Der Turbokapitalismus in der Kritik:Die Zeit der Gier ist vorbei

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Maximales Profitstreben mit katastrophalen Folgen: Die Finanzbranche hat den Turbokapitalismus auf die Spitze getrieben. Weil die Gehälter der Banker an kurzfristige Gewinne geknüpft sind, scherten sich viele nicht um langfristige Folgen. Stattdessen jonglierten sie mit Papieren, deren Risiken sie nicht verstanden - oder einfach ignorierten.

Alexander Hagelüken

Die beiden Herren kommen aus konservativen Parteien, doch sie klingen wie Oskar Lafontaine. "Übermäßige Managergehälter sind ein soziales Übel", schimpft der eine, Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Finanzminister des Euroraums. Der andere, Bundespräsident Horst Köhler, geht noch weiter.

Der tägliche Wahnsinn: Broker an der Börse Sao Paulo. (Foto: Foto: dpa)

Ausgerechnet der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds nennt den Finanzmarkt ein "Monster". Und er bekundet Ekel vor jungen Bankern, die ihre Millionen-Boni zelebrieren, in dem sie sich Champagner über die Köpfe gießen. Die beiden Konservativen stehen mit ihrer Kritik am modernen Turbokapitalismus nicht alleine. Im einen oder anderen Punkt stimmen ihnen dieser Tage der Präsident der deutschen Sparkassen genauso zu wie der Chef der Bankenaufsicht.

Was ist los in der Welt, für die Francis Fukuyama nach dem Kollaps des Ostblocks das "Ende der Geschichte" ausgerufen hatte, den finalen Triumph der kapitalistischen Demokratien über andere Gesellschaftsmodelle? Auch wenn man bei Köhler und Co. das polit-übliche Maß an Profilierung abzieht, bleibt ein wahrer Kern: Sie nehmen die Stimmung vieler Menschen auf, dass etwas schiefläuft im real existierenden Kapitalismus. Nur jeder siebte Deutsche glaubt, es gehe gerecht zu - ein historischer Tiefstand.

Es ist eine Stimmung, die von Fakten gestützt wird. Während die Löhne in Deutschland und den USA jahrelang stagnierten, vervielfachten sich die Gehälter der Manager - begleitet nicht von einer Vervielfachung der Verantwortlichkeit, sondern von goldenen Abfindungen bei Versagen. Die Globalisierung fordert Arbeitnehmer wie Manager, aber sie scheint ihre Früchte ungleich zu verteilen. Es treten Heuschrecken auf, die mit geliehenem Geld Firmen kaufen, ihnen die Schulden aufbürden und exzessive Ausschüttungen erzwingen - da schrumpfen Arbeitnehmer zu Zahlen im Gewinnplan wie die Lagerbestände.

Spekulationsmaschinen auf Pump

Die Finanzbranche trieb diesen Turbokapitalismus auf die Spitze. Weil ihr Gehalt an kurzfristige Gewinne geknüpft ist, scherten sich viele Banker nicht um langfristige Folgen. Sie jonglierten mit Papieren, deren Risiken sie nicht verstanden oder ignorierten. Sie hantierten mit Anlagen in Billionenhöhe und setzten dabei kaum eigenes Geld ein. Solche Spekulationsmaschinen auf Pump erstürmen im Aufschwung neue Gewinn-Gipfel. In der Finanzkrise wirkt der Turbo in die andere Richtung, er lässt Lawinen ins Tal rauschen und reißt die Weltkonjunktur mit. Der deutsche Boom im ersten Quartal ist nur eine Scheinblüte.

Viele dieser Entwicklungen lassen sich auf ein Motiv reduzieren: Auf Gier. Unternehmen und Investoren wetteifern um die höchsten Gewinne, setzen sich so gegenseitig unter Druck - und degradieren Arbeitsplätze zur Dispositionsmasse. Die Josef Ackermänner dieser Welt gaben das Ziel vor, Mega-Renditen von 25 Prozent oder mehr zu verdienen, und machten so alle zu Getriebenen - sich selbst und die Beschäftigten, bei unterschiedlicher Bezahlung allerdings.

Gewinnstreben ist im Kapitalismus im Grunde positiv. Adam Smith hat es im 18. Jahrhundert auf die bekannte Formel gebracht, der Kunde solle sein Brot nicht vom Wohlwollen des Bäckers erwarten, sondern davon, dass der Bäcker seine Interessen verfolgt. Weil die Marktwirtschaft dem Bäcker mehr Freiheit lässt als der Sozialismus, produziert sie mehr Brot. Smith meinte aber nicht, dass der Bäcker den Ofen erst ab 25 Prozent Rendite anheizt, oder nur, wenn er die Löhne der Gesellen minimieren darf.

Damit Gewinnstreben vor allem positive Wirkungen entfaltet, kommt es auf das richtige Maß an. Das haben viele Kapitalisten in den vergangenen Jahren verloren. Bei ihnen wurde Gewinnstreben zur Gier, sie ordnen das gesamte Wirtschaftsgeschehen der Profitjagd unter und kippen so die Balance zwischen Kapital und Arbeit. Westliche Politiker hatten diesem Absolutheitsanspruch bisher wenig entgegenzusetzen. Sie sind auffällig ratlos, verwirrt durch die Globalisierung, verunsichert durch den Verlust traditioneller Wählermilieus.

Reinigung des Kapitalismus

Daraus ergeben sich gefährliche Trends. Schmerzhafte, aber nötige Reformen von der Rente bis Hartz IV lassen sich auf Dauer nur durchsetzen, wenn die Menschen glauben, dass es insgesamt gerecht zugeht. Seit sich Gewinne und Managergagen von den Löhnen abkoppeln, glauben das viele Deutsche nicht mehr. Sie sympathisieren mit den programmlosen Populisten von der Linkspartei, die sich anheischig machen darf, über Regierungen mitzubestimmen.

Um Schaden von den westlichen Demokratien abzuwenden, muss sich der Kapitalismus reinigen - er muss sich von der Gier abwenden. Die Marktwirtschaft, als Wirtschaftsmodell noch immer ohne Alternative, durchlief schon mehrere solcher Reinigungsprozesse. Die große Depression der dreißiger Jahre mündete in die Einsicht, dass der Staat in die Konjunktur eingreifen darf. Die Dot.Com-Blase zur Jahrtausendwende hinterließ die Gewissheit, dass Firmen ohne Umsatz keinen Ertrag erwirtschaften können und Bilanzmanipulationen schärfer zu ahnden sind. Diesmal geht es darum, die Profit- und Gehaltsmaximierung zu reduzieren, zugunsten der Interessen der Beschäftigten.

Eine freiwillige Selbstkontrolle der Wirtschaft genügt hier nicht. Der Staat muss eine stärkere Rolle spielen, um in der neuen, globalisierten Welt Machtballungen zu verhindern. Dazu gehört, die Selbstbedienung in den Vorstandsetagen zu reduzieren - etwa, indem Konzerne Managergehälter und -abfindungen nicht mehr unbegrenzt von der Steuer absetzen dürfen. Dazu gehört, Steuerflucht von Firmen oder Individuen zu stoppen. Und dazu gehört, die Finanzmärkte schärfer zu regulieren und Banken zu verbieten, auf Pump gigantische Risiken einzugehen, für die am Ende die Steuerzahler haften. Die Wettbewerbssituation in der neuen, globalisierten Welt hindert Nationalstaaten allerdings immer häufiger daran, alleine zu entscheiden - sie müssen zusammen Lösungen suchen, mögen EU-Gipfel oder G-7-Treffen noch so mühselig sein.

Das Vertrackte am Kapitalismus ist, dass der Staat bestimmte Größen nicht festlegen kann, ohne Schaden anzurichten. Welche Grenze soll es für Managergehälter geben? Wie hoch darf die maximale Rendite sein? Bei solchen Fragen landet die Politik bei Adam Smiths Bäcker. Beschränkt sie seine Freiheit zu sehr, diktiert sie einen zu niedrigen Brotpreis, produziert er weniger Backware - und schlechtere.

Eine effektive Reinigung des Kapitalismus gibt es also nur, wenn die Großbäcker mithelfen. Manager und Investoren müssen also erkennen, dass Gier ein Geschäftsmodell ist, mit dem sie sich am Ende selbst schaden - weil sie bei Arbeitnehmern und Wählern einen Sturm der Entrüstung entfachen, der sie hinwegfegt. Wenn der bisher so blässliche Bundespräsident das Bewusstsein der Wirtschaftseliten dafür schärft, dass es Zeit ist für eine Wende, dann hätte er schon etwas bewirkt.

© SZ vom 17./18.05.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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