Folgen des Lokführerstreiks:Kein Stopp in der deutschen Industrieproduktion

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Nach dreitägigem Streik der Lokführer im Güterverkehr und befürchteter, schlimmster Folgen für die deutsche Industrie, gab es keine Produktionsausfälle bei den Unternehmen - nur Störungen.

Der dreitägige Streik im Güterverkehr der Bahn hat die deutsche Wirtschaft weniger hart getroffen als von Experten zuvor befürchtet. Die vor allem in der Automobil- und der Stahlindustrie nicht ausgeschlossenen Produktionsausfälle blieben aus. Sorgen bereitete die Drohung der Lokführergewerkschaft GDL mit unbefristeten Streiks.

Automobilzulieferer in Sachsen-Anhalt bekamen Probleme, weil Teile-Lieferungen ausblieben. Große Handelskonzerne wie Arcandor und die Metro Gruppe zeigten sich gelassen. Die Lager seien gut gefüllt. In den Häfen stauten sich zwar einige Container. Große Probleme gab es meist aber nicht.

Der bisher längste Bahnstreik hat die Produktion der Autobauer in Deutschland noch nicht gebremst. Die Fertigung in den Werken laufe weitgehend reibungslos, sagten Sprecher von Volkswagen und BMW am Freitag. Auch der Abtransport der fertigen Autos sei bisher nicht gefährdet, hieß es sowohl von dem Wolfsburger wie von dem Münchener Konzern.

Auch an Porsche geht der Arbeitskampf bislang spurlos vorbei. Das Werk in Leipzig werde problemlos beliefert, erklärte der Sportwagenhersteller. Ein Sprecher des Autokonzerns Daimler sagte: "Wir haben keine Probleme durch den Streik".

Bis Montag lahmgelegt ist allerdings die Fertigung im belgischen Werk Brüssel der VW-Tochter Audi wegen fehlender Karosserieteile. Am Montag werde die Arbeit dort wieder normal laufen, erklärte ein Audi-Sprecher. An den deutschen Standorten Ingolstadt und Neckarsulm gibt es dagegen weiter keine Schwierigkeiten. "Wir haben keine Probleme bei der Materialversorgung oder beim Abtransport", sagte der Sprecher.

In den neun deutschen Volkswagen-Werken stauen sich hingegen wegen des Bahnstreiks lediglich die neuen Autos. Nach Angaben eines Unternehmenssprechers stehen mittlerweile mehrere Tagesproduktionen auf Ausweichflächen. "Mit dem erwarteten Zulauf aus der heutigen Produktion rechnen wir mit einem Anstieg der fertigen Fahrzeuge auf den Ausweichflächen auf 10.000", sagte ein Unternehmenssprecher in Wolfsburg.

Produktionseinschränkungen drohen durch den 62-Stunden-Streik bei der VW-Konzernmarke Volkswagen weiterhin nicht. Die Materialversorgung sei bis zur Frühschicht am Montag sichergestellt, sagte der Sprecher weiter. Bis dahin sei auch der Abtransport der Neufahrzeuge auf Ausweichflächen oder zur Auslieferung gesichert. 10.000 Neufahrzeuge entsprächen der europaweiten Produktion der Konzernmarke von eineinhalb Tagen.

Der Wolfsburger Autobauer hat für seine Werke Notfallpläne erarbeitet und Ausweichflächen angemietet, um Autos zwischenlagern zu können. Für Transporte werden zudem verstärkt Lkw eingesetzt.

Auch beim Nutzfahrzeughersteller MAN in München gab es keine Einschränkungen in der Produktion. "Wir werden fast ausschließlich per Lkw beliefert, sagte MAN-Pressesprecher Detlef Hug auf Anfrage der sueddeutschen.de. Nur am Standort Nürnberg werde ein eigenes Karftwerk mit Kohle per Bahn beliefert. "Doch wir haben anderthalb Wochen Puffer an Kohlevorräten angelegt," sagte Hug.

Der Reifenhersteller Continental, der nur über die Straße transportiert, hat nach eigenen Angaben ebenfalls keine Probleme bei der Produktion. Lediglich eine kleine Lieferung erfolgt mit der Bahn, sagte eine Unternehmenssprecherin.

