Forum:Auf einmal geht es ums Ganze

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Entsteht gerade ein Glasfaser-Monopol der Deutschen Telekom? Die Gefahr besteht durchaus.

Von Roland Koch

Ende Juni sind die Abgeordneten des Bundestages zu ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause zusammengekommen, bevor sie den Weg in ihre Wahlkreise und in die heiße Phase des Bundestags-Wahlkampfes antraten. Eine Vielzahl von Gesetzesvorhaben der großen Koalition mussten noch verabschiedet werden - auch solche, die heftig umstritten waren.

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. An wichtigen Projekten wird weiter gearbeitet. Abseits der medialen Öffentlichkeit werden gerade entscheidende Weichen für die digitale Infrastruktur Deutschlands gestellt. Es geht um das Glasfasernetz. Zu erleben ist ein kraftvolles Muskelspiel der Interessen. Die Deutsche Telekom, die allzu lange auf Investitionen in Kupferkabel gesetzt hatte, versucht nun, nicht nur auf den fahrenden Zug aufzuspringen, sondern ihn gleich ganz zu übernehmen. Wie vor zwei Jahren, als es um das sogenannte Vectoring ging, also um die Ertüchtigung des alten Kupferkabels zur wenigstens beschränkten Nutzung im Internetzeitalter, heißt es auch jetzt: Wir investieren nur, wenn Berlin uns den Wettbewerb auf der Glasfaser vom Hals hält. Sprich, wenn wir - anders als bisher - unser Netz für Dritte abschotten oder für seine Nutzung jeden erdenklichen Preis verlangen dürfen.

Deregulierung nennt man das im Telekom-Hauptquartier euphemistisch. Aber in Wahrheit soll unter Missbrauch einer so marktwirtschaftlich klingenden Überschrift ein weitgehendes Monopol geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund muss man die jüngsten öffentlichen Erklärungen verstehen. Die Deutsche Telekom sei in vielen Bereichen doch gar nicht mehr Marktführer, heißt es zum Beispiel aus dem Unternehmen. Allerdings nutzen bereits jetzt rund 75 Prozent aller Endkunden in Deutschland das Netz der Telekom, die damit 4,5 Milliarden Euro Jahresgewinn allein in Deutschland erzielt, was wiederum drei Viertel des erwirtschafteten Branchen-Gewinns entspricht.

In Bonn spekuliert man darauf, dass die Politik nicht erkennt, in welcher Dimension ein Glasfaser-Monopol die Abhängigkeit von der Deutschen Telekom erhöhen würde, vielleicht nicht kurzfristig, aber sicher langfristig. Damit wären wohl auch die in Deutschland schon fast traditionell sinkenden Endkundenpreise für Telekommunikationsdienstleistungen Geschichte. Der Wettbewerb der vergangenen Jahre, der ja erst zu den rasanten technischen Innovationen und immer günstigeren Preisen im Festnetz geführt hat, würde zu einem Ende kommen.

Der Zeitpunkt für die Initiative der Telekom ist gut gewählt. Vor vier Jahren ging es darum, der Politik für die Hoffnung auf schnelle Versorgung aller Haushalte mit einem Anschluss von 50 Mbit/s (was schon damals zu wenig war) Privilegien für das ehemalige Staatsmonopolunternehmen abzuringen. Zu Beginn der nächsten Regierungsperiode wird der Druck wachsen, das Land so schnell wie möglich mit Glasfaserkabeln zu überziehen. Denn in Deutschland haben heute lediglich rund 1,5 Prozent aller Haushalte Zugang zu echter Gigabit-Glasfaser bis in die Wohnung. Ein für den Exportweltmeister Deutschland gefährlich geringer Anteil. Und damit von den vielfachen "weißen Flecken" im Mobilfunk und dem unterversorgten ländlichen Raum noch gar nicht gesprochen.

