Flüchtlinge:Aus der Kasse

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Auto-Exporte nach China sind wichtig für die deutsche Wirtschaft. (Foto: Info Wagner/dpa)

Die Institute halten die Ausgaben für die Flüchtlinge auch ohne Schulden für finanzierbar. Trotz absehbarer Kosten von zunächst 15 Milliarden Euro werde der Staat auch 2015 und 2016 Überschüsse erwirtschaften.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die führenden Forschungsinstitute sehen Staat und Wirtschaft durch die hohen Flüchtlingszahlen vor großen Herausforderungen. Nach ihrer Einschätzung ist Deutschland aber in der Lage, die entstehenden Kosten aus den Überschüssen der Haushalte zu tragen. Sie halten es für unnötig, in diesem oder im kommenden Jahr für die Flüchtlinge neue Schulden aufzunehmen. "Mehrausgaben sollten - sofern mit der deutschen Schuldenbremse und den europäischen Fiskalregeln vereinbar - nicht über Einnahmeerhöhungen oder Ausgabenkürzungen an anderer Stelle finanziert werden", heißt es in dem Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und an diesem Donnerstag offiziell vorgestellt werden soll.

Geld ist nach Auffassung der Institute reichlich vorhanden: Durch die gute wirtschaftliche Lage und die hohe Beschäftigungszahl wird der Staat 2015 einen Überschuss von 23 Milliarden Euro erwirtschaften, heißt es in dem Gutachten. Im kommenden Jahr wird er allerdings nur noch 13 Milliarden Euro betragen - wegen der Flüchtlinge, aber auch weil die kalte Progression gemindert werden soll.

In diesem Jahr entstünden durch die Asylsuchenden zusätzliche Kosten von etwa vier Milliarden Euro, für 2016 rechnen die Forscher mit elf Milliarden Euro. Dazu zählten Unterbringung, Versorgung und Integration. Sie fordern die Regierung auf, etwa durch die Ausweisung von geeignetem Bauland und einer weniger strengen Regulierung beim Wohnungsbau für ein besseres Angebot der Unterkünfte zu sorgen. Gerade in den Ballungsräumen sei jetzt schon zu wenig geeigneter Wohnraum vorhanden. Die Institute warnten allerdings auch davor, die Flüchtlinge wegen des größeren Wohnraums vor allem in strukturschwachen Gegenden unterzubringen. Regionen mit niedrigeren Arbeitslosenzahlen sollten einen größeren Teil der Flüchtlinge aufnehmen.

Sprachkurse reichten nicht aus, um für die Zugezogenen eine Aufnahme in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten, heißt es weiter. Vielfach werde trotz fachlicher Ausbildung eine zusätzliche Qualifizierung notwendig sein, da die im Heimatland erworbenen Kenntnisse nicht ausreichten. Sie müssten vielmehr durch Praktika oder einen frühzeitigen Einstieg ins Berufsleben entsprechende Erfahrungen sammeln.

Hier wirke sich vor allem die Regelung nachteilig aus, dass ein Unternehmen einen Asylbewerber erst einstellen darf, wenn es nachweisen kann, dass für den Arbeitsplatz kein Deutscher oder kein EU-Bürger infrage komme. Nach Meinung der Institute sollte dieser Vorbehalt deshalb für Flüchtlinge aufgehoben werden, die wahrscheinlich anerkannt würden.

Die Flüchtlingskrise wird nach Einschätzung der Institute direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Zwar soll die Zahl der Erwerbstätigen auch im kommenden Jahr weiter zunehmen (2015: 42,9 Millionen; 2016: 43,19 Millionen). Jedoch werde 2016 erstmals seit Jahren auch die Zahl der Arbeitslosen wieder steigen, weil viele Flüchtlinge dann in den Arbeitsmarkt drängten, ohne sofort eine Beschäftigung zu finden. Die Forscher gehen von einer Zunahme der Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent aus. 2015 sollen es nach ihren Berechnungen noch 6,4 Prozent sein.

Je schneller die Flüchtlinge ausgebildet seien, je besser ihre Qualifikation anerkannt und genutzt werde und je höher ihre Arbeitsplätze seien, desto geringer seien die Kosten für den Staat, heißt es. "Zuwanderer mit guten Jobs sind keine Belastung für die öffentlichen Haushalte, sondern tragen durch Steuern und Abgaben zu deren Entlastung bei." Allerdings wäre es eine Illusion anzunehmen, dass es gelingen könne, alle ankommenden Flüchtlinge schnell in Beschäftigung zu bringen.

Insgesamt ziehen die Forscher eine positive Bilanz für die deutsche Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft trotzt demnach auch weiterhin der schlechten Lage der Weltwirtschaft. Für das laufende und das kommende Jahr erwarten sie ein Wachstum von jeweils 1,8 Prozent.

Der Anstieg des Bruttoinlandproduktes werde vor allem durch den privaten Konsum getragen. Dieser werde insbesondere durch die hohe Beschäftigung und die, auch durch den niedrigen Ölpreis, kräftig steigenden Reallöhne befördert. Die Inflation wird 2016 laut Gutachten leicht anziehen. Erwarten die Forscher im laufenden Jahr noch einen Preisanstieg von 0,3 Prozent, soll er 2016 auf 1,1 Prozent steigen.

Als wesentliches Risiko für die Wirtschaft bezeichnen die Institute die Lage in China. Dort habe sich das Expansionstempo deutlich abgeschwächt und die weitere Entwicklung sei schwer abzuschätzen. Besonders aber könnte darunter nach Einschätzung der Forscher die Automobilindustrie leiden, die im vergangenen Jahr insgesamt zehn Prozent ihrer Exporte nach China geliefert habe. Dies sei nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil diese Schlüsselbranche der deutschen Industrie mit dem Skandal um manipulierte Abgaswerte von Dieselfahrzeugen im Prognose-Zeitraum ohnehin einem erheblichen Risiko ausgesetzt sei.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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