Ferdinand Porsche:Ein Leben für vier Räder

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Ein Buch des Zeithistorikers Wolfram Pyta enthüllt neue Details aus dem Leben des Konstrukteurs. Es war auch begnadeter Lobbyist und Trickser - und Opfer einer französischen Intrige.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Porsche. Wer Männer treffen will, die dieser Familienname kalt lässt (sowohl im positiven als auch negativen Sinne), der muss die motorisierte Welt schon weit hinter sich lassen und tief in den Dschungel eindringen. Ferdinand Porsche, der Namensgeber der Porsche AG, ist eine der größten Legenden in der Geschichte des Automobilbaus. Viele Bücher haben das Leben des Konstrukteurs und Patriarchen beschrieben. Dabei blieben bislang viele Details im Diffusen oder gar im Volldunkeln - vor allem aus der Nazi- und Nachkriegszeit.

Etliches wurde ungenau oder falsch weitergegeben, manches wurde bis heute verschwiegen oder schlicht noch nicht entdeckt. Am Montag erscheint im Siedler-Verlag eine Studie des Zeithistorikers Wolfram Pyta, die einige Legenden korrigiert und präzisiert. Mehr noch: Der Professor der Universität Stuttgart und seine Mitautoren Nils Havemann und Jutta Braun bringen viele neue Details der Geschichte der Automobilindustrie ans Licht.

Die wichtigsten Erkenntnisse: Erstens war Ferdinand Porsche weder Antisemit noch Nazi, aber zweitens war er ein gnadenloser Opportunist und Trickser. Drittens galt in der Autoszene schon zwischen 1933 und 1945 jenes ungeschriebene Gesetz, das sich bis heute gehalten hat: Wer in der Branche reüssieren will, muss nicht nur ein guter Ingenieur sein, sondern auch ein geschickter Intrigant. Dabei war der alte Porsche - viertens - Täter und Opfer zugleich; Zunächst baute er skrupellos unter der schützenden Hand Adolf Hitlers sein Unternehmen auf, dies auf Kosten des Staates und anderer Autofirmen. Und nach dem Krieg war Porsche kurz davor, für die französische Regierung das Pendant zum deutschen Volkswagen zu entwickeln. Diese "voiture populaire" verhinderte - fünftens - der Konkurrent Jean-Pierre Peugeot im letzten Moment durch eine Intrige.

Es war ausgerechnet der kommunistische Industrie-Minister Marcel Paul, ein Überlebender des KZ Buchenwald, der die Finger nach dem Hitler-Günstling ausstreckte. Porsche war laut Pyta ganz "Feuer und Flamme" für das Projekt jenseits des Rheins. Er fuhr mit seinem Sohn Ferry (Ferdinand Anton) und Schwiegersohn Anton Piëch ins besetzte Baden-Baden, um die letzten Details mit den Franzosen zu besprechen. Geplant war eine Zusammenarbeit mit der verstaatlichten Autoschmiede Renault. Wenn der Plan aufgegangen wäre, hätte sich der Automarkt in Europa sicherlich anders entwickelt als er heute aussieht. "1945 wurden die Karten neu gemischt", sagt Wolfram Pyta, "im Wirtschaftsleben generell, aber auch in der Automobil-Industrie." Wer weiß, wer nach dem Krieg im gerade erst entstehenden Kleinwagen-Markt das Rennen gemacht hätte. Die noch zu gründende Firma Volkswagen mit ihrem Käfer aus dem geschlagenen Deutschland? Oder vielleicht doch der gepäppelte und von Porsche beratene Staatskonzern Renault aus dem Land der Siegermacht?

Das Porsche-Modell 356 wurde in den 1950er Jahren ein Erfolg. Im Bild Ferry Porsche (rechts) und Ferdinand Porsche an seiner Seite. (Foto: Siedlerverlag)

Das französisch-deutsche Projekt Porsche wurde durch eine gezielte Intervention von Jean-Pierre Peugeot verhindert. Der Konkurrent hatte von den Plänen Wind bekommen und fürchtete um die Existenz seiner Firma. Deshalb schwärzte er Porsche und Piëch bei den Behörden an: Sie hätten während der Besatzung Frankreichs durch das Nazi-Regime den Abtransport mehrerer Peugeot-Direktoren in die Vernichtungslager veranlasst, behauptete Peugeot. Die Lüge verfehlte ihre Wirkung nicht. Die zwei Porsches und Anton Piëch wurden am 15. Dezember 1945 in Baden-Baden festgenommen. Damit war das Projekt "voiture populaire" gestorben.

Das erinnert an den aktuellen Diesel-Skandal: Der Chef eines Automobilherstellers verschafft sich mit einer Lüge einen Vorteil, er beeinflusst mit einer eigensinnigen Untat auf Jahre hinaus die Zukunft seiner Branche. Und die Behörden sind der Spielball, der dorthin rollt, wo die Industriellen ihn haben wollen.

Für den bereits 70-jährigen Ferdinand Porsche folgte ein zweieinhalbjähriges Hin und Her, das seine Schaffenskraft und seine Gesundheit massiv schwächen sollte. Am 5. Mai 1948 sprach ihn das Militärtribunal Dijon frei, damit hatte er die Bestätigung einer französischen Behörde, dass er kein Kriegsverbrecher war.

Das Buch beantwortet auch die Frage, ob Ferdinand Porsche Antisemit oder Nazi war. Es gebe "keine zeitgenössischen Dokumente, die antisemitische Einstellungen zeigen", sagt Pyta. Porsche sei auch kein Nationalsozialist gewesen - jedenfalls habe er "die Ideologiekerne des Nationalsozialismus mit ihrer Rassenideologie und ihren Raubkriegen" nicht geteilt. Zum Thema Zwangsarbeit zeichnet Pyta ein differenziertes Bild: Wie viele andere Firmen beschäftigte auch Porsche Zwangsarbeiter. Man sei mit ihnen aber vergleichsweise gut umgegangen. Im März 1943 setzte sich Porsche sogar für die Freilassung von 13 französischen Kriegsgefangenen ein - mit Erfolg.

Allerdings arbeitet Pyta auch heraus, dass Porsche ein "Opportunist reinsten Wassers" war. Als "politischer Konjunkturritter" habe er die Verhältnisse der Zeit "instinktsicher" und "skrupellos" ausgenutzt, um größtmögliche Vorteile für sich und sein Unternehmen herauszuholen. Die oft gehörte These, Porsche sei ein "unpolitischer Technokrat" gewesen, dem es nur ums Autobauen ging, bezeichnet Pyta als "Lebenslüge".

Immer wieder umgarnte er Adolf Hitler, um im Gespräch mit dem technik-affinen Diktator seine Ziel zu erreichen. Er überzeugte Hitler, ihn ganz alleine mit der Planung des Volkswagens zu beauftragen - und später auch noch mit der Produktion dieses Kleinwagens für die Massen. Finanziert wurde das Großprojekt vom Reichsverband der deutschen Autoindustrie (RDA) - also von Konkurrenten wie Daimler, Opel, Auto-Union. Und das, ohne dass diese ein Mitspracherecht hatten. Was für ein Kunststück. Porsche, der Pionier erfolgreicher Auto-Lobbyarbeit.

Als sich die Porsches nach dem Krieg an den Neuanfang machten, fanden sie also eine bestens bereitete Basis vor. Was fehlte, waren Aufträge. Auch deshalb fasste der früher freigelassene Ferry Porsche in Abwesenheit seines "Übervaters" (Pyta) den Entschluss, auf eigene Faust einen Sportwagen zu entwerfen. Dieses Modell 356 wurde ein voller Erfolg und legte den Grundstein für die Zukunft des Unternehmens. So hatte die Tragödie um Porsche senior für die Firma auch eine positive Seite: Weil der übermächtige Patriarch weggesperrt war, musste (und konnte) sein Sohn Ferry die Initiative ergreifen, um das schlingernde Familienunternehmen vor dem Untergang zu bewahren.

Die "Property Control" wurde erst im März 1949 aufgehoben

Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft hätte sich Ferdinand Porsche gerne wieder um die Firma gekümmert. Ihm waren aber die Hände gebunden. Die Österreicher ließen ihn nicht, und sein Vermögen und seine Firma in Stuttgart wurden durch die US-Behörden eingefroren. Diese "Property Control" wurde erst im März 1949 aufgehoben. Bis dahin war Porsche sogar "Kostgänger" seiner Familie. Seine Lebenshaltung werde "vorläufig von seinen Kindern" getragen, heißt es in seiner Steuererklärung für 1948. Dennoch stellte er sich in Briefen als Chef der Firma dar. Auch den neuen Sportwagen bezeichnete er als "sein Auto", obwohl es sein Sohn entwickelt und gebaut hatte. Die Presse fiel reihenweise darauf herein und bejubelte den alten Porsche als Vater des Flitzers.

Am 30. August 1949 wurde auch das Entnazifizierungsverfahren gegen Porsche abgeschlossen - mit dem für ihn bestmöglichen Urteil. "Ich wurde kostenlos entbräunt", schrieb er. Als er am 30. Januar 1951 in Stuttgart starb, war das für die Firma kein Problem. Der Generationenwechsel war längst abgeschlossen, Ferry Porsche hatte das Unternehmen fit für die Zukunft gemacht. Mit Ingenieurskunst und attraktivem Design. Ohne staatliche Aufträge, ohne Tricks und ohne Lobbyismus.

Wolfram Pyta: "Porsche. Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke", Siedlerverlag, 512 Seiten, 28 Euro.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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