Europa:"Wir sind offen, aber nicht dumm"

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EU-Digitalkommissar Oettinger: "Die Leute ziehen sich nicht nur das rein, was sich der Programmdirektor in Mainz ausgedacht hat." (Foto: Johannes Simon)

EU-Kommissar Günther Oettinger über den Roboterbauer Kuka und die Chinesen, das Silicon Valley - und den globalen Wettlauf bei der Digitalisierung.

Interview von Alexander Mühlauer

Günther Oettinger sitzt im Palais d'Egmont in Brüssel und spricht über die Zukunft. Über die Digitalisierung und darüber, was sie mit den Menschen macht. Großes Thema, sein Thema. Seit 2014 ist der 62-Jährige EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Woche hat er eine Debatte ausgelöst: Oettinger fordert ein europäisches Gegenangebot zu der chinesischen Offerte für den deutschen Roboterhersteller Kuka. Und nun?

SZ: Herr Oettinger, was ist so schlimm daran, dass Chinesen ein deutsches Unternehmen kaufen wollen?

Günther Oettinger: Grundsätzlich sind ausländische Investoren willkommen. Wir sind hier in Europa sehr viel liberaler als Amerikaner und Chinesen. Nur: Wir sind offen, aber nicht dumm.

Was geht es Sie überhaupt an, wenn ein Investor aus China sich an einem privaten Unternehmen beteiligen will?

Ich bin überhaupt nicht befugt, den Kauf von Aktien privatwirtschaftlicher Unternehmen positiv oder negativ zu bewerten. Wer Aktien kauft, kann erwarten, dass die Politik ihm gegenüber dies ohne Vorurteile akzeptiert. Aber ich muss mich trotzdem einmischen, denn es geht um die weltweite Technologieführerschaft. Wir haben seit zwei Jahren eine mit EU-Mitteln geförderte öffentlich-private Partnerschaft (Public Private Partnership, kurz PPP) zum Thema Robotics, an der auch Kuka beteiligt ist.

Das müssen Sie erklären.

Wir bringen Wissenschaft und Industrie zusammen, um Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich Robotik voranzutreiben. Wir finanzieren das aus dem EU-Haushalt, insgesamt sind es 700 Millionen Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020. Die wichtigsten Player der europäischen Roboter-Industrie sind unsere Partner. Kuka hat daher im PPP eine führende Rolle. Kuka Chief Innovation Officer Bernd Liebermann ist der Präsident. Und Kuka alleine hat 15 Millionen an Forschungsgeldern bekommen. Meine Hauptfrage ist daher: Wird damit der Standort Europa und unsere Technologiekompetenz gestärkt? Oder werden EU-Mittel verwendet, um Technologie aus Europa abzuziehen?

Und?

Ich hab dafür noch keine konkreten Verdachtsmomente, aber ich muss mich mit wachen Augen und Ohren einmischen.

Der chinesische Konzern Midea hält bereits jetzt 13,5 Prozent an Kuka und strebt einen Anteil von mindestens 30 Prozent an. Was befürchten Sie?

Man muss unterscheiden. Erwirbt jemand etwas mehr als 30 Prozent oder ist das nur ein erster Schritt, und dann geht es weiter auf 50 oder gar über 75 Prozent? Und die Frage: Gibt es in der Aktionärsstruktur andere Partner, die den Standort Europa stark halten und damit ein Ausbluten verhindern?

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist schon auf der Suche nach deutschen Investoren. Siemens hat bereits abgesagt. Was kann Europa gegen das Ausbluten seiner Industrie tun?

Es geht um die Frage, ob Großaktionäre Standortpolitik machen. Ob Entwicklungsarbeiten und damit Ingenieure und IT-Spezialisten bei Kuka in Augsburg bleiben oder ob die Sorge besteht, dass sich Know-how und Arbeitsplätze nach China verlagern. Damit wären unsere Forschungsförderungen ein stranded investment gewesen. Ich muss mich bei dem Thema einschalten, weil ich will, dass Kuka, ein großer europäischer Player, auch in Zukunft eine treibende Kraft in Europa bleibt.

Aber selbst Kuka-Chef Till Reuter zeigt kein Interesse, dass ihn Herr Gabriel oder sonst wer vor den Chinesen rettet.

Ich hab zu Kuka schon als Energiekommissar und zuvor als Landespolitiker in Baden-Württemberg engen Kontakt gehalten. Egal wo ich in Deutschland eine Autoproduktion besuche, bei BMW, Mercedes oder VW - überall stehen Kuka-Roboter. Insofern ist mir der Rat von Herrn Reuter wichtig, aber meine Verantwortung ist eine andere.

Sie sagen, Europa sei liberaler als Amerika und China. Aber im Grunde agieren Sie sehr protektionistisch.

Ich stelle erst mal Fragen, denn ich handle im Auftrag der europäischen Steuerzahler. Und die haben ein Interesse daran, dass wir unseren Forschungshaushalt einsetzen zur Stärkung der Industrie und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa.

