Datenschutz in Deutschland:Korruption als Vorwand

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Die für die Konzernsicherheit zuständigen Abteilungen haben längst ein Eigenleben entwickelt - dabei müssten private Schnüffler viel stärker an die Kandare genommen werden.

Hans Leyendecker

Es hat lange gedauert, bis hierzulande die Einsicht wuchs, dass Korruption das Gemeinwohl schädigt und zum moralischen Verfall beiträgt. Spezielle Formen des Gebens und Nehmens wie etwa in der Causa Siemens definiert die kriminologische Forschung fast schon beschönigend als "Missbrauch einer Funktion in der Wirtschaft zu privaten Zwecken".

Alles im Blick: Korruptionsbekämpfung wird von vielen Unternehmen als Rechtfertigung verstanden, Mitarbeiter auszuspähen und zu überwachen. (Foto: Foto: dpa)

Seit einer Weile ist ein anderer Missbrauch zu beobachten, und der kann die saubere Korruptionsbekämpfung nicht nur in Verruf bringen, sondern auch lähmen. Mit enormer Energie gehen Sicherheitsabteilungen großer Konzerne gegen vermutete oder behauptete Kriminalität vor, die sie der Einfachheit halber "Korruption" nennen. Arbeitnehmer und auch Außenstehende sind so zum Objekt betrieblicher Paranoia geworden.

Bei der Deutschen Bahn beispielsweise war die Korruptionsbekämpfung oft nur Vorwand, um Kritiker auszuspähen oder potentielle Presse-Informanten im eigenen Haus einzuschüchtern. Selbst das Aufspüren von möglichen Verstößen gegen die Genehmigungspflicht von Nebentätigkeiten wurde intern damit begründet, dass man so die Korruption bekämpfen wolle. Längst stellt die Dreistigkeit der privaten Schnüffler die Unverfrorenheit staatlicher Ermittler in den Schatten. Grundrechte stören da nur.

Sammelwütige Schnüffler

Was dem Staat der Terrorverdacht, ist etlichen Unternehmen mittlerweile der Korruptionsverdacht. Der Unterschied aber ist: Den sammelwütigen staatlichen Schnüfflern haut regelmäßig das Bundesverfassungsgericht auf die Finger. Sie können - zu ihrem Jammer - die allfälligen Obsessionen nicht ausleben und werden immer wieder ausgebremst. Behördliche Sicherheitsvorkehrungen erschweren einen einfachen Missbrauch der Daten.

Den privaten Jägern, die ebenso wie ihre Staats-Kollegen gern mit vorgeblichen Sicherheitsinteresssen hantieren, ist aber bislang niemand in den Arm gefallen. Datenschutz gilt in ihren Kreisen als Täterschutz. Diese Formel fällt ihnen besonders leicht, weil viele der Bediensteten früher bei der Polizei oder beim Nachrichtendienst gearbeitet haben und dort nicht immer so zum Zuge kamen, wie sie es gerne gehabt hätten.

Längst sind rechtsfreie Räume entstanden, in denen sich entweder Rechtsabteilungen oder die Revision oder die Mitarbeiter von der Konzernsicherheit tummeln. Die Skandale bei der Bahn, bei der Telekom oder bei Lidl haben ihre jeweiligen Besonderheiten; ihr eigenes Milieu, ihre eigene Physiognomie. Außenstehende können sich bei den Nachforschungen leicht in den labyrinthischen Korridoren dieser Unternehmen verlaufen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Datenskandale gemeinsam haben - und was sich an der Gesetzeslage ändern muss.

Jeder Datenskandal hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Aber gemeinsam ist das Postulat vom Kampf gegen das Böse - der korruptionsverdächtige Einkäufer, die möglicherweise untreue Kassiererin, der verdächtige Lieferant. Für alle gilt und galt immer der Generalverdacht. Dieser Wahn wurde erst dann als Hirngespinst erkannt, als bekannt wurde, dass selbst Lokomotivführer in dieses Raster geraten waren.

Dabei ist die Störung, Gefährdung und Bedrohung, die man gern Kriminalität nennt, ein viel zu sensibler Bereich für Jäger und Vereinfacher. "Wie in einem Brennglas", schrieb der Rechtstheoretiker Rolf-Peter Calliess einmal, würden bei diesem Thema die "Schnittstellen zwischen der Freiheit und Sicherheit des Einzelnen und der Macht der Mehrheit sichtbar".

Durchs Brennglas betrachtet fällt auf, dass inzwischen - auch von der kritischen Öffentlichkeit fast unbeobachtet - insbesondere die für die Sicherheit der Konzerne zuständigen Abteilungen ein Eigenleben entwickelt haben, für das sich auch in den Vorstandsetagen niemand en detail interessiert hat. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Der Zweck heiligt die Mittel. Mit solchen Floskeln entschuldigen die Verantwortlichen gerne ihr Desinteresse.

Unsichtbares Netz

Detekteien werden eingeschaltet, die serienweise illegal Kontendaten von Beschäftigten besorgen, Krankenakten der Arbeitnehmer werden unter der Hand gehandelt. Es gibt längst den Verdacht, dass die Sicherheitsabteilungen großer Konzerne sowie staatliche Ermittler und private Verfolger heimlich kooperieren und ein unsichtbares Netz über die Republik gespannt haben. Auch wird kräftig geheuchelt. Der Bundestag hat in den vergangenen Jahren, was richtig war, die einschlägigen Strafgesetze verschärft.

Wer sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, strukturelle Korruption zu tolerieren, muss im Unternehmen Vorkehrungen treffen, um das Schmieren zu verhindern. Gleichzeitig aber halten sich die Parlamentarier, die immer neue Bestechungsvorschriften austüfteln, offenkundig für gleicher als gleich. Abgeordnetenbestechung ist weiterhin in Deutschland nicht wirklich strafbar. Ein fortwährender Skandal.

Von Clausewitz, dem Klassiker des strategischen Denkens, stammt die Erkenntnis, dass der Rückzug die schwierigste aller Operationen ist. Bei der Korruptionsbekämpfung ist ein Rückzug fällig. Die privaten Schnüffler müssen von den Unternehmensleitungen an die Kandare genommen werden. Verstößen müssen Sanktionen folgen. Dieser Maßstab muss für die wirklichen Fälle von Korruption gelten, aber auch für übereifrige Verfolger.

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© SZ vom 04.06.2009/kaf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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