Die Norddeutsche Affinerie, der größte Kupferhersteller in Europa, hat nach eigenen Angaben auch keine Probleme mit der Beförderung von Gütern. "Im Moment haben wir keine Engpässe, wir haben vorgesorgt", sagte Sprecherin Catari Betz der sueddeutschen.de

Auch die Chemieindustrie in Ostdeutschland ist von gravierenden Engpässen durch den Bahnstreik bislang verschont geblieben. Die Branche habe dort den Streik relativ gut verkraftet, sagte der Hauptgeschäftsführers der Chemieverbände Nordost, Paul Kriegelsteiner. "Bis jetzt gibt es noch keinen Produktionsausfall," sagte er. Unternehmen hätten auf alternative Verkehrsunternehmen ausweichen können sowie auf Bevorratung. Die Logistik-Abteilungen hätten sich außerdem gut vorbereitet. Die Chemieverbände Nordost vertreten mehr als 300 Unternehmen in Ostdeutschland mit mehr als 50.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 19 Milliarden Euro.

Im Hamburger Hafen blieb das große Chaos nach Angaben einer Sprecherin aus, obwohl die Hälfte der Güterzüge verspätet war oder ausfiel. Auch die Duisburger Hafen AG bezeichnete die Lage am dritten Streiktag als "unkritisch". Probleme würde es erst ab einer Woche Streik geben. Der Lübecker Hafen dagegen sprach von einer ausgesprochen schwierigen Lage. Statt 100 Waggons standen am Freitagmorgen nur 14 zur Papierverladung bereit, sagte eine Sprecherin.

Bei den Handelskonzernen Arcandor und der METRO Gruppe war von Streikfolgen nichts zu spüren. "Die Lager fürs Weihnachtsgeschäft sind voll", sagte Arcandor-Sprecher Jörg Howe. Die Auslieferung erfolge per Lastwagen. Das gelte auch für das Versandgeschäft der Arcandor-Tochter Quelle.

Dagegen leiden vor allem die Schrott verarbeitenden Betriebe der Stahlbranche in Ostdeutschland unter dem Bahnstreik. "Die Elektro-Stahlwerke in Ostdeutschland, die auf eine hundertprozentige Versorgung mit Recycling-Schrott angewiesen sind, tun sich da sehr schwer", sagte der Präsident des Branchenverbandes Wirtschaftsvereinigung Stahl, Dieter Ameling.

Marktführer Thyssen Krupp Steel AG, am Rhein gelegen und per Binnenschiff versorgt, sei kaum betroffen. Alle Rohstoffe wie Erz und Kohle für die Eisen- und Stahlproduktion würden auf dem Wasserweg nach Rotterdam transportiert, sagte Unternehmenssprecher Dietmar Stamm der sueddeutschen.de und ergänzte: "Notfallpläne haben bereits beim letzten Mal gegriffen und greifen auch dieses Mal".

Beim zweitgrößten deutschen Stahlkocher Salzgitter behindern die Streiks die Produktion nur geringfügig. Erz und Kohle, die Salzgitter per Bahn vom Hamburger Hafen bezieht, würden zwar verspätet angeliefert, sagte ein Konzernsprecher. "Aber wir kriegen unsere Rohstoffe. Die Produktion läuft weiter." Salzgitter habe vor dem Streik Reserven aufgebaut, die die Firma aber noch nicht angreifen müsse, sagte der Sprecher. Verzögerungen gebe es auch beim Abtransport der fertigen Produkte an die Kunden. Hier greife Salzgitter in Absprache mit den Kunden zur Alternative Lkw.

Automobilzulieferer in Sachsen-Anhalt berichteten dagegen von erheblichen Problemen. Teils drohe Kurzarbeit, klagte Friedrich Fahlberg, Leiter der Barleber Geschäftsstelle des Kompetenznetzwerkes MAHREG der Autozulieferer. Zum einen fehlten Zulieferungen, zum anderen würden Unternehmen ihre Produkte an die Endabnehmer nicht mehr los. Das Problem werde sich erheblich verschärfen, wenn die Gewerkschaft der Lokführer ihre Ankündigung eines unbefristeten Streiks in der kommenden Woche wahr mache.

Auch die Bahn befürchtet, dass die Bänder hierzulande bei zunehmender Streikdauer doch noch stillstehen könnten. Automobilfirmen würden zunehmend Alarm schlagen, weil Zulieferungen ausbleiben", hatte Bahn-Vorstand Norbert Bensel am Donnerstagabend erklärt. In Ostdeutschland entwickele sich die Versorgungslage dramatisch, Westdeutschland sei besser dran.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/AP/Reuters/dawa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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