Bei der Digitalisierung ist Europa von Konzernen aus den USA und Asien weit abgehängt worden. Kann sich das überhaupt noch mal ändern?

Man kann fast jeden Rückstand aufholen. Ich glaube, es wird eine neue Generation von Onlineplattformen und Suchmaschinen geben. Oder ganz neue Apps für Gesundheit, Wetter und Navigation.

Fast alle kommen bislang aus den USA.

Ja, die Mehrzahl. Aber es gibt in London, in Stockholm, in Berlin eine wachsende Start-up-Szene. Und kreativ sind junge Europäer genauso wie junge Kalifornier oder Südkoreaner.

Aber auch sie gehen immer wieder gerne an die Westküste der USA.

Vielleicht wegen des schönen Wetters oder wegen dem guten Wein im Napa Valley. (schmunzelt)

Ganz bestimmt. Aber wohl auch wegen den guten Finanzierungsmöglichkeiten.

Klar, die Risikoeinstellung der Amerikaner ist einfach anders. Aber die Europäer gehen vor allem deshalb hin, weil sie in den USA einen großen Markt haben mit potenziell 330 Millionen Nutzern. Deshalb brauchen wir einen digitalen Binnenmarkt in Europa. Das muss unsere Antwort sein. Und die wollen wir 2020 haben.

Sie selbst stellen sich aber gegen den Markt. Sie fordern, dass Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon mindestens 20 Prozent an europäischen Produktionen im Angebot haben müssen. Das ist doch rückwärtsgewandt.

Auf der Berlinale sagen mir die Filmschaffenden, dass wir zu wenig für sie tun.

Das sagt ja jeder.

Moment! Wenn ich von einer europäischen kulturellen Identität geprägt bin, egal ob Bühne oder bildende Kunst, Musik, Literatur oder eben Film; wenn wir unseren Kindern noch immer "Die Glocke" von Schiller zum Auswendiglernen in der Schule vorlegen; wenn wir Millionen in öffentliche Theater stecken zum Erhalt der Qualität und nicht nur auf kommerzielle Musicals setzen - dann, ja dann brauchen wir einen gewissen Schutz und in den meisten Fällen auch finanzielle Unterstützung.

Das erklärt noch nicht die 20-Prozent-Quote für Netflix und Amazon.

Wir haben bereits seit Jahrzehnten eine 50-Prozent-Quote für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksender in der EU. Was sich allerdings verändert hat, ist das Fernsehverhalten. Die Leute ziehen sich nicht nur das rein, was sich der Programmdirektor in Mainz ausgedacht hat. Sie nutzen eben Netflix oder Amazon. Wenn man jetzt einen fairen Wettbewerb will, muss man entweder die ARD und ZDFs dieser Welt davon befreien oder aber eine Quote für alle einführen.

Also doch wieder Protektionismus.

Nein. Wir haben ja das Ziel, europäische Bilder zu zeigen. Landschaften, Menschen, Sprachen. Das wollen wir und deshalb muss man das auch den anderen als Pflicht vorgeben. Das ist kein Protektionismus, das ist eine Reaktion auf neue Technik und neue Anbieter.

Ziemlich protektionistisch ist aber Geoblocking. Wer etwa ein deutsches Sky-Abo hat und im Urlaub in Italien Bundesliga schauen will, kann das nicht. Der Bildschirm bleibt schwarz. Und das soll der digitale Binnenmarkt sein?

Wir sind im Prinzip gegen Geoblocking. Aber jeder Grundsatz braucht die Überlegung, ob Ausnahmen notwendig sind. Klar ist: Der europäische Sport oder die europäische Filmindustrie ist auf dem Grundsatz der stufenweisen Vermarktung und der Territorialität aufgebaut.

Warum schützen Sie diese Strukturen?

Wenn Sie mit Fußballorganisationen wie der Uefa und dem DFB reden, dann sagen die Ihnen: Wenn man Fußballrechte europäisch vermarkten muss, würde das Spiel HSV gegen St. Pauli oder Stuttgart gegen Karlsruhe gar keinen Marktwert haben. Alle wollen Real Madrid gegen Barcelona sehen. Vielleicht noch Bayern gegen Manchester United.

Dann ändern Sie doch dieses System.

Ich muss akzeptieren, dass ich nicht am Tag eins der Schöpfung der Erde bin. Dass ich Jahrzehnte hinter mir habe. Die Geschäftsmodelle sind territorial aufgebaut. Und das will ich nicht zerstören.

Warum nicht?

Nehmen wir einen Filmemacher aus Wien. Der wird von der österreichischen Filmförderung unterstützt. Der ORF macht die Zweitvermarktung. Dann Drittvermarktung mit DVD. Ausstrahlung in Deutschland, vielleicht noch mit Untertitel in Frankreich, aber sicher nicht von Portugal bis Lettland. Wenn man nicht will, dass Hollywood und Google alles übernehmen, dann müssen wir klug die eingeführten Geschäftsmodelle beachten und in die Zukunft bringen. Und genau das will ich.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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