Das Wirtschaftsministerium hat errechnet, dass in den nächsten Jahren rund 100 Milliarden Euro Netzinvestitionen notwendig sind. Dafür will das Ministerium womöglich drei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich an Förderung ausschütten. Diese Förderungen würden erfahrungsgemäß auch zu 70 bis 80 Prozent bei der Deutschen Telekom landen, das ist eben das "Privileg" des ehemaligen Monopolisten.

Ob die anvisierten drei Milliarden Euro im Jahr reichen werden, ist fraglich. Aber auch mit hohen Förderungen ist klar: Ohne die Investitionsbereitschaft und betriebswirtschaftlich vertretbaren Geschäftsmodelle der Unternehmen wird es nicht gehen. Dass die Deutsche Telekom diese Situation für sich zu optimieren sucht, ist normal. Sie hatte ja auch in der Vergangenheit oft Erfolg. Doch jetzt geht es ums Ganze. Die Bedingung der Telekom für ihre finanzielle Kooperation scheint zu lauten: "Wir wollen das Monopol auf die Zukunftsinfrastruktur. Unsere Glasfaser gehört uns allein, wir teilen mit niemandem und bestimmen die Preise." Wer das aber zulassen würde, zementierte für Verbraucher hohe Internetpreise, gefährdete Arbeitsplätze und erwiese Deutschlands digitaler Zukunft einen echten Bärendienst. Das darf und muss nicht sein.

In dieser Situation lohnt sich ein Blick in das EU-Ausland. Etwa nach Spanien und Portugal. Mit einigen cleveren regulatorischen Weichenstellungen wurden in diesen Ländern Rahmenbedingungen geschaffen, die es nicht nur den dortigen ehemaligen Staatsmonopolisten, sondern allen Wettbewerbern ermöglichten, hochleistungsfähige Glasfasernetze auszurollen. In Spanien sind inzwischen für gut 75 Prozent der Haushalte Glasfaseranschlüsse verfügbar, in Portugal sind es sogar knapp 90 Prozent. Dies zeigt: Es gibt Alternativen. Und die kommen völlig ohne Einräumung eines geförderten Glasfaser-Monopols aus. Die Modelle, die dem entsprechen, liegen alle auf dem Tisch. Co-Investment, wie es die EU-Kommission vorschlägt, kommunale Betreibermodelle, wie sie ja gelegentlich zu sehen sind, fortgesetzte Regulierung bei nationaler Marktbeherrschung, sind Stichworte hierfür.

Die bedauerliche Wahrheit lautet, dass spätestens seit 2009 auch in Deutschland die Erschließung jedes einzelnen Haushaltes mit Glasfaser hätte beginnen müssen. Entsprechend dem Verhaltensmuster eines stark marktbeherrschenden ehemaligen Monopolisten tat die Deutsche Telekom alles, um diese Entwicklung zu verlangsamen. Noch vor zwei Jahren hieß es aus der Vorstandsetage der Deutschen Telekom: "Welcher Haushalt braucht schon 200 Megabit pro Sekunde?" Aber heute ist man in der Gigabit-Welt angekommen. Diesem Unternehmen nun von staatlicher Seite mit dem giftig-süßlichen Begriff der "Deregulierung" einen fast nicht aufholbaren Wettbewerbsvorsprung einzuräumen, würde das Ziel, Deutschland möglichst schnell in die Spitzengruppe der Glasfaser-Länder zu bringen, maximal gefährden. Im Extremfall haben wir eine wenig innovative Infrastruktur mit einem einzigen, den Markt beherrschenden, trägen Betreiber. Das hatten wir in vergangenen Jahrzehnten, und niemand sollte sich dahin zurücksehnen.

Es bleibt die Hoffnung, dass die möglichen Alternativen vom unabhängigen Wettbewerbshüter, der Bundesnetzagentur und den wettbewerbsorientierten Parteien rechtzeitig erkannt und diskutiert werden. Auch die europäische Kommission hat immer klargemacht, dass eine Rücknahme des Wettbewerbs nicht akzeptabel ist, auch wenn sie im Schafspelz der "Deregulierung" daherkommt.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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