Europäische Union:Das große Aufatmen

Lesezeit: 3 min

Knapp zehn Jahre nach der Wirtschaftskrise verzeichnet die EU-Kommission eine positive Entwicklung - und mahnt gleichzeitig weitere wirtschaftspolitische Maßnahmen an.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Der für den Euro zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, ist ein Mann von gedämpftem Temperament. Wie üblich ohne erkennbare Emotionen also trägt der Lette im Pressesaal der Kommission die Wirtschaftsprioritäten für das kommende Jahr vor, fußend auf der Überprüfung der nationalen Haushalte. Die frohe Kunde soll sich aus den Fakten ergeben: EU-weite Rekordbeschäftigung, eine Arbeitslosenquote, die fast wieder auf dem Niveau vor der Krise von 2008 liegt, sowie ein dauerhaft hohes Wachstum, das im Euro-Raum voraussichtlich so hoch ausfällt wie seit zehn Jahren nicht mehr. "Gute Zeiten", fasst Dombrovskis das zusammen. "Wir befinden uns in der Saison guter wirtschaftlicher Nachrichten", ergänzt Finanzkommissar Pierre Moscovici. Fast geschäftsmäßig erklärt die EU-Kommission die Krise für beendet.

Sie verweist auf eine EU-weite Arbeitslosenquote von 8,6 Prozent, Wirtschaftswachstum in allen EU-Staaten und den historisch höchsten Beschäftigungsstand. "Die Wirtschaft des Eurogebiets wächst so rasch wie seit zehn Jahren nicht mehr, und im kommenden Jahr wird das durchschnittliche Defizit voraussichtlich auf weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen", sagt Moscovici. 2010 habe es noch mehr als sechs Prozent betragen. "Wir haben die Krise hinter uns, dürfen aber nicht die Fehler wiederholen, die uns in die Krise geführt haben", warnt er. In einer Reihe von Mitgliedstaaten seien die Schuldenstände nach wie vor zu hoch.

Sieht nach guter Laune aus auf diesem Fest in Pamplona, doch das kann trügen. In Spanien spüren immer noch viele Menschen die Folgen der Krise. (Foto: Alvaro Barrientos/AP)

Die Kommission sieht in der Erholung wenig überraschend auch Früchte eigener Bemühungen, will vor allem die Botschaft verbreiten, die Dombrovskis so zusammenfasst: "Wir müssen auf Kurs bleiben. Es bleibt noch viel zu tun." Die guten Zeiten müssten zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion genutzt werden - und dazu, die Volkswirtschaften in der EU "widerstandsfähiger" zu machen.

Dombrovskis ist sich überdies bewusst, dass vor allem in den südlichen EU-Staaten zahlreiche Menschen keineswegs das Gefühl haben, die Krise sei überstanden. "Es ist wahr, dass nicht alle Bürger die Erholung spüren", gibt er zu. Beschäftigungs-Kommissarin Marianne Thyssen verweist auf das Beispiel Spanien. Dort sei die Arbeitslosigkeit von 26,1 Prozent im Jahr 2013 auf derzeit 17,4 Prozent gesunken, aber eben immer noch hoch. Das gelte auch für die Jugendarbeitslosigkeit, die im selben Zeitraum von 55 Prozent auf 39 Prozent gefallen sei. Die wirtschaftliche Erholung schaffe nun aber "mehr Spielraum denn je, um in die soziale Dimension zu investieren". Sorge bereitet der EU-Kommission, dass trotz überall wachsender Wirtschaft die Gehälter nur langsam steigen.

Die Brüsseler Appelle sind Teil der alljährlichen Übung im Rahmen des 2010 eingeführten sogenannten "europäischen Semesters". Die Euro-Staaten reichen in Brüssel ihre Haushaltsentwürfe ein, wo sie einer Prüfung unterzogen werden. Auf der Grundlage gibt die EU-Kommission Empfehlungen ab, die für Haushaltsdisziplin, Wachstum und Investitionen sorgen und idealerweise zu so etwas wie einer koordinierten Wirtschaftspolitik führen sollen.

In den Euro-Ländern habe sich die Lage der öffentlichen Finanzen erheblich verbessert, lobt die EU-Kommission. Unverändert größte Bedenken gelten aber Italien. Der Schuldenstand werde dort leicht zurückgehen, gebe aber "weiter Anlass zur Sorge", sagte Moscovici zu den italienischen Budgetplänen für 2018. Die Regierung in Rom sei deswegen über eine weitere Überprüfung im kommenden Frühjahr informiert worden. Nach jüngsten Berechnungen der Kommission dürfte die italienische Schuldenquote 2018 bei 130,8 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. In diesem Jahr wird mit 132,1 Prozent gerechnet. Es sei zu erwarten, dass Italien die Ziele für den Schuldenabbau verfehlen werde. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU sieht vor, dass der Schuldenstand maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen darf. Die EU-Kommission kann Staaten deswegen strikte Vorgaben zum Schuldenabbau machen. Wenn diese nicht eingehalten werden, können Strafverfahren eingeleitet werden.

Kritisch sieht die EU-Kommission weiterhin auch die Zahlen aus Frankreich, das sich wie Spanien in einem Defizitverfahren befindet. Dort bestehe die Gefahr, dass die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht eingehalten würden. Auch in Spanien blieben die Anstrengungen hinter den Empfehlungen zurück. Risiken sieht die EU-Kommission überdies auch in Belgien, Portugal, Slowenien und Österreich. Elf Staaten, darunter Deutschland, erfüllen die Vorgaben ganz oder weitgehend. Der Sonderfall Griechenland wird getrennt geprüft.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: