Film:Das Leben schreibt ein anderes Drehbuch 

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Kevin Spacey, hier in seiner Rolle als Politiker in „House of Cards“, wird Missbrauch vorgeworfen. (Foto: Patrick Harbron/obs)

Umproduzierte Kinostreifen kosten Millionen - wenn sie nicht versichert sind.

Von Anne-Christin Gröger, Köln

In diesen Tagen kommt in Deutschland "Alles Geld der Welt" in die Kinos - ohne Kevin Spacey. Der Schauspieler soll jahrelang junge Männer sexuell genötigt und bedrängt haben. Als das bekannt wurde, entschieden der Filmproduzent Ridley Scott und die Produktionsfirma Sony Pictures, den bereits fertiggestellten Film zu überarbeiten - ein gigantischer Aufwand. Statt Spacey spielt nun der kanadische Schauspieler Christopher Plummer den amerikanischen Milliardär Jean Paul Getty, der Lösegeldzahlungen für seinen Enkel an die Mafia verweigert.

Zusätzliche Drehtage sind nicht billig. Das Branchenblatt Variety schätzt, dass der Film um zehn Millionen Dollar teurer wurde als geplant. Ob Sony Pictures eine Versicherung für diesen Fall hat, ist nicht bekannt. Auf Anfrage reagierte das Unternehmen nicht. Es ist aber unwahrscheinlich. Denn die klassische Filmversicherung deckt in der Regel nur Personenausfälle durch Krankheit, Unfälle und Verletzung oder Tod ab. Öffentliche Skandale, verursacht durch Vorsatz, sind nicht abgesichert.

Die immer neuen Enthüllungen über vermeintliche oder tatsächliche sexuelle Übergriffe von Regisseuren und Produzenten wirft nun aber auch die Frage nach der Versicherung auf. "Viele Filmemacher sind sensibilisiert und fragen sich, ob das Ausscheiden eines Schauspielers aufgrund von Imageproblemen versichert ist", berichtet Robert von Bennigsen, geschäftsführender Gesellschafter bei der Deutschen Filmversicherungsgemeinschaft (DFG). Die DFG versichert etwa 50 Prozent aller deutschen Filmproduktionen. Führender Versicherer bei dem Versicherungspool ist die Axa, sie trägt 30 Prozent aller Risiken.

Von Bennigsen muss die Frage nach der Versicherbarkeit von Imageschäden regelmäßig verneinen. "Der reine Vorwurf gegenüber einem Schauspieler lässt sich schwer versichern", so der Experte. "Möglich ist eine Deckung allenfalls dann, wenn gegen einen Darsteller, Regisseur oder Kameramann eine strafrechtliche Ermittlung eingeleitet wurde, die einen Passentzug, Untersuchungshaft oder eine sonstige Einschränkung der Reisefreiheit zur Folge hat." Allerdings muss der Vertrag eine entsprechende Klausel enthalten.

"Meistens sind es Beinbrüche oder Viruserkrankungen, die Schauspieler vom Set abhalten."

Die meisten Schäden in der Filmversicherung sind ohnehin weniger spektakulär, sagt Franz Gossler, der sich als Versicherungsmakler auf die Vermittlung der speziellen Policen im Unterhaltungsbereich spezialisiert hat. "Meistens sind es Beinbrüche, Viruserkrankungen oder andere gesundheitliche Probleme, die Schauspieler vom Set abhalten." Aber auch das kann schnell teuer werden. "Drehpläne sind in der Regel so gestrickt, dass die Termine aller Beteiligten genau aufeinander abgestimmt sind", sagt Gossler. Fällt ein Schauspieler für mehrere Tage oder Wochen aus, verschiebt sich der Dreh nach hinten, die gesamte Planung kommt durcheinander. Andere Hauptdarsteller oder Kameraleute sind bereits wieder an einem anderen Set unterwegs und müssen für viel Geld aus diesen Verträgen herausgekauft werden. Der Makler erinnert sich an einen Fall, bei dem eine Schauspielerin aufgrund psychischer Probleme nicht mehr drehen konnte und durch eine Kollegin ersetzt werden musste: "Das hat den Versicherer 1,4 Millionen Euro gekostet."

Auch bei Tod eines Darstellers zahlt die Versicherung, wenn das Drehbuch umgeschrieben und ein schauspielerischer Ersatz gefunden werden muss. Allerdings kann das auch strittig werden: Bekannt wurde der Fall Schauspielerin Maria Kwiatkowsky, die mitten in den Dreharbeiten zum Film "Die Erfindung der Liebe" war, als sie im Juli 2011 nach einer Überdosis Kokain tot in ihrer Wohnung gefunden wurde. Das Drehbuch des Films musste umgeschrieben werden, die Produktionsfirma Coin Film machte Mehrkosten von 795 000 Euro beim Versicherer Gothaer geltend. Ein Abbruch der Dreharbeiten wäre noch teurer geworden. Die Gothaer wollte jedoch nicht zahlen. Sie verwies auf den Gesundheitsfragebogen, den Kwiatkowsky vor Vertragsabschluss ausgefüllt und darin Drogenkonsum verneint hatte. Die Gothaer sah das als Täuschung an und lehnte eine Kostenübernahme ab. Nach mehreren Prozessen einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Die Gothaer zahlte 550 000 Euro. Der Film wurde fertiggestellt, nur mit veränderter Handlung.

Das große Engagement aller Beteiligten sei ein großer Vorteil der Filmbranche, sagt DFG-Experte von Bennigsen. "Die Leute brennen für ihre Sache und wollen den Film unter allen Umständen fertig stellen." Dafür würden sie auch Mehrarbeit in Kauf nehmen. Zudem meldeten sich die Schauspieler nicht bei jeder Kleinigkeit krank. Auch das ist gut für den Versicherer.

Hackerangriffe und Raubkopien machen der Filmbranche zunehmend zu schaffen

Neue Herausforderungen bringt die Digitalisierung. "Viele Schäden durch die analoge Filmbearbeitung entstehen gar nicht mehr, etwa zu hell belichtete Filmnegative oder Schrammen in der Filmrolle", sagt Makler Gossler. "Pixelfehler oder Unreinheiten im Gesicht des Hauptdarstellers können leicht digital nachbearbeitet werden." Stattdessen aber gibt es neue Gefahren: Daten können versehentlich gelöscht, beschädigt oder gestohlen werden. Für solche Schäden gibt es spezielle Cyberpolicen. Dazu kommt: "Das Risiko von Hackerangriffen und Piraterie besteht in der Filmbranche genau wie in anderen Wirtschaftszweigen auch", sagt von Bennigsen von der DFG. "Keiner will, dass fertig geschnittene Filme im Darknet oder auf Youtube auftauchen." Solche Schäden lassen sich bislang kaum versichern. "Es ist schwer messbar, wie sehr ein raubkopierter Film das Ergebnis an den Kinokassen ändert", sagt er. Die Branche wird darüber noch viel diskutieren müssen.

© SZ vom 06.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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