Das deutsche Valley:Laut und schmutzig

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(Foto: N/A)

Josef Brunner versteht nicht, dass deutsche Start-ups so gern Apps für Pizza entwickeln. "Ein wenig pervers", meint er.

Von Ulrich Schäfer

Mit seinem Unternehmen Relayr ist Josef Brunner dort zu Hause, wo Start-ups nun mal gerne sitzen: in einer hippen Gegend. Die Zentrale der 200-Mann-Firma befindet sich im Bergmannkiez in Berlin-Kreuzberg. Angesagte Restaurants, türkische Gemüsehändler, nette Bars: alles in Laufnähe. Die wichtigste Niederlassung wiederum liegt an der Donnersbergerbrücke in München. Google und Salesforce sitzen ums Eck, ebenso Check24 und Flixbus. Am liebsten ist Brunner aber in der Provinz unterwegs, reist er in die entlegenen Ecken der Republik. Dort sitzen seine Kunden: der deutsche Mittelstand, Familienunternehmen mit langer Historie, Maschinenbauer und Industrieausrüster. "Wir sind dort", sagt Brunner, "wo es laut und schmutzig ist."

Laut und schmutzig: Das passt auf den ersten Blick nicht zu einem Unternehmen, das zu den vielversprechendsten Software-Start-ups der Republik zählt, das auf die Cloud setzt, auf Big Data, und seine ersten Millionen von einer der größten Risikokapitalfirmen des Silicon Valley erhalten hat, von Kleiner Perkins. Und doch: Es ist ein logischer Schritt. Denn Relayr hat ein Produkt entwickelt, dass es dem alteingesessenen deutschen Mittelstand erlaubt, schnell ins digitale Zeitalter hinüberzugleiten. Die Firma aus Berlin-Kreuzberg bietet sogenannte Retrofit-Kits an, mit denen sich Maschinen und Industrieanlagen ans Internet anschließen und untereinander vernetzen lassen. Eine hochintelligente Software saugt alle Daten aus den Steuereinheiten der Maschinen ab, Sensoren sammeln zudem Umgebungsdaten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Geräusche. All das wird zusammengeführt und ausgewertet. Die Software, erklärt Brunner, sei in der Lage die wirklich relevanten Informationen herauszufiltern und alles, was überflüssig ist, beiseite zu schieben.

Mit Hilfe der Daten lassen sich Maschinen aus der Ferne steuern und kontrollieren, man kann voraus berechnen, wann Verschleißteile ausgetauscht werden müssen und dies dann erledigen, bevor die Maschine ausfällt. Auch der Ablauf der Produktion und der Energieverbrauch lassen sich optimieren. Vereinfacht gesagt macht Relayr dumme Maschinen also schlau. Unternehmen, die bislang nicht sonderlich digital sind, wird so der schnelle Einstieg in die Industrie 4.0 ermöglicht, in jene Welt der vernetzten Maschinen und Fabriken, in der Deutschland führend ist.

7 000 Firmen haben sich die Software von Relayr bislang heruntergeladen, darunter 100 Kunden, mit denen das Start-up heute die meisten Umsätze macht, der wichtigste davon: der US-Konzern General Electric. Meist sitzen diese Firmen nicht dort, wo man die Zentren der Digitalisierung verortet. "Die Hidden Champions", sagt Brunner, "heißen ja nicht zufällig so, sie sind eben versteckt." Diese versteckten Meister ihres Fachs finden sich in Gegenden wie dem Schwarzwald oder dem Münsterland, aber auch im Mittleren Westen der USA oder in Manchester, wo die Industrialisierung im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Relayr hat in der britischen Stadt sogar ein eigenes Büro eröffnet, viel digitale Konkurrenz habe man dort nicht, sagt Brunner, man sei in Manchester "ziemlich allein".

Einen ersten Schub erhielt das Berliner Start-up durch Kleiner Perkins: Die Risikokapitalfirma aus Kalifornien lud einst die ersten Kunden von Relayr, zumeist konservative deutsche Unternehmer, ins Silicon Valley ein, um sie davon zu überzeugen, dass Relayr nicht gleich wieder verschwinden wird und sich eine langfristige Zusammenarbeit lohnt - schließlich hat Kleiner Perkins auch schon in Unternehmen wie Google, Amazon oder Electronic Arts investiert, als die noch recht klein waren.

Den zweiten Schub erhielt Relayr durch die Munich Re. Der Rückversicherer beteiligte sich über ein Tochterunternehmen an dem Start-up, vor allem aber bieten der Konzern aus München und das Berliner Unternehmen allen Kunden eine Versicherung an: Wer die Dienstleistungen von Relayr benutzt, dem wird garantiert, was er dadurch an Geld spart; dem Kunden wird auch garantiert, dass seine Maschinen nur noch ganz selten ausfallen, weil Teile, die kaputt gehen könnten, rechtzeitig ausgetauscht werden - Big Data sei Dank. Die Software kann für Mittelständler, wenn sie diese zu nutzen und damit den Käufern ihrer Maschinen einen noch besseren Service anzubieten wissen, also ein Segen sein. Sie kann zugleich auch eine Gefahr sein, denn sie ermöglicht neuen Anbietern, die mehr vom Umgang mit Daten verstehen, den gleichen Service anzubieten. Brunner spricht von "Challengern", von Herausforderern, und diese sitzen, bislang jedenfalls, meist nicht in Deutschland, sondern in den USA oder Großbritannien.

Klassische Maschinenbauer verdienen heute das meiste Geld mit Service und Wartung

Im Maschinenbau hat die Digitalisierung also ähnliche Folgen, wie man es von Banken, Versicherungen oder Hotels kennt: Start-ups schieben sich an bestimmten Stellen geschickt in die Wertschöpfungskette hinein, sie wollen die etablierten Firmen nicht zur Gänze verdrängen, aber sich aus deren Geschäften jenen Bereich herausschneiden, der besonders hohe Margen verspricht. Und klassische Maschinenbauer verdienen das meiste Geld oft mit Service und Wartung.

Josef Brunner ist dennoch davon überzeugt, dass der deutsche Maschinenbau all dies überleben wird, denn die Fähigkeit, hochspezialisierte Anlagen zu bauen, könnten neue, junge Anbieter nicht so leicht erlernen. Die hiesigen Mittelständler werden aber einen Teil ihrer Marge verlieren - und zwar umso mehr, je später sie ihr eigenes Geschäft digitalisieren.

Doch ganz egal, wer am Ende gewinnt: Für Start-ups bietet dieser Wandel vielfältige Chancen. Brunner kann deshalb auch nicht nachvollziehen, dass so viele deutsche Gründer sich auf E-Commerce und Bringdienste konzentrieren: "Als Industrienation setzen wir vor allem darauf, Pizza online zu verkaufen. Das ist schon etwas pervers." Wohl wahr.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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