Computeranimationen im Film:Traumkulissen für Hollywood und Stuttgart

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Nur die Schauspieler und die Lok sind echt. Der Rest dieser Szene aus dem neuen Jim Knopf-Kinofilm kommt aus den Computern von Mackevision. (Foto: Mackevision)

Mackevision gestaltet für Filmemacher und Autohersteller spektakuläre Bilder. Künftig will Firmenchef Armin Pohl nicht nur Orks durch die Wildnis lenken, sondern auch Rentner durch Supermärkte.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Mandala! Als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer nach langer Seefahrt auf der schwimmenden Emma das Land mit den durchsichtigen Bäumen und den Brücken aus Porzellan erreichen, bleibt ihnen erst einmal der Mund offen stehen. Und seit Gründonnerstag auch kleinen und großen Cineasten, denn der Kinderbuchklassiker von Michael Ende wurde erstmals fürs Kino verfilmt. Erbaut wurde das Königreich Mandala samt seiner prachtvollen Paläste und Gärten mitten in Stuttgart in einem alten Fabrikgebäude. Auf dem sogenannten Bosch-Areal arbeiten keine Architekten und Bauunternehmer, sondern Grafik- und Computer-spezialisten der Firma Mackevision. Sie sitzen in verdunkelten Räumen und blicken konzentriert in riesige Bildschirme, fremde Menschen lassen sie nur in Ausnahmefällen über die Schultern schauen. Denn was sie machen, ist im Regelfall streng geheim. Sie produzieren ihre spektakulären Landschaften und Kulissen auch für Hollywood ("Independence Day: Resurgence"). Mackevision ist Spezialist für Bilder, die am Computer entstehen, aber naturgetreu aussehen. Computer Generated Imagery nennen sie das hier. Kurz: CGI.

Und sie machen das nicht schlecht: 2014 erhielten sie für ihre Mitarbeit an der vierten Staffel der US-amerikanischen TV-Serie "Game of Thrones" den weltweit renommierten Fernsehpreis Emmy. An dem Design der Stadt Braavos mitsamt einem Koloss an der Hafeneinfahrt hatten zehn "Digital Artists" vier Monate lang gewerkelt.

Die Trophäe steht in einem der breiten Flure der Macke-Zentrale in einer fast schon unscheinbaren Glasvitrine. Da kann man auch schon mal vorbeilaufen. Zumal der Blick des Besuchers immer wieder von auffälligen Gestalten abgelenkt wird, die durch den dunklen Gang wandeln. Eine Person trägt unter einem dicken Kopfhörer lange grellbunte Haare einer eher undefinierbaren Farbe. Auch das Geschlecht - es ist eine junge Frau - ist nicht sofort erkennbar. "Hier arbeiten schon ziemlich viele ungewöhnliche Charaktere", sagt Armin Pohl, der Chef des Ladens. "Ich mag es an den Rändern, Mitte finde ich langweilig."

Auch Pohl selbst kommt unkonventionell daher. Mit Pferdeschwanz und Rund-um-den-Mund-Bart wirkt er eher wie der Darsteller einer mittelalterlichen Ritter-Saga um Henri Quatre als der Vorstandsvorsitzende eines 500-Mann-Unternehmens mit 56 Millionen Euro Jahresumsatz. Vor einem Jahr, bei seiner Party zum 50. Geburtstag, habe seine Tochter ihm zugeraunt: Mensch Papa, du kennst ja keinen einzigen normalen Menschen. "Tja", sagt Pohl, "man hat so sein Energiefeld und zieht bestimmte Leute an."

Er verstehe sich "sowohl als Künstler wie auch Manager", sagt er. Fragt sich nur, warum er seine Firmenzentrale nicht in Los Angeles hat, sondern im Stuttgarter Kessel, wo meist schlechte Luft herrscht und eine eher spießige Schaffe-schaffe-Häusle-baue-Mentalität statt offener Kreativkultur mit viel Zeit für schöpferische Pausen? Nun, 80 Prozent des Geldes verdient Mackevision mit Autoherstellern - und zwei seiner größten Kunden sitzen in Stuttgart. Pohl lässt also nicht nur Fantasie-städte und Soldatenheere entstehen, sondern auch das Leder eines Lenkrads, den dazu passenden Faden und auch den Wulst, der sich beim Vernähen bildet. Im virtuellen Showroom kann der Kunde die Wunschausstattung seines Pkw zusammenstellen. Immer maximal realistisch, und maximal ansprechend. Neben solchen Konfiguratoren zaubern Pohls Leute auch Werbevideos; in diesen flitzen Autos herum, die es nur in den Köpfen und PCs der Ingenieure gibt. Entsprechend geheim sind auch die Aufträge der Autobauer.

Der Verkauf an Accenture soll der Firma mehr Spielraum für Investitionen eröffnen

Armin Pohl ist gelernter Grafiker, 1995 bekam er als freier Mitarbeiter den ersten Auftrag von Macke. 2000 kaufte er dem Firmengründer Marcus "Macke" Roth Anteile ab. 2006 übernahm Pohl die Firma komplett. "Macke" ging, der Markenname blieb. Damals hatte die Firma zwölf Mitarbeiter. Über die Finanzkrise schaffte es Pohl nur mit größter Not, heute hat er 13 Büros in aller Welt. Der Laden brummt. Dennoch verkaufte Armin Pohl sein Unternehmen im Januar an den US-Beratungskonzern Accenture. Zu 100 Prozent.

Er sei nicht geschluckt worden, betont Pohl. Vielmehr habe er sich aktiv einen Käufer ausgesucht, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Von den vielen Interessenten habe sich Accenture am meisten Mühe gegeben, zudem passe der Konzern "strategisch hervorragend". So beherrsche Macke Massen-simulationen - und Accenture habe den Zugang zu Big Data. Mithilfe künstlicher Intelligenz will Pohl künftig nicht nur simulieren, "wie 100 Orks durch die Wildnis rennen", sondern auch "100 Rentner durch das Kaufland". Er will das Laden-Layout mitplanen und mit virtuellen Angeboten ergänzen, um den Umsatz zu optimieren. Auch in anderen Bereichen wie etwa Industrie-Ausrüstung will er künftig mitmischen. XR heißt die Zauberformel, auf die Accenture und Mackevision setzen. Das Kürzel steht für Extended Reality (erweiterte Realität). Das internationale Analystenhaus IDC prophezeit dem Markt für XR bis 2020 einen Umsatz von 132 Milliarden Euro. Mit welchen Geräten und Inhalten er damit Geld verdienen wird, kann Pohl noch nicht sagen. Nur eines sei sicher: "Man verkauft nix, was man nicht zeigt." Ganz der künstlerische Visionär, sagt er trotz der vagen Aussichten: Wer als Erster gute Lösungen finde, der gewinne.

Ganz schön viel Zukunftsmusik. Im Vergleich dazu wirkt die Arbeit der Entertainment-Abteilung wie grundsolides Handwerk. Jim Knopfs Reise nach Mandala haben am ersten Wochenende immerhin 320 000 Kinogänger gesehen.

© SZ vom 04.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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