Familie:Was uns verbindet

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Scheitert ein Unternehmen, liegt es häufig nicht am Markt, sondern an der Familie. Je größer diese ist, desto mehr Konflikte gibt es. (Foto: Stone/Getty Images)

Eine Familiencharta kann helfen, Auseinandersetzungen vorzubeugen und als Unternehmen handlungsfähig zu bleiben. Doch so eine gemeinsame Verfassung ist schwer zu erreichen.

Von Stefan Weber

Familienunternehmen sind das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Mehr als 90 Prozent aller Unternehmen zwischen Kiel und Konstanz, Aachen und Görlitz sind familienkontrolliert. Sie erwirtschaften rund die Hälfte des gesamtdeutschen Umsatzes und beschäftigen etwa 55 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Aber sie sind häufig fragile Gemeinschaften. Nicht einmal jedes zehnte Familienunternehmen schafft es in die dritte Generation. Je größer die Familie, desto mehr Konflikte.

Schon beim Übergang auf die zweite Generation kann es zu familiären Auseinandersetzungen kommen. Denn plötzlich existieren möglicherweise mehrere Stämme. Eine Generation später ist die Familie häufig noch weiter zersplittert und entfremdet. Bei manchem Nachkommen wird die Bindung an das Unternehmen loser. Nicht selten melden angeheiratete Familienmitglieder Ansprüche an. Wenn da nicht klar definiert ist, welche gemeinsamen Werte und Ziele eine Familie verbinden und wer in der Familie welche Rolle übernimmt, ist Streit programmiert.

Ralph Risse ist bei der Bethmann-Bank für die Vermögens- und Nachfolgeplanung verantwortlich. Auf die Frage, was in einem Familienunternehmen passieren kann, wenn die Nachfolge nicht klar geregelt ist, erzählt er gerne die Geschichte der Mustertec GmbH, eines mittelständischen Maschinenbauers irgendwo in der Provinz. Namen spielen keine Rolle, es ist eine fiktive Geschichte. Aber ihr Charme besteht Risse zufolge darin, dass sie sich in ähnlicher Form tatsächlich Jahr für Jahr mehrmals in Deutschland ereignet.

Oft kommunizieren Familienmitglieder nur noch über Rechtsbeistände

Firmenchef Mustermann senior, so beginnt der Experte, hat zwei erwachsene Söhne: Andreas und Alexander. Sie verfügen über unterschiedliche Talente, haben unterschiedliche Interessen und befinden sich in unterschiedlichen Lebensphasen. Ihre Rollen im Unternehmen sind nicht klar definiert. Der Vater vertraute bislang darauf, dass sich seine Söhne schon irgendwann zusammenraufen würden. Als der Firmenchef und seine Frau bei einem Unfall ums Leben kommen, sind Andreas und Alexander plötzlich zu gleichen Teilen am Unternehmen beteiligt.

Gleich die erste Gesellschafterversammlung endet in einem erbitterten Streit, wie es bei dem Maschinenbau-Unternehmen weitergehen soll. Bald kommunizieren die Brüder nur noch über ihre Rechtsbeistände. Das bleibt nicht ohne Folgen. Mustertec verliert die Handlungsfähigkeit, die Zahlen werden schlechter. Schließlich drängt die Hausbank auf einen Verkauf der Firma.

Ein bisschen viel Drama? "Keineswegs", betont Risse, "familiäre Konflikte sind normal. Aber familiäre Konflikte in Familienunternehmen können den Bestand des Unternehmens gefährden." Das Kirsten-Baus-Institut für Familienstrategie, das sich auf die strategische Beratung von Familienunternehmen spezialisiert hat, nennt drei typische Konflikte: "Geschäftsführende Gesellschafter überwerfen sich, Stämme führen Grabenkriege, Nachfolgeregelungen werden blockiert." Wenn ein Unternehmen scheitere, dann meist nicht am Markt. Viel häufiger sei die Familie die Ursache. Die Familie, in guten Zeiten eine Kraftquelle für ein Unternehmen, sei störungsanfällig. "Interne Auseinandersetzungen vergeuden Kraft, die an anderer Stelle benötigt wird. Interessengegensätze werden personalisiert und belasten dadurch Konflikte zusätzlich. Blockade und Erstarrung gefährden das Unternehmen und damit die Substanz des Familienvermögens", so das Kirsten-Baus-Institut für Familienstrategie.

