Deutschland:Die 40-Milliarden-Euro-Grenze

Lesezeit: 2 min

Eine Jamaika-Koalition wird viele Wahlversprechen nicht einlösen können - die Liste der Begehrlichkeiten ist lang.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Noch ist nicht klar, ob es ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis geben wird. Und auch nicht, wie die künftige Haushalts- und Steuerpolitik ausgerichtet werden wird: etatistisch wie unter Wolfgang Schäuble? Oder libertär unter einem FDP-Minister? Die Frage ist spannend, weil die nächste Regierung viel Geld ausgeben kann. Rund 40 Milliarden Euro liegen zusätzlich auf dem Tisch, sagt Carsten Schneider, früher SPD-Haushaltsexperte, jetzt parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Auf 30 Milliarden Euro schätzt die CDU selbst die Summe. Zieht ein Liberaler in das Finanzministerium ein, dürfte der einen großen Teil an die Steuerzahler zurückgeben wollen. Ein Minister von der Grünen oder aus der Union dürfte das Schäuble-Erbe fortsetzen - und mehr staatliche Aufgaben finanzieren.

Fest steht auch: Jede der potenziellen Regierungsparteien wird sich von Wahlversprechen trennen müssen. CDU, CSU, FDP und Grüne haben ihrer Wählerschaft Maßnahmen versprochen, die bis zu 100 Milliarden Euro zusätzlich in der nächsten Legislaturperiode kosten könnten. Es ist also Verhandlungsgeschick gefragt.

Ähnlich kompliziert war die Lage auch vor den Koalitionsgesprächen 2013. Damals schaffte es Schäuble mit einem Trick, die Koalitionäre zu disziplinieren. Er legte eine Zahl auf den Tisch: 23 Milliarden Euro seien zusätzlich verfügbar, beschied er. Die Unterhändler sollten sich verständigen, was am wichtigsten sei - dies würde vereinbart. Nachzulesen ist das Ergebnis im Kapitel 3 "Solide Finanzen" des Koalitionsvertrages. Darin vermerkt ist die Liste "Prioritäre Maßnahmen", die nicht unter Finanzierungsvorbehalt gesetzt wurden.

Mütterrente, Wohngeld, Digitales - die Liste der Begehrlichkeiten ist lang

Ob es diesmal eine ähnliche Liste geben wird, hängt von den Unterhändlern ab. Für das Bundesfinanzministerium werden der parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn und der kommissarische Minister Peter Altmaier (beide CDU) verhandeln. Sollten sie mit einer Zahl in die Verhandlungen gehen, könnte sie zwischen 30 und 40 Milliarden Euro liegen.

Das heißt aber auch, dass die 30 Milliarden Euro Steuersenkung der FDP, nebst Abschaffung des Soli-Zuschlags, der jährlich 20 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spült, völlig unrealistisch erscheinen. Auch die Mütterrente der CSU verschlänge mit sieben Milliarden Euro einen Batzen. Auf viele Milliarden summierten sich Wohngeld, Kosten für 1,5 Millionen neue Wohnungen, höheres Kindergeld, Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer, digitale Ausstattung von Schulen, frühkindliche Erziehung, Forschungsboni für Firmen, die Förderung ländlicher Räume, 15 000 neue Polizisten sowie höhere Ausgaben für Verteidigung und Entwicklungshilfe.

Knapp sechzig Prozent der Unionsanhänger hatten im Juli in einer Umfrage dafür gestimmt, die Haushaltsüberschüsse für Investitionen zu nutzen. Folgt die Regierung diesem Votum, bleibt wenig Geld für Steuersenkungen.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: