Programm und die gegenwärtige Diskussion in Deutschland zur EZB-Geldpolitik zeigen, dass die Kritikerinnen und Kritiker in Deutschland die EZB gerne in eine Bundesbank der 1980er-Jahre verwandeln würden - eine Zentralbank also, die nicht nur unabhängig ist, sondern vor allem eine monetäre Dominanz über die Politik ausübt. Eine Zentralbank also, die aktiv ihre Ziele verfolgen kann und nicht eine Getriebene der Wirtschaftspolitik ist. Anders als die EZB konnte die Bundesbank sehr erfolgreich ihr Mandat der monetären Stabilität verfolgen, ohne Spielball der Politik zu werden.

Die Glaubwürdigkeit der Notenbank wird durch die emotionale Debatte beschädigt

Es stimmt, die Bundesbank hatte über Jahrzehnte hinweg eine solche Dominanz. Und es stimmt auch, dass die EZB diese monetäre Dominanz verloren hat und während der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise viel mehr tun musste, als eine Zentralbank tun sollte.

Damit hat die EZB ihre operative Unabhängigkeit eingeschränkt. Die expansive Geldpolitik der EZB hat es Regierungen erlaubt, höhere fiskalische Defizite einzugehen, möglicherweise auch insolvente Banken am Leben zu erhalten, "der kleine deutsche Sparer" jedoch kann durch die Niedrigzinspolitik nur schwer Vermögen aufbauen.

Die Kritikerinnen und Kritiker der EZB unterliegen drei grundlegenden Irrtümern. Zum einen vergessen viele, dass Europa sich noch immer in einer tiefen Krise befindet. Die EZB tut genau das, was jede Zentralbank in einer Krise tun muss: Sie gibt Banken Kredite, sie nimmt enorme Liquiditätsrisiken auf ihre Bilanz, sie versucht Marktmechanismen zu stärken und die Finanzstabilität zu sichern.

All dies sind notwendige Voraussetzungen, damit die EZB ihrem Mandat der Preisstabilität gerecht werden kann. Die Bundesbank, wäre sie in der Vergangenheit in einer ähnlichen Lage gewesen, hätte wohl nicht anders gehandelt - und dies beinhaltet auch den Ankauf von Staatsanleihen.

Die von den Kritikern gewünschte Rolle der EZB ist zudem nicht wünschenswert, weil sie unterstellt, die EZB solle nicht nur eine Meinung haben, welche Finanz- und Strukturpolitik "richtig" ist, sondern sie solle mit ihrer Geldpolitik auch aktiv darauf hinwirken, dass diese Wirtschaftspolitik umgesetzt wird. Eine solche Forderung ist ein Aufruf zum Mandatsbruch - nicht das gescholtene OMT-Programm.

Eine Zentralbank darf auf die Wirtschaftspolitik nur in dem Maße reagieren, wie diese ihr Mandat der Preisstabilität beeinflusst. Die EZB würde nicht nur ihr Mandat verletzen, wenn sie dieser Kritik nachgäbe. Damit würde die EZB politisiert und der Euro letztendlich zerstört.

Als Drittes bedeutet die Währungsunion mit 19 Nationalstaaten, dass die EZB nie das Maß an monetärer Dominanz erreichen kann, wie es die Bundesbank lange genossen hat. Es war nicht die Bundesbank alleine, die sich das hohe Maß an Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit erarbeitet hatte, sondern es gab einen politischen Konsens in Deutschland für eine starke Währung mit einer starken Bundesbank. Diesen politischen Konsens gibt es in Europa nicht, und es wird ihn nie geben, genauso wie es diesen in vielen anderen Ländern, wie etwa den USA, nicht gibt.

Die Kritik an der EZB in Deutschland ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich und richtet großen Schaden an - für die EZB, für Europa und ultimativ auch für Deutschland. Durch die hochemotionale Debatte in Deutschland, in der die EZB für viele Fehler der Politik verantwortlich gemacht wird - für fehlende Strukturreformen, eine unzureichende Altersvorsorge, zu geringe private Vermögen und gar den Aufstieg des Rechtsextremismus in Deutschland - ist die Glaubwürdigkeit der EZB beschädigt worden. Eine Zentralbank kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie glaubwürdig agieren kann.

Wir benötigen in Deutschland dringend eine ehrlichere Diskussion über die Rolle und das Mandat der EZB. Die Kritikerinnen und Kritiker haben zwei Optionen: entweder eine EU-Vertragsänderung herbeiführen, die die Rolle der EZB neu definiert, oder die destruktive und schädliche Kritik an der EZB einstellen und einen konstruktiven Dialog darüber beginnen, wie Europa aus der Krise kommen kann und welche Reformen dafür nötig wären.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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