Ex-Finanzminister Eichel streitet um Pension:Der sture Hans

Er genoss immer einen Ruf als bodenständiger Politiker. Jetzt streitet Ex-Finanzminister Eichel vor Gericht um seine Pension - und gilt plötzlich als Raffzahn. Dabei sucht er nur sein Recht.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Es war zur Weihnachtszeit des Jahres 2000, als es mit der Polit-Karriere des Kasseler Studienrats Hans Eichel beinahe vorbei gewesen wäre. Eichel plagte sich damals mit einer "Flugaffäre" herum, angeblich hatte er durch eine gewiefte Dienstreiseplanung dafür gesorgt, dass ihm an Freitagen für den Trip in die Heimat statt des Wagens gelegentlich ein Jet der Bundeswehr zur Verfügung stand. Es gab schon Regierungsmitglieder, die wegen weniger gravierenden Vorwürfen zurücktreten mussten. Hans Eichel aber blieb fünf weitere Jahre Bundesfinanzminister - und das hatte er vor allem seinem Charakter zu verdanken.

Der Sozialdemokrat galt nämlich damals als "ehrliche Haut", als einer, dem man zwar manche Geschmacksverirrung bei der Wahl der Krawatte zutraute, aber sicher keinen Amtsmissbrauch. Das dämpfte die Empörungsbereitschaft derer, die in den Zeitungen über ihn schrieben. Bis heute ist Eichel, der an Heiligabend 70 Jahre alt wird, ein höflicher Zeitgenosse ohne Anflug von Dünkel geblieben: Mit den Polizisten etwa, die ihn einst rund um die Uhr bewachten, trifft er sich immer noch zum Essen. Mancher Kabinettskollege hingegen hielt es nicht einmal zu seiner aktiven Zeit für nötig, jene armen Menschen, die die ganze Nacht über vor dem Haus des Ministers Wache schieben mussten, auch nur zu grüßen.

All das muss man wissen, wenn man heute Urteile über Eichel liest oder hört, die so ganz anders klingen: Vom "Raffke" ist da die Rede, vom "Luxus-Rentner" und vom "Wein trinkenden Wasserprediger", wie ihn der Fernseh-Journalist, Hobby-Pfarrer und CDU-Versteher Peter Hahne jüngst genannt hat. Der Grund: Der Ruheständler Hans Eichel klagt vor Gericht, weil ihm nach eigener Auffassung statt 7150 Euro Pension 9600 Euro im Monat zustehen. In manchen Berichten ist gar zu lesen, der Ex-Minister fordere bis zu 14.500 Euro, was der Betroffene aber als unwahr zurückweist. An diesem Donnerstag entscheidet nun das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Klage, in den Vorinstanzen hatte Eichel zunächst recht bekommen, dann aber den Kürzeren gezogen.

Dass er den Streit bis zum Ende durchficht, wird seinem öffentlichen Ansehen sicher weiter schaden - aber er kann nicht anders. Denn Eichel ist nicht nur ein integrer und höflicher, sondern auch ein sehr sturer Mensch: Wenn er sich im Recht wähnt, weicht er keinen Millimeter von seiner Position zurück. Manch einer der einstigen Ministerkollegen verdreht noch heute die Augen, wenn er sich an die permanenten Spar-Belehrungen des peniblen Hessen im Bundeskabinett erinnert. Andererseits: Wer würde schon freiwillig auf Tausende Euro im Monat verzichten, wenn er der Überzeugung wäre, dass sie ihm zustehen?

Das Ungewöhnliche an dem Streit ist, dass keiner der Beteiligten Eichels Anspruch auf eine höhere Pension bestreittet. Vielmehr herrschte bereits im Frühjahr 1999 Einigkeit darüber, dass dem gerade abgewählten Ministerpräsidenten eine monatliche Ruhestandsversorgung von rechnerisch 10 800 Euro zusteht. Etwa 6000 Euro hätte die Stadt Kassel zahlen müssen, der er über 15 Jahre als Oberbürgermeister diente, die übrigen 4800 Euro das Land. Der letztere Betrag reduzierte sich allerdings auf 3600 Euro, weil der SPD-Mann selbst während seiner Zeit als Landeschef eine Deckelung von Beamtenpensionen durchgesetzt hatte. Insgesamt ergab sich also statt 10.800 Euro eine Anwartschaft von 9600 Euro.

Offiziell will sich niemand äußern

Statt jedoch in Ruhestand zu gehen, übernahm Eichel im April 1999 das Amt des Bundesfinanzministers, das ihm einigen Ruhm, noch mehr Ärger, vor allem aber einen weiteren Pensionsanspruch einbrachte. Nach seinem Ausscheiden Ende 2005 entschied der Bund, ihm für die Zeit als Minister und als Ministerpräsident insgesamt 7150 Euro Pension zu zahlen. Die Stadt Kassel und das Land Hessen sollten nur noch die Differenz zu jenen 9600 Euro übernehmen, die Eichel 1999 zugesprochen bekommen hatte - ein gutes Geschäft für Stadt und Land also. Bis heute, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, sind sich alle Beteiligten über dieses Prinzip grundsätzlich einig.

Allerdings: Statt sich die 2450 Euro zu teilen, zeigten Stadt und Land auf den jeweils anderen und schickten ihrem ehemaligen Verwaltungschef fast gleichlautende Ablehnungsbescheide, was wiederum den einst so titulierten "treuen Hans" auf die Palme brachte. Aus seiner Sicht blieb ihm nichts anders übrig, als zu klagen - ein Entschluss mit unerwarteten Folgen: Das Verwaltungsgericht Kassel nämlich verurteilte die Stadt in erster Instanz nicht etwa nur zur Zahlung des "Differenzruhegehalts" von 2450 Euro, sondern zur Überweisung des vollen Versorgungsanspruchs von rund 6000 Euro.

Plötzlich galt Eichel als Raffzahn. Ganz anders hingegen der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der sich mit dem Berufungsgesuch der Kasselaner befasste: Er urteilte, dass die Stadt gar nichts zahlen müsse - wohl aber womöglich das Land. Weil sich jenes Land aber um die Andeutung der Richter nicht scherte, legte nun wiederum Eichel Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht ein. Er braucht ein Urteil auch deshalb, weil davon die Höhe des Unterhalts abhängt, den er seiner geschiedenen Frau zahlen muss.

Offiziell will sich keiner der Beteiligten zu dem laufenden Verfahren äußern. "Mir ist nur wichtig zu sagen, dass es nie um mehr Geld ging, sondern immer nur darum, wer zahlt", betont Eichel. Und eine Sprecherin der Stadt Kassel sagt: "Wir werden die Entscheidung so, wie sie fällt, zur Kenntnis nehmen." Das klingt versöhnlich, ein bisschen wenigstens. Vielleicht zieht zu Weihnachten 2011 ja doch noch Frieden ein im Verhältnis eines Staatsdieners zu seinem Staat.

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