Um aus einer Vielzahl von Individuen mit Einzelinteressen eine handlungsfähige Einheit mit gemeinsamen Interessen zu schmieden, raten Experten, eine Familiencharta zu formulieren - also eine Art Verfassung, in der alle Beteiligten ihre Werte, Ziele sowie die Rollenaufteilung festschreiben, in allgemein verständlicher Sprache, ohne abstrakte juristische Formulierungen. "Eine Familiencharta ist lediglich emotional bindend, nicht rechtlich. Aber sie setzt den Rahmen für rechtlich bindende Verträge. Sie mindert das Risiko, dass ein Unternehmen aufgrund von familieninternen Auseinandersetzungen scheitert", erläutert Risse. Eine Familiencharta ist so individuell wie die Familie, die sie verfasst. Es gibt dafür kein vorgefertigtes Regelwerk. Jede Familie muss die Punkte thematisieren, die ihr wichtig sind.

Keine Verfassung ist für die Ewigkeit formuliert

Experten raten zu einem klar strukturierten Aufbau: Eine Präambel formuliert, wohin die Familie will und was sie dazu motiviert. Kern der Charta ist dann die Definition der gemeinsamen Werte, Ziele und Rollen der Beteiligten. Dazu gehören Fragen wie: Was verbindet uns? Wann übernimmt die nächste Generation Verantwortung - und in welcher Konstellation? Welche Rollen übernehmen Ehepartner? Wie führen wir die nächste Generation an das Unternehmen heran? Wie sichern wir Kompetenz? "Wichtig ist auch, Institutionen festzuschreiben, wie einen Familientag, einen Familienrat oder ein Family Office", rät Banker Risse.

Ein erfahrener Berater oder Mediator, der die Strömungen innerhalb der Familie gut einschätzt, könne helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Familienmitglieder seien dafür häufig weniger geeignet, da sie nur selten das Vertrauen aller genössen. "Mitunter sind Familien bereits völlig zerstritten. Oder in den Gesprächen brechen plötzlich längst überwunden geglaubte Konflikte wieder auf - zum Beispiel, wenn die künftige Rollenverteilung geklärt werden soll."

Noch beschäftigen sich vergleichsweise wenige Unternehmen mit dem Thema "Familiencharta". Risse nennt dafür einen einfachen Grund: "Aus Zeitmangel. Eine Familiencharta schreibt sich nicht in zwei Tagen. Dazu bedarf es vieler Gespräche und Abstimmungen mit allen Familienmitgliedern. Davor scheuen viele Unternehmer zurück, denn ihr Terminkalender ist ohnehin eng getaktet." Hinzu komme: Die Inhalte der Familiencharta müssten regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden. Keine Verfassung sei für die Ewigkeit formuliert. "Aber nur eine Familie, die sich selber führen kann, wird in der Lage sein, das Unternehmen zu führen", betonen die Experten des Kirsten-Baus-Instituts für Familienstrategie.

Für die Mustertec, die von Risse zitierte fiktive Geschwistergesellschaft, gibt es am Ende eine Zukunft als Familienunternehmen. Andreas und Alexander verständigen sich auf gemeinsame Werte und Ziele und klären die Rollenverteilung. Die operative Führung des Maschinenbauers übernimmt ein Fremdmanager und die Brüder beschränken sich - unterstützt durch einen Beirat - auf die strategische Steuerung des Unternehmens aus ihrer Gesellschafterrolle.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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