Folgen der Siemens-Affäre:Weckrufe für Aufsichtsräte

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Ein neues Urteil und ein neues Gesetz zeigen es: Mitglieder von Kontrollgremien müssen ihre Verantwortung ernst nehmen - sonst können sie belangt werden.

Daniela Kuhr

Für Vorstände von Aktiengesellschaften sind ungemütliche Zeiten angebrochen. Seit Staatsanwälte ihre Scheu verloren haben, werden sie strafrechtlich viel häufiger für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen. Und auch zivilrechtlich drohen den Managern zunehmend Konsequenzen. Das wohl spektakulärste Beispiel ist der Fall Siemens, wo der Aufsichtsrat beschlossen hat, wegen der Schmiergeldaffäre den gesamten früheren Vorstand auf Schadenersatz zu verklagen. Für Vorstände wird die Luft also dünner. Doch was ist mit den Aufsichtsräten? Schließlich ist es ihre Aufgabe den Vorstand zu kontrollieren und Fehlverhalten zu verhindern.

Der Fall Siemens und seine Folgen: Aufsichtsräte können für Versäumnisse haftbar gemacht werden. (Foto: Foto: dpa)

"Den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft in die Haftung zu nehmen, ist sehr schwierig", sagt Hans-Ulrich Wilsing, Partner der Kanzlei Linklaters in in Frankfurt. "Er hat zwar den Vorstand zu überwachen, doch er ist kein Ersatz-Geschäftsführer und muss sich daher nicht um jedes Detail kümmern."

Milliardenbetrag in schwarzen Kassen

Ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorfs sorgt jetzt allerdings für Unruhe in Managementkreisen. Darin haben die Richter einen Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden verurteilt, einem Aktionär Schadenersatz von knapp 40.000 Euro zu zahlen (Aktenzeichen: I-9 U 14/08). Es ging um eine betrügerische Gesellschaft, deren Vorstand das Geld der Anleger nicht wie versprochen investiert, sondern verprasst hatte. Der Aufsichtsrat müsse zahlen, weil er den Vorstand nicht genügend überwacht habe, sagt der Münchner Anwalt Peter Mattil, der den klagenden Aktionär vertreten hat. Der Aufsichtsrat sei untätig geblieben, obwohl sich diverse Fragen "aufgedrängt" hätten, heißt es im Urteil. Dazu zählte vor allem die Frage, wo Millionenbeträge geblieben seien.

Im Fall von Siemens ist ebenfalls viel Geld verschwunden, und zwar mehr als nur ein paar Millionen Euro. Hier geht es um einen Milliardenbetrag, der möglicherweise in schwarze Kassen geflossen ist. Doch genau wie der Vorstand will auch der Aufsichtsrat nicht erkannt haben, dass im Konzern über Jahre hinweg systematisch geschmiert wurde. Könnten Aktionäre nun nach dem Düsseldorfer Urteil den früheren Aufsichtsrat von Siemens ebenfalls wegen mangelnder Kontrollausübung verklagen?

"Bei Siemens gab es deliktisches Handeln in großem Stil", sagt Mattil. "Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass der Aufsichtsrat nicht ausreichend überwacht hat." Die Sache habe jedoch einen Haken: Selbst nach Bekanntwerden des Skandals Ende 2006 sei die Siemens-Aktie stetig gestiegen. Die Affäre habe den Kurs nicht erkennbar belastet.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Siemens-Konzern von seinen Kontrolleuren möglicherweise Geld zurückverlangen könnte - und wie der Gesetzgeber den Druck auf die Aufsichtsräte sogar noch erhöht.

"Daher haben Klagen von Aktionären auf Schadenersatz kaum Aussicht auf Erfolg, weder gegen den Vorstand noch gegen den Aufsichtsrat", sagt Mattil. Das sieht Bernd Jochem von der auf Anlegerklagen spezialisierten Münchner Kanzlei Rotter genau so. "Theoretisch wären im Fall von Siemens sicher Klagen gegen den Aufsichtsrat denkbar, doch das große Problem ist immer die Frage: Wo ist der Schaden?"

Auch wenn Siemens-Aktionäre bislang nicht gelitten haben, ist der Konzern selbst doch in jedem Fall beträchtlich geschädigt. Schließlich steht noch die Strafe der amerikanischen Börsenaufsicht SEC aus, die im äußersten Fall sogar mehrere Milliarden Euro betragen könnte. "Ersatz für diesen Schaden einzuklagen, ist allerdings nicht Sache eines einzelnen Aktionärs, sondern Sache des Konzerns", erklärt Mattil. "Um den früheren Aufsichtsrat zu verklagen, müsste daher der Vorstand aktiv werden."

So wie es umgekehrt bereits geschehen ist: Der heutige Aufsichtsrat hat beschlossen, den Ex-Vorstand zu verklagen. Mattil ist aber überzeugt, dass das von ihm erstrittene Urteil Signalwirkung auch für solche Prozesse hat, die nicht von Aktionären geführt werden. "Die Richter haben klargestellt, dass es für Aufsichtsräte eben nicht genügt, alle paar Monate zusammenzukommen, sich vom Vorstand berichten zu lassen und anschließend eine Zigarre zu rauchen", sagt der Anwalt. "Sie müssen richtig kontrollieren und in die Bücher schauen."

Strengere Kontrolle

Wilsing hält das Düsseldorfer Urteil dagegen für einen Extremfall, weil es sich um eine betrügerische Gesellschaft gehandelt habe. "Der Richterspruch ist zwar eine Art Weckruf für Aufsichtsräte, doch im Normalfall bleibt es dabei, dass sie nur sehr schwer zu greifen sind." Das zeigt auch das Beispiel des früheren Skandalunternehmens EM.TV, das sich inzwischen zu EM Sport Media gewandelt hat. Das heutige Management verklagt den ehemaligen Vorstand und Aufsichtsrat auf 200 Millionen Euro. Die Klagen laufen seit mehr als drei Jahren. Ein Ende ist immer noch nicht absehbar.

Auch der Gesetzgeber erhöht den Druck auf die Aufsichtsräte. Das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts, das im kommenden Jahr in Kraft treten soll, enthält neue Vorgaben für den Prüfungsausschuss - und damit für den Teil des Aufsichtsrats, der die Rechnungslegung und den Jahresabschluss des Konzerns überwacht. Die neuen Vorschriften betonen die Kontrollfunktion des Gremiums. Es liege "im Interesse des Aufsichtsrats, den Vorstand zu veranlassen, stringente Kontrollsysteme und Informationsabläufe zu installieren", heißt es in der Begründung zu dem Gesetzentwurf - schon um "eigene Sorgfaltspflichtverletzungen auszuschließen".

© SZ vom 19.